Die Sortimentsbreite von Pflanzendrinks in den Regalen im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) steigt enorm. In vielen Filialen haben die Produkte bereits ein eigenes Regal. „Der Markt für Pflanzendrinks scheint zu explodieren. Marktexperten gehen davon aus, dass der Boom noch weiter anhält“, sagt Dr. Rudolf Schmidt, Geschäftsführer bei der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW. Neben Start-ups, wie Black Forest Nature, Vly oder Bedda, drängen sich auch lang etablierte Genossenschaftsmolkereien wie Arla aber auch Privatmolkereien wie Naarmann, Müller oder Dr. Oetker auf den Markt um pflanzliche Milchalternativen.
Enormes Wachstum
Im Juni dieses Jahres wurden bereits 22,8 Mio. l Milchimitate im Handel verkauft. Im Vergleich waren es 2019 im gleichen Monat 9,5 Mio. l. „Wenn unter anderem das Wachstum der Pflanzendrinks so weitergeht, haben wir in fünf bis zehn Jahren 30 bis 35 % weniger Absatz an konventioneller Trinkmilch im LEH. Momentan haben die pflanzlichen Alternativen einen Marktanteil von etwa 10 % bei Trinkmilch“, sagt Schmidt.
Im Einzelhandel landen etwa 39 % der deutschen Milch (fast 13 Mio. t). 2019 gingen rund 4,6 der 33 Mio. t Milch in die Konsummilchproduktion, so der Experte. Dieser Anteil ist relevant: „Wenn die Anteile an Trinkmilch um 30 % rückläufig sind, muss diese Milch einen anderen Absatzmarkt finden.“ Doch auch Kuhmilch verzeichnet in den Segmenten Bio- und Weidemilch steigende Zahlen. „Beide funktionieren nach wie vor gut im LEH“, beschreibt Schmidt den Markt.
Molkereien springen auf
Der Hype um die Milchalternativen geht nicht an den Molkereien vorbei: Viele sind bereits in die Produktion eingestiegen. „Scheinbar können viele Molkereien ihre Produktionsanlagen umnutzen. Solche wachsenden Märkte können eine Chance sein, sowohl für Molkereien als auch für Bauern“, findet Schmidt. So ist aus der Branche vermehrt zu hören, dass Molkereien auf Landwirte zugehen, um sie für den Anbau von Hafer für Pflanzendrinks zu gewinnen. „Vielleicht bietet das sogar eine Möglichkeit, das Milchgeld aufzubessern“, vermutet der Fachmann.
Allerdings kommen auch die Pflanzendrinks vermehrt in Diskussionen rund um das Thema Nachhaltigkeit. „Momentan ist es vor allem ein Hype um die pflanzlichen Drinks“, schätzt Schmidt. Fraglich ist aber, ob die Konsumenten der Pflanzendrinks überhaupt vorher Milchtrinker waren. „Pflanzendrinks schmecken nicht wie Kuhmilch. Es bleibt abzuwarten, ob sich „echte“ Milchtrinker von dem Geschmack überzeugen lassen“, gibt Schmidt zu bedenken. Die Hauptmotive der Konsumenten für den Kauf von Pflanzendrinks müssen noch geklärt werden: Sind es persönliche Beiträge für das Klima, Nachhaltigkeit oder Tierwohl? Hat es ernährungsphysiologische Gründe? Sind die Produkte vor allem hip?
Schmidts Rat an die gesamte Branche: „Gelassenheit bewahren. Erst mal müssen sich die Pflanzendrinks bewähren.“ Sicher ist er, dass die Branche gut daran tut, auf den Boom zu reagieren: „Wir müssen Kuhmilch sexyer machen. Der Hype bei Pflanzendrinks kommt aus der provokanten Werbung und dem Marketing, nicht von den guten Inhaltsstoffen.“
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