Serie Premiumprodukt Kalbfleisch

Kälbermast in der Schweiz: Die Qualität muss stimmen

Als Kälbermäster ist Paul Weiss einem erhöhten Kostendruck am Markt ausgesetzt. Seit Wegfall des Labelprogramms in der Schweiz kommt es für ihn umso mehr auf eine gute Schlachtqualität an.

"Die Kälbermast war schon ­immer meine Leidenschaft. Seit ich unseren Hof übernommen habe, hatten wir immer zwischen 30 und 80 Kälber“, sagt Paul Weiss aus Küssnacht (Schweiz). „Doch nur dafür einen Stall zu bauen? Lange Jahre rechnete sich das nicht. Bis die Möglichkeit kam, für das Coop-Naturafarm-Label zu produzieren.“

Paul Weiss hät Mastkälber und Mutterkühe in der Schweiz. (Bildquelle: Kokenbrink)

Als Weiss den Stall für 123 Kälber 2014 nach „Besonders Tierfreundlicher Stallhaltung“ (BTS)- und „Regelmäßigen Auslauf der Tiere im Freien“ (RAUS)-Kriterien baute, lieferte er an Coop, bis der orange Riese das Kalbfleisch Ende 2020 vollständig aus dem Labelprogramm strich. Seitdem muss er sein Fleisch unter Wert verkaufen.

Die Kapazität hat er schon heruntergefahren. 40 Tiere sind derzeit eingestallt. „Bei der jetzigen Marktlage und steigendem Kostendruck rechnet es sich kaum noch“, sagt er. „Um dennoch ein Plus zu erwirtschaften, muss die Qualität des Schlachtkörpers stimmen, sonst gibt es Abzüge.“ Seit Corona ist die Situation noch angespannter, da die Gastronomie weniger Fleisch verkauft.

Komfort für Kälber

Seine Investitionen in das Tierwohl bereut Weiss nicht. Im Stall können seine Kälber entscheiden, ob sie sich im Außenbereich oder im Stall aufhalten wollen. Die Tiere stehen auf Tiefstreu und haben Zugang zu einem nicht überdachten Außenbereich. Bei den Tränken stehen sie auf gummierten Spalten. Das sorgt für eine einfache Reinigung und gute Hygiene. Die Raufuttervorlage ist vorgeschrieben. Stroh allein genügt nicht – Heu, Mais oder ein gleichwertiges Raufutter muss ergänzt werden.

Im Kälberstall ist Frischluft ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Mast. Der Stall ist teilweise zwangsbelüftet und verfügt über eine Schlauchbelüftung, die Weiss 2017 nachgerüstet hat. Vorher blieb die alte Luft drinnen. Die Luftströmung ist jetzt viel gleichmäßiger, das wirkt sich positiv auf die Tiergesundheit aus.

Aus Sicht des Tierwohls ist die Haltung auf Stroh optimal. Im Winter dient es zudem als „Bodenheizung“ für die Tiere. Stroh hat für den Landwirt aber zwei Knackpunkte: „Erstens Ammoniak, das aus dem Mist entsteht, und zweitens Staub. Die Tiere wirbeln ständig Staub auf, das ist eine Dauerbelastung für die Schleimhäute und leider ein Türöffner für Lungenentzündungen“, sagt er.

Neben Stroh müssen Raufutter und frisches Wasser verfügbar sein. Empfohlen wird strukturreiches und sauberes Heu. „Befinden sich Erde oder Erntereste im Heu, wirkt sich das durch den Humusgehalt negativ auf die Kalbfleischfarbe aus“, sagt der Landwirt. ­Zusätzlich erhalten die Kälber in geringen Mengen Torf, um die Verdauung zu fördern.

Neben der eingestreuten Liegefläche, muss den Kälbern auch noch ein anderes Raufutter zur Verfügung stehen. (Bildquelle: Kokenbrink)

Die Kälber erreichen den Betrieb im Alter von vier bis sechs Wochen und mit einem Gewicht von etwa 80 kg. Weiss bezieht die Kälber privat von sechs Betrieben aus dem Dorf. „Wir sprechen uns individuell ab. Ich muss flexibel sein, aber mir waren die kurzen Lieferwege extrem wichtig“, erklärt er. Als er noch 123 Tiere einstallte, kamen diese über einen Händler von teilweise über 100 Betrieben quer aus der Schweiz.

