Wochenblatt: Herr Müller, die ersten Molkereien zahlen Grundpreise von 40 Cent/kg Milch und mehr. Wann hat das DMK (Deutsches Milchkontor) die „4“ vorne?
Ingo Müller: Die haben wir bereits. Für Dezember zahlen wir einen Leistungspreis von 40 Cent/kg Milch aus.
Die Frage war auf den Grundpreis bezogen...
Auf Molkereiebene beziehen wir uns immer auf den Leistungspreis, weil das ja das Geld ist, was unsere Lieferanten tatsächlich erhalten. Das führt auch zu mehr Transparenz für unsere Milcherzeuger. Rückblickend langen wir am Jahresanfang im Vergleich zum Wettbewerb etwas hinterher. Das haben wir aufgeholt: Für 2021 haben wir für die ersten zehn Monate bereits einen Abschlag in Höhe von 0,40 Cent/kg Milch nachgezahlt. Wenn die Ergebnisse des letzten Quartals vorliegen, folgt der Rest. Dabei sehen wir uns keinesfalls schlecht aufgestellt. Am Ende ist es das Gesamtpaket was zählt. Da spielen viele Faktoren zusammen bis hin zur dynamischen Inhaltsstoffbezahlung, die sich gerade bei uns für viele Betriebe positiv auswirkt. Zudem bieten wir ein 14-tägiges Milchgeld, wir haben die Geschäftsguthaben-Verzinsung, interessierte Lieferanten können am Festpreis-Modell teilnehmen und unsere Kündigungsfrist beträgt ein Jahr.
Offene Kommunikation mit Landwirten
Beim DMK arbeiten rund 300 Milcherzeuger in ehrenamtlichen Gremien, Sie betonen immer den kurzen Draht in die Praxis. Was sagen Sie Ihren Mitgliedern, die teilweise hörbar unzufrieden mit den vergangenen und aktuellen Auszahlungspreisen sind?
Also per se geht es ja um zwei Anliegen. Zum einen, das was uns als DMK betrifft. Fragen dazu beantworte ich unseren Mitgliedern in gleicher Manier, wie Ihre Frage zum Grundpreis. Wenn es um die allgemeine Lage der Milchviehhalter geht, nehmen wir jede Stimmung auf und jede Frage ernst. Wir sind uns den Herausforderungen bewusst, wenn sich Landwirte zurecht darüber beklagen, dass Lebensmittel nicht ordentlich honoriert werden. Als Genossenschaft kämpfen wir für die Landwirte. Mein Ziel ist ja den Rohstoff Milch so teuer wie möglich einzukaufen. Auch wir haben keinen Spaß an solchen Diskussionen, wenn Mitglieder ihren Unmut kundtun. Wir haben in den unterschiedlichen Gremien einen guten Austausch. Da gibt es nach wie vor unzufriedene Landwirte, aber eben auch inzwischen viele, die durchaus anerkennen, was unser Unternehmen in den vergangenen Jahren geleistet hat. Wir versuchen wirklich Antworten auf drängende Fragen durch Kommunikation nahbar zu machen.
Für Zuversicht sorgen die aktuellen Spotmilchpreise sowie die Verwertung von Butter und Pulver. Die 50 Cent/kg-Marke ist überschritten. Für Trinkmilch soll es ab Januar offenbar nur wenige Cent hochgehen. Reicht das?
In solchen schnellen Steigungen in Märkten entstehen sehr schnell Portfolio-Unwuchten. Unsere Produktpalette besteht natürlich auch aus Magermilchpulver, Butter und Käse. Doch auf der anderen Seite haben wir die Retailprodukte, die in sich auch eine preisliche Schere haben. Die müssen wir so gut wie möglich managen und gegebenenfalls auch mal unseren Kunden das Signal geben: Ok, dann bieten wir halt weniger an. Da haben wir den Vorteil, Portfolio über unsere Business Units umverteilen zu können, um die größtmögliche Verwertung zu erzielen. Und das machen wir auch in solchen Verhandlungen, weil nur das zählt, was für den Landwirten rauskommt. Das ist vor allen in Zeiten wie jetzt, wo ein Angebot rausgeschickt wird, was schon nicht mehr aktuell ist, wenn es beim Kunden landet, eine Herausforderung. Und sorgt auch beim Kunden für einen großen Unsicherheitsfaktor.
Und genau in dieser Phase hat der Lebensmittelhandel für die Weiße Linie (Trinkmilch usw.) den Verhandlungszeitpunkt sowie die Kontraktlaufzeit geändert. Ein Vor- oder Nachteil für Molkereien?
Ob im November oder Ende Dezember verhandelt wird, spielt eigentlich keine Rolle. Entscheidender ist, dass Molkerei und Handel an einem Tisch sitzen und fair darüber reden: Wie sieht es gerade auf den Märkten aus und wie entwickeln sich die Preise? Das ist meiner Meinung nach viel wichtiger.
Tierwohl durch Haltungsformkennzeichnung?
