Brunsterkennung

Kühe punktgenau besamen

Wie den Brunstbeginn am besten ermitteln? Ist die „Morgen-Abend-Regel“ noch zeitgemäß? Die Universität Gießen hat dazu Forschung betrieben.

Über Jahrzehnte hinweg wurden Kühe nach der „Morgen-Abend-Regel“ besamt: Duldet die Kuh am Morgen, wird sie am späten Nachmittag besamt, „steht“ sie am Nachmittag, erfolgt die Künstliche Besamung (KB) am nächsten Morgen. Als Brunstbeginn wird bei dieser Brunstkontrolle der Zeitpunkt definiert, an dem die Kuh erstmals steht. Allerdings beginnt bei vielen Kühen die Brunst in der Nacht zwischen 0 und 4 Uhr – in Zeiten, in denen niemand im Stall ist. Demnach kann der Brunstbeginn nicht genau ermittelt werden. Hier hilft die automatische Brunsterkennung.

Mehr Aktivität bei Brunst

In vielen Milchviehbetrieben werden mittlerweile verschiedene Sensortechniken eingesetzt, die Aktivität, Wiederkaudauer und andere Parameter der Kühe 24 Stunden am Tag überwachen. In vielen Fällen sind in der Brunst eine deutliche Erhöhung der Aktivität und/oder ein Rückgang der täglichen Wiederkaudauer zu erkennen. Aber wann sollen die Kühe dann besamt werden? Das Ziel einer Untersuchung der Universität Gießen bestand darin, ausgehend vom Aktivitäts-Peak während der Brunst den optimalen Besamungszeitraum festzulegen.

Bei der Brunst (gemessen mit SCR HeatimeTM HR von Allflex) steigt in typischer Weise die aktuelle Aktivität gegenüber der Grundaktivität (an Tagen außerhalb der Brunst) an. Gleichzeitig nimmt die Wiederkauaktivität ab. Beide Parameter reagieren bei 93 bis 95 % aller Kühe mit Zuwachs und/oder Rückgang. Der Aktivitätsanstieg beginnt zumeist bereits am Tag vor der KB, erreicht sein Maximum in der Nacht vor der KB und klingt am Besamungstag wieder ab. Der Peak, also das Maximum der Aktivitätserhöhung, ist eindeutig zu erkennen.

Brunstbeginn definieren

Der Beginn der Brunst muss dagegen definiert werden: Wenn an drei aufeinander folgenden 2-Stunden-Werten die aktuelle Aktivität gegenüber den entsprechenden Werten außerhalb der Brunst um mindestens 25 % erhöht ist, dann ist der erste dieser 2-Stunden-Werte der festgelegte Brunstbeginn. Beispielhaft ist das in Übersicht 1 dargestellt.

Die Aktivität ist eine dimensionslose Einheit. Die grünen Säulen charakterisieren die normale „Grundschwingung“ der Aktivität an Tagen außerhalb der Brunst. Diese wurden zweimal hintereinander gesetzt für den Tag vor der KB (Tag –1) und für den Tag der Besamung (= Tag 0). Die rote Linie charakterisiert beispielhaft den Anstieg der Aktivität während der Brunst. Dieser beginnt in dem Beispiel etwa um 10 Uhr am Tag –1.

Gegen 12 Uhr wird erstmalig die Grundaktivität in diesen beiden Stunden um mehr als 25 % überschritten. Da die folgenden vier Stunden ebenfalls eine deutliche Aktivitätserhöhung zeigen, wird der 2-Stunden-Block von 12 Uhr an als Brunstbeginn definiert. Der Peak der Aktivitätserhöhung wird etwa um 20 Uhr am Vortag der KB erreicht. Im Beispiel wird die Kuh gegen 8 Uhr besamt. Auf diese Weise kann für jede einzelne besamte Kuh der Zeitabstand zwischen Brunstbeginn und KB bzw. zwischen Peak und KB berechnet werden. Im vorliegenden Beispiel vergehen 20 Stunden zwischen Brunstbeginn und KB und 12 Stunden zwischen Peak und KB. Im letzten Schritt können Kühe mit gleichen Abständen zur KB zusammengefasst werden, um die Konzeptionsrate aus den Erstbesamungen zu berechnen.

Brunst dauert fast einen Tag

In der Vergangenheit hörte man immer wieder, dass sich bei Hochleistungskühen die Brunstdauer verkürzen und die Intensität der Brunstsymptome reduzieren würde. Die Auswertungen der Universität zeigen jedoch, dass die (automatisch erkannte) Brunst auch heute noch im Mittel fast 17 Stunden dauert – trotz hoher Milchleistung. Da das Aktivitätsmaximum oft in den Nachtstunden liegt, wird die Brunstdauer bei der direkten Brunstbeobachtung unterschätzt. Außerdem lässt sich der Brunstbeginn (nachts) kaum feststellen.