Die unterschiedliche Herkunft der Kälber erhöht den Krankheitsdruck. Daher bleiben die Tiere in den ersten zwei bis drei Wochen nach Ankunft in Quarantäne in Iglus, die im Auslauf stehen. „Mit dieser freiwilligen Mehrarbeit können wir gesundheitsmäßig etwas bewirken“, so der Mäster. Kälber dürfen nach den ersten zwei Lebenswochen nur dann in Einzelboxen gehalten werden, wenn die Iglus eine Auslauffläche ins Freie mit Sichtkontakt zu anderen Kälbern haben.

Milchmenge steigern

In den Iglus erhalten die Kälber zweimal täglich 4 bis 5 l Milch mit einer Konzentration von 135 g Milchaustauscher pro 1 l Wasser. Weiss füttert Milchnebenprodukte in Pulverform. Bestandteile sind hauptsächlich Molkeneiweißpulver, Magermilchpulver sowie Dextrose, Fette, Eisen und Spurenelemente. Wenn die Kälber nach zwei bis drei Wochen in die Gruppe kommen, erhalten sie Milch ad ­libitum über einen Tränkeauto­maten und erreichen so frühzeitig hohe Tageszunahmen.

Die ersten sieben Wochen am Automaten erhalten sie Vormastfutter, danach – etwa zur Mastmitte – Endmast­futter. Vor- und Endmastfutter unter­scheiden sich in ihrer Zusammensetzung (Rohfett- und Eisenanteil) minimal. Über den Tränkeautomaten steigert Weiss die Tränkekonzentration täglich um 2 g/l Wasser bis auf 210 g/l Wasser. „Nach acht bis zehn Wochen auf dem Betrieb sollte ein Kalb das Optimum von 3 kg Gesamt-Trockensubstanz (TS) erreicht haben“, sagt Paul Weiss. Sein Ziel liegt bei einer Futteraufnahme von 13 bis 15 l pro Tag und Tier und Tageszunahmen von 1  500 g täglich.

Qualität wird gefordert

Mit der Fütterung richtet sich Paul Weiss gezielt am Markt aus. „Die Qualität des Schlachtkörpers wird gefordert.“ Durch eine hohe TS-Aufnahme will er einen möglichst hohen Fleischansatz erzielen. Die Schlachtkörperqualität wird nach zwei Kriterien bemessen: der visuellen Beurteilung der Fleischigkeit sowie dem Ausmastungsgrad, also der Fettabdeckung.

„Wir versuchen von Anfang an restriktiv ­Eisen zu füttern und nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu geben“, sagt er. Die Eisengabe variiert von Tier zu Tier. Zu Beginn erhalten die Kälber normalerweise 10 ml Selen und 5 x 2 ml Eisen als Paste. Anschließend verabreicht er in den ersten sechs Mastwochen je nach Bedarf Eisenpräparate mit einem Dosiergerät über den Tränkeautomat. „Wir können die Fleischfarbe nicht kontrollieren“, sagt Weiss. Spätestens bei 160 kg Lebendgewicht hört er mit der Eisengabe auf, damit die Kälber das Hämoglobin bis zur Schlachtung noch verbrauchen können, falls der Gehalt zu hoch ist. Ausreißer gibt es trotzdem immer.

„Die Fleischfarbe ist oft genetisch bedingt. Da kannst du füttern wie du willst, die sind einfach rot.“ Auch unruhige Tiere sind eher dunkel im Fleisch. „Genauso gibt es viele Tiere, deren Fleisch ist laut Tierschutz einfach zu hell, aber wir wissen es erst, wenn sie geschlachtet sind. Und der Abnehmer sieht helles Fleisch gerne“, sagt Weiss.

