Haltungsform-Kennzeichnung, ITW Rind

Handel will Milch über gesetzlichem Standard

Der Lebensmittelhandel will eine Milchproduktion über dem gesetzlichen Standard: schnell, flächendeckend und am liebsten ohne zusätzliche Bezahlung.

Mehr Tierwohl in Deutschland – an diesem Ziel hält der Lebensmitteleinzelhandel fest und knöpft sich nun die Milchproduktion vor. Werkzeug dafür ist die vierstufige Einstufung der Haltungsform, die führende Händler auf Fleisch der Eigenmarken platzieren (www.haltungsform.de).

Spätestens seit der Aldi-Ankündigung, das deutsche Frisch-Fleisch-Sortiment für Rind, Schwein und Geflügel bis 2030 auf Haltungsform 3 (Außenklima) und 4 (Bio) umzustellen, ist klar: Der gesetzliche Standard (Haltungsform 1) reicht dem Handel nicht mehr. Und das gilt, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, nicht nur für Fleisch, sondern auch für Milch. Denn wenn das in Deutschland beliebte „Gehacktes – halb Schwein, halb Rind“ ab 2030 mindestes aus Haltungsform 3 kommen soll, müssen auch die Schlachtkühe in Stufe 3 stehen. Und damit dürfte automatisch auch die Milch ab 2030 in Stufe 3 rücken. Damit wären die derzeit noch rund 20 000 Anbindestallbetriebe in Deutschland raus. Und auch etliche Laufstallbetriebe müssten noch in Tierwohl investieren. Die Zielmarke hat Aldi damit gesetzt.

Milch auch in Haltungsformen einstufen

Deshalb passt es, dass nur wenige Tage nach der Aldi-Ankündigung die in der Initiative Tierwohl (ITW) engagierten Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels vermeldeten, ab 2022 auch Milch und Milchprodukte wie Käse sowie Joghurt in das vierstufige Haltungsform-Kennzeichen einzuteilen. Wann es genau mit welchen Produkten losgeht, ist noch offen. „Aber weil der Eigenmarken-Anteil bei Molkereiprodukten zum Teil bis zu 80 % beträgt, ist klar: Es kommt, und es rollt sich auf die gesamte deutsche Milchproduktion aus“, sagt ein norddeutscher Molkereivertreter.

Klar sein dürfte, dass Stufe 1 bei Milch, die dem QM-Milch-Standard entspricht, zügig ausläuft und es mindestes Stufe 2 sein soll. Dazu gibt es in der ITW-Gruppe „Rind“ bereits Verhandlungen. Mit öffentlichen Statements halten sich die Teilnehmer bedeckt. Durchgesickert ist aber, dass es einen heftigen Streit ums Geld gibt. „Ein neutrales Gutachten zeigt, dass die Umstellung von Stufe 1 auf Stufe 2 den deutschen Milcherzeugern im Schnitt mehrere Cent/kg Milch kostet. Doch die Handelsvertreter wischen das beiseite, lassen ein Gegengutachten machen und wollen am liebsten gar keinen Aufschlag zahlen“, wettert ein Teilnehmer gegenüber dem Wochenblatt.

Zudem sei die Kostenaufstellung unvollständig. Beispielsweise seien die höheren Kosten der Molkereien, die mehr Milchströme erfassen und verarbeiten müssen, nicht eingeflossen. „Die müssen aber ebenfalls erfasst werden. Denn klar ist doch, dass die Molkereien die Kosten sonst mit einem niedrigeren Milchpreis kompensieren“, kritisiert ein Insider.

Handel findet passende Programme

Hinzu kommt: Der Handel ist nicht auf QM-Milch angewiesen, sondern nur auf das „Dach“ ITW. Er kann auch andere Programme wie das DLG-Programm Milchviehhaltung oder das Label des Deutschen Tierschutzbundes in seine Haltungsform-Kennzeichnung einsortieren. Dann könnte einen Wildwuchs und Wettbewerb bei den Kriterien sowie der möglichen Vergütung auslösen.

Viele Branchenvertreter setzen deshalb auf die Verhandlungen bei ITW Rind, ein rasches Ende sei aber nicht zu erwarten. Und wie es am Ende ausgeht, vermag auch niemand abzuschätzen. Den Vertretern der Landwirte ist zu wünschen, dass sie dem Handel begreiflich machen können: Mehr Tierwohl gibt’s nicht zum Nulltarif!

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