Gleichzeitig rollt der Handel seine vierstufige Haltungsformkennzeichnung auf Milchprodukte aus. Ab April sollen Produkte mit Haltungsformstufe 2 im Regal stehen. Werden DMK-Milchprodukte dabei sein?
Wir sind mit der gesamten Branche in Verhandlungen. Auch das DMK ist ein großer Handelsmarken-Hersteller. Deshalb werden wir uns natürlich daran beteiligen. Dabei sollte das Thema Tierwohl nicht zu einem Wettbewerbs-Thema werden. Tierwohl ist Tierwohl und die ganze Branche hat sich dazu verpflichtet. Deshalb lautet unser Plädoyer: Lasst uns auf eine Sache fokussieren. Es kann nicht sein, dass am Ende ein großer Tannenbaum an unterschiedlichen Systemen auftaucht, die der Verbraucher nicht versteht. Auch beim Handel muss das Einsehen da sein, dass eine solche Kennzeichnung für den Erzeuger und für die gesamte Kette mit höheren Kosten verbunden ist. Das muss der Regalpreis widerspiegeln. Deshalb fordern wir als Molkerei:
- Ein einheitliches System.
- Der Handel muss seine Verpflichtung mit höheren Regalpreisen zeigen.
- Das Ganze muss vom Verbraucher mitgetragen werden.
- Das zusätzliche Geld muss transparent bei Molkereien und Landwirten als echter Aufschlag ankommen.
Landwirte müssen dafür die Kriterien der Initiative Tierwohl Rind bzw. QM+ oder DLG-Klassifizierung erfüllen. Laufen die Audits auf DMK-Betrieben schon?
Wie gesagt, wir sind in Verhandlungen. Es werden derzeit mit allen Beteiligten einheitliche Eckpunkte geklärt. Das Buch in den Gesprächen ist aktuell noch nicht komplett geschlossen. Erst wenn alles soweit geregelt ist, können wir mit möglichen Audits beginnen. Und das ist derzeit nicht der Fall.
Die neue Ampel-Koalition will eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung einführen. Passt das gut in diese Gemengelage – oder eher nicht?
Das ist meiner Meinung nach kein Faktor, der mehr Wertschöpfung auf irgendeinen Betrieb bringt. Und es passt nicht zu einem europäischen Binnenmarkt. Eine Milch aus Holland oder Dänemark ist ja nicht besser oder schlechter. Das muss man auch nicht den Verbrauchern weiß machen. Klar kann man sagen: „Das ist regional“. Die Renationalisierung von Märkten ist aus meiner Sicht das falsche Signal.
Milchprodukte auf dem Weltmarkt
Die Schweinebranche leidet extrem unter dem Exportstopp nach Asien. Auch der deutsche Milchpreis hängt ein gutes Stück von China ab. Sehen Sie eine Gefahr in dieser Abhängigkeit?
Da geht es ja nicht um Deutschland versus China, sondern um den Weltmarkt. Dieser umfasste 2020 gut 735 Mrd. l Kuhmilch. Wir wissen, dass 10 % davon im Welthandel landet. Wenn dieser weltweit gehandelte Pool von knapp 80 Mrd. l „gestört“ wird, dann hat das immer eine Auswirkung auf die Länder, die in diesem Pool mitmischen. Soll heißen: Die Risiken sind da. Nicht nur für Deutschland, sondern für alle. Das betrifft vor allem die Länder, die mehr Milch produzieren, als sie selbst verbrauchen. Der Überschuss geht in den Export. Eine Pandemie oder ein Brexit verursachen Unruhen und es kommt zu Volatilitäten. Das sind Gefahren, die es allerdings in jeder Branche gibt. Deshalb sind Prognosen manchmal so schwer.
In Russland expandieren Sie gerade. Sprich Sie sind – anders als in China – direkt vor Ort mit eigener Milchversorgung tätig. War oder ist das ein Anreiz, um ein stückweit weniger abhängig zu sein?
Wir haben in Russland in der Vergangenheit gutes Geld verdient und verdienen da auch heute gutes Geld. Da unser bestehendes Käsewerk in Bobrow ausgelastet war, kam die Überlegung einer Erweiterung. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrungen im russischen Markt hatten wir den Mut und das Vertrauen vor Ort mit einem zusätzlichen Werk Spezialprodukte wie Blauschimmelkäse, Mascarpone und Kugelgouda anbieten zu können. Ein guter Kontakt zum Handel, eine eigene Distribution, sowie tolle Mitarbeiter, sorgen dafür, dass wir dort vernünftig aufgestellt sind. Da es sich um ein 100 %iges DMK-Tochterunternehmen handelt, ist das Russlandgeschäft auch in unserem Ergebnis vollkonsolidiert. Somit profitieren natürlich auch unsere deutschen Landwirte davon.
Zurück nach Deutschland: Der derzeitige Strukturwandel ist besorgniserregend. Macht sich der Rückgang bei Ihnen bemerkbar?