Tiergesundheit essenziell

Ebenso entscheidend für eine erfolgreiche Mast ist die Tiergesundheit. „Je besser das Auge, desto besser der Erfolg“, erklärt Weiss, der täglich drei bis vier Stallrundgänge macht. Neben Lungenentzündungen und Durchfall hat er wie viele andere Mäster mit Ohrenentzündungen zu kämpfen – die Gründe sind weitgehend unbekannt. „Häufig tritt die ansteckende Ohrenentzündung bereits auf den Geburtsbetrieben auf und wird dort nicht bemerkt, sodass man nicht immer eine Chance hat“, sagt er.

Um Rindergrippe vorzubeugen, erhalten die Kälber zu Anfang eine Impfung. Metaphylaktische Behandlungen sind im Mastverlauf bei rund 70 % der Kälber nötig, prophylaktische Behandlungen gibt es aber nicht. Erst bei Krankheitsausbruch, zum Beispiel Rindergrippe in der sechsten oder siebten Mastwoche, behandelt er die betroffene Gruppe entsprechend. Ansonsten werden nur Einzeltiere behandelt.

Trotz intensiver Tierkontrolle liegt die Zahl der Abgänge im Schnitt bei rund 3 % und ist primär auf Lab­magengeschwüre zurückzuführen, gefolgt von Lungenentzündungen und Kokzidien.

Hoher Kostendruck

Mit einem Alter von vier bis fünf Monaten sind die Kälber schlachtreif. Je nach Rasse haben sie dann ein Lebendgewicht von etwa 220 bis 260 kg erreicht. Die Ausschlachtung variiert je nach Rasse, Genetik und Fettabdeckung: Bei Holstein rechnet Weiss mit etwa 52 bis 53 %, bei Brown-Swiss mit 53 bis 55 % und bei vollfleischigen Tieren mit bis zu 56 bis 60 %.

Zum Ende der Mast werden die Tiere wöchentlich gewogen. „Dann arbeiten wir sicher mit dem Lebendgewicht und bewerten den Fettansatz“, sagt er. „Bei einem zu knappen Fettansatz machen wir die Tiere möglichst schwer. Jede Woche, die sie länger bleiben, kommt der Schlachtkörperausbeute zu­gute“, berichtet er.

Durch die enormen Kosten in der Fütterung ist der Mäster auf hohe Schlachterlöse angewiesen. Für die Kälbermast gibt es zurzeit kein Labelprogramm, was die Situation erschwert. Der Erlös für konventionelle, vollfleischige Kälber (Kategorie T3) liegt derzeit bei etwa 12,90 CHF (11,77 €). Bei einem Schlachtgewicht von 135 kg macht das 1741,50 CHF (1588,92 €), ­wovon zwischen 40 und 60 CHF (36,50 bis 54,74 €) Transportkosten abgezogen werden.

Hinzu kommen die starken Schwankungen des Kalbfleischpreises im Jahresverlauf, da das Angebot nicht immer der Nach­frage entspricht.

„Die Schweizer Kalbfleischproduktion ist sehr teuer, und die Diskussion geht in ganz Europa weg vom Fleisch.“ Immer mehr Betriebe müssten ihre Investitionen in Stallgebäude zu einem bedeutenden Teil über außerbetriebliche Einkommen querfinanzieren. Zudem ist das Produkt Kalbfleisch speziell: In der Schweiz werden über 50 % im Gastrobereich gebraucht – Kalbfleisch landet bei Weitem nicht in jedem Haushalt. Der Pro-Kopf-Konsum lag 2019 bei 2,2 kg pro Person und Jahr, Tendenz rückläufig. „Wenn sich der Markt besser entwickelt, stalle ich wieder mehr Tiere auf“, sagt der Landwirt.

Wie geht’s weiter?

Wegen der hohen Risiken und niedrigen Erlöse wäre der Einstieg in die Integrationsmast eine Alternative. Dort würde er einem Unternehmen seine Arbeitskraft und den Stall zur Verfügung stellen, Tiere und Futter stellt der Integrator. Für die Betreuung erhielte er einen festen Betrag, der zwar geringer wäre als bei eigener Vermarktung, aber auch niedrigeres Risiko bedeutete. Für die kommende Zeit plant Weiss bei unveränderter Situation mit weniger Tieren.

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