Vier Betriebe unter der Lupe
In die Untersuchung bezog das Forschungsteam um Prof. Dr. Steffen Hoy vier Betriebe mit Boxenlaufställen und Kühen der Rasse Deutsch Holstein Schwarzbunt ein und konnte 3230 Brunstzyklen von 1633 Kühen auswerten. Die Aktivität wurde durch SCR HeatimeTM HR (SenseHubTM; Allflex) erfasst. In den vier Betrieben wurden Tag und Uhrzeit sämtlicher Besamungen (KB) notiert. Außerdem wurde der Erfolg der KB (Trächtigkeitsuntersuchung TU positiv oder negativ) dokumentiert. Es wurden nur Daten von Tieren von der ersten Laktation an erfasst. Bei der Brunstkontrolle verließ sich der Betrieb 1 dabei vollständig auf das System. Die anderen Betriebe achteten ergänzend bei Stallarbeiten oder gezielt zweimal täglich auf Brunstsymptome, wie gesteigerte Unruhe und Blöken der Kuh, Schleimfluss oder Duldung. Alle Betriebe führten Eigenbestands-Besamungen, zum Teil zu festen Zeiten, durch. Die TU fand in den Betrieben unterschiedlich vom 30. bis 60. Tag nach KB mittels Ultraschall- oder rektaler Untersuchung statt.

In den vier untersuchten Betrieben fand im Mittel 21,5 Stunden nach dem (vom Forscherteam definierten) Brunstbeginn und etwas mehr als 15 Stunden nach dem Peak der Aktivität die KB statt. Die Aktivität stieg zum Peak hin um 200 %. Bei 84 % der Kühe gab es einen deutlich erkennbaren Peak, bei 16 % folgte nach einigen Stunden, in ­denen die Aktivität abnahm, ein zweiter Peak. Für die Besamung spielt das keine Rolle. Man muss den ersten Peak als Signal für den KB-Zeitraum verwenden. Schließlich kann man nicht wissen, ob sich ein zweiter Peak anschließen wird.

Mehr als 95 % der Kühe zeigten eine automatisch feststellbare Brunst. Diese Messergebnisse zeigen, dass mit der automatischen Messung bei den Kühen auch heute eindeutige Brunstsymptome nachgewiesen werden können. Es ist allerdings nicht klar, warum 5 % der Kühe während der Brunst keine Aktivitätserhöhung aufwiesen. Eventuell könnten Verhaltensprobleme rangniedriger Kühe eine Rolle spielen.

Wann also Kühe besamen?

Das Team um Prof. Hoy wertete die Kühe aus, die nach einer KB am betreffenden Tag trächtig wurden (TU+, Konzeptionsrate). Damit bewiesen sie, dass es sich tatsächlich um eine „echte“ Brunst gehandelt hatte und der Besamungstermin richtig gewesen sein muss.

Mit den letztlich auswertbaren 2992 Besamungen (ohne Doppel- oder Nach-KB) konnte ein Zusammenhang zwischen dem Zeitintervall „Aktivitäts-Peak bis KB“ und der Konzeptionsrate nachgewiesen werden.

Bei den 75 zu früh besamten Kühen (der KB-Termin lag in diesen Fällen vor dem Peak der Aktivität) wurde lediglich eine Konzeptionsrate von 26,2 % festgestellt (Übersicht 2). Dabei ist es eher überraschend, dass bei einem Viertel der Kühe eine derart frühe Besamung überhaupt zur Konzeption geführt hat. Die 414 Kühe, die zwei bis sechs Stunden nach dem Peak besamt wurden, hatten immerhin schon einen Anteil von 42,1 % tragend gewordener Tiere.

Der höchste Besamungserfolg mit einer Konzeptionsrate von 44,2 % wurde dann erreicht, wenn die Besamung acht bis zwölf Stunden nach dem Aktivitäts-Peak erfolgte. Bei später besamten Kühen ging die Konzeptionsrate wieder zurück. Etwas überraschend erzielten Kühe mit einer Besamung 26 Stunden nach Aktivitäts-Peak oder sogar noch später einen Wert von 41,2 % tragend gewordener Tiere.

Individuell von Tier zu Tier

Das Ergebnis zeigt, dass die Zeitspanne, innerhalb derer Kühe tragend werden können, beträchtlich lang und auch individuell verschieden sein kann. Theoretisch können die Spermien 24 Stunden oder mehr nach der Besamung ­befruchtungsfähig sein. Das vergleichsweise gute Ergebnis sehr spät nach dem Aktivitäts-Peak besamter Kühe ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass eine ­Reihe von Kühen nach einem festen Zeitprogramm besamt wurde. Wenn eine Kuh beispielsweise um 4 Uhr morgens ihren Aktivitäts-Peak hat, der Besamer aber generell um 8 Uhr besamt, wird das Tier nicht nach 4 Stunden, sondern ggf. erst am nächsten Tag um 8 Uhr, also 28 Stunden nach Peak besamt.

Ähnliche Konzeptionsergebnisse wurden erzielt, wenn der Brunstbeginn zur Festlegung des Zeit­intervalls bis zur Besamung genutzt wurde. Das beste Besamungsergebnis wurde dann erreicht, wenn die Kühe 16 bis 22 Stunden nach Brunstbeginn besamt wurden. Generell ist zu beachten, dass als Zielgröße der Anteil nachweislich tragender Tiere an den besamten Kühen (Trächtigkeitsuntersuchung = positiv, TU+) verwendet wurde. Es ist durchaus möglich, dass zunächst deutlich mehr Kühe tragend wurden, aber durch frühembryonale Verluste (die 15 % und mehr betragen können) die Konzeptionsrate letztlich in der nachgewiesenen Größenordnung ausfiel.

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