Fakt ist: Es wird weniger Milch geben. In Deutschland werden wir dadurch in Summe zu viele Kapazitäten haben. Hier gilt es als Unternehmen genau hinzuschauen: Wie kann ich das Produktionsnetzwerk bestmöglich nutzen? Wo will ich reinvestieren oder wo lohnt es sich nicht mehr? Und wie agil bin ich mit meiner Mannschaft, daran zu arbeiten? Beispielsweise in Everswinkel. Dort bauen wir die Eisproduktion taktisch aus. Wir wollen unser Eisgeschäft auf einen Standort konsolidieren, was dann dazu führt, dass wir in Everswinkel die Frischmilchproduktion hinterfragen. Das sind sogenannte Portfolio-Verschiebungen. Deshalb werden Sie nicht erleben, dass wir den Bau eines neuen Werkes ankündigen. Kapazitäten haben wir genug. Jetzt geht es darum, zu entscheiden, welche Portfolios Vorrang bekommen.
Die Mehrheitsbeteiligung an Fude&Serrahn (F&S) brachte nach eigenen Angaben stabile Ergebnisse. Nichtsdestotrotz haben Sie vor einigen Monaten Ihre Beteiligung von 51% auf 10% reduziert. Warum – und macht Ihnen F&S jetzt nicht noch mehr Konkurrenz?
Wir haben im Sommer 2019 mit der langfristigen Strategie 2030 unsere Geschäftsfelder den Marktverhältnissen mit klaren Rollen versehen. Entsprechend haben wir das DMK neu aufgestellt. Um hier den klaren Blick auf die Wachstumsfelder zu haben, trennen wir uns vom sogenannten nicht-strategischem Geschäft. Trotz stabiler Ergebnisse erfordert die Mehrheitsbeteiligung an F&S allerdings auch, Investitionen zu tätigen – in ein Geschäft, das uns nur zu 51 % gehört. Die zukünftig geringere Beteiligung erlaubt uns, unser Augenmerk auf Geschäftsbereiche zu lenken, die zu 100 % auf die DMK einzahlen.
Pflanzliche Alternativen des DMK
Pflanzliche Alternativen sind im Trend. Das hat auch das DMK erkannt. 2022 gehen Sie mit veganen Produkten auf den Markt. Wie schätzen Sie diesen Markt ein?
Was wir sehen, ist eine immer größer werdende Anzahl Verbraucher, die den Konsum von tierischen Produkten reduziert oder vermeidet. Gleichzeitig steigt das Interesse nach Alternativen aus dem pflanzenbasierten Umfeld. Ob wir das als klassische Molkerei gut finden oder nicht, spielt dabei erst mal keine Rolle. Abgerechnet wird am Regal: Als Molkereiunternehmen sind wir Lebensmittelhersteller – die Nachfrage bestimmt das Sortiment. Das Segment der pflanzlichen Produkte entwickelt sich aktuell dynamischer als das klassische Milchsegment. Diesem Trend dürfen wir uns nicht verschließen. So planen wir, in den Bereichen Marke, Food-Service und auch Industrie, Ende des ersten Quartals 2022 mit veganen Produkten in den Markt einzusteigen.
Auch wenn das natürlich selbstredend ist: Unser Kernprodukt ist und bleibt die Kuhmilch. Wir sehen jedoch den Bereich der pflanzlichen Produkte als Chance, weitere Verbraucher zu erreichen.
Zukunftssicher auf dem Milchmarkt
In den USA ist das erste synthetische Molkenprotein auf dem Markt. Milch also aus der Petrischale. Wie betrachten Sie solche Entwicklungen?
Es handelt sich um eine Methode, die möglicherweise in Zukunft eine extrem günstige Herstellung von Protein erlaubt. Wenn dieses Thema groß wird, dann ist das nicht ohne. Deshalb nehmen wir diese Entwicklung sehr ernst und beschäftigen uns damit.
Herr Müller, angenommen Sie wären DMK-Genosse und Betriebsleiter eines Familienbetriebes mit 100 Kühen in Niedersachsen. Wie würden Sie unter den derzeitigen Bedingungen Ihren Betrieb aufstellen, um existenzfähig zu bleiben?
Ich bin zwar in der Landwirtschaft groß geworden, aber ich bin kein Landwirt. Wenn ich mir die Zukunft anschaue, würde ich als Praktiker versuchen, mir die Herausforderungen genau anzuschauen. Seien es Themen rund um Energie, CO2-Fußabdruck, Fotovoltaik oder beispielsweise die Farm to Fork-Strategie – ich würde mir immer die Frage stellen, welche Chancen kann ich damit verknüpfen? Meine Devise würde lauten: In der Veränderung von Rahmenbedingungen Möglichkeiten erarbeiten, damit ich mich meinen Zielen in gut überlegten Schritten nähere. In allem was uns begegnet, verbergen sich Chancen – als Molkerei, als Genossenschaft oder als fortschrittlicher Milcherzeuger.
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