Ein Kalb wird geboren: In Vorderendlage und gestreckter Haltung verläuft die Geburt bei einem normal großen Kalb zügig und ohne Hilfe von außen. Die Kuh beginnt nach einer kurzen Verschnaufpause, das neugeborene Kalb trocken zu lecken und regt so gleichzeitig Atmung und Kreislauf an. Nach einigen Sekunden bis wenigen Minuten liegt das Kalb in Brust-Bauch-Lage, hebt den Kopf, schüttelt sich und niest die letzten Reste Fruchtwasser aus der Nase. Die Atmung geht tief und regelmäßig, wenn auch noch etwas angestrengt mit deutlichem Hochziehen der Nasenöffnungen. Bald unternimmt es erste Aufstehversuche. So sieht eine unkomplizierte Geburt aus.
Erst das Kalb, dann die Kuh
Auch bei so einer Geburt gilt die Grundregel: Erst das Kalb, dann die Kuh versorgen. Ist das Kalb unauffällig im Verhalten oder Erscheinungsbild, ist eine genaue Kontrolle von Herz und Atmung in der Regel nicht nötig. Ein Blick auf den Nabel ist angebracht, um festzustellen, ob die Nabelschnur in physiologischer Länge gerissen ist (etwa eine Handbreit unter der Bauchdecke), keine Blutung vorliegt, die Bauchdecke intakt und kein Nabelbruch vorhanden ist. Ist alles im grünen Bereich, ist kein weiteres Handeln notwendig. Dann folgt die Versorgung der Kuh (Kasten „Kuh richtig versorgen“).
Zeichen einer Schwergeburt
Leider kann es jedoch auch zu Schwergeburten kommen. Von diesen spricht man, wenn
- die Geburt ungewöhnlich lange dauert,
- viel Hilfe seitens des Landwirts oder des Tierarztes notwendig ist
- oder sogar ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss.
- Zu solchen Geburten kommt es oftmals, wenn
- das Kalb sehr groß ist und nur knapp den Geburtsweg passieren kann,
- das Kalb in Hinterendlage liegt
- sowie eine Fehlstellung oder -haltung von Kalb und/oder Gliedmaßen oder Kopf vorliegt, die korrigiert werden muss.
Im schlimmsten Fall kann so eine Geburt Kalb und Kuh das Leben kosten.
Zeichen richtig deuten
Mit ein wenig Erfahrung und einem wachsamen Auge kann der Landwirt während der Geburt beurteilen, ob das Kalb im Anschluss eine intensivere Versorgung benötigen wird. Diese Zeichen während der Geburt sprechen für ein lebensschwaches Kalb:
- Abgang von Darmpech (bräunliches Fruchtwasser, verschmiertes Fell),
- schwache/ausbleibende Fruchtbewegung,
- schwache/ausbleibende Reflexe beim Kalb (Zwischenklauenreflex, Lidreflex, Analreflex),
- Anschwellen von Zunge, Kopf und Gliedmaßen,
- Teile der Nachgeburt werden vor dem Kalb „geboren“,
- Blaufärbung von Zunge und Schleimhäuten,
- Trockenheit des Kalbes (Fruchtwasser vor längerer Zeit abgegangen).
Wie vital ist das Kalb?
Nachdem das Kalb das Licht der Welt erblickt hat, sollten sich Landwirte einen schnellen Überblick über die Vitalität verschaffen:
- Atmet das Kalb?
- Schlägt das Herz?
- Welche Farbe haben die Schleimhäute?
- Zeigt sich ein Zungen- und Saugreflex?
- Ist Muskeltonus vorhanden?
- Ist das Kalb ausgereift?
Wenn das Kalb zumindest schwache Lebenszeichen zeigt, sollte es so schnell wie möglich in eine stabile Brust-Bauch-Lage gebracht werden. Das Kalb also auf den Bauch legen, die Vorderbeine anwinkeln und die Hinterbeine zur Stabilisierung des Kalbes links und rechts des Körpers nach vorn gestreckt positionieren. So kann der Kreislauf am besten in Schwung kommen. Eine kräftige Rubbelmassage des Brustkorbs mit trockenem Stroh oder Handtüchern regt den Kreislauf zusätzlich an.
Natürlich ist Eile geboten, wenn das Kalb zum Beispiel nicht atmet. Dann müssen nicht alle aufgeführten Fragen im Detail beantwortet werden. Um dem Kalb die Atmung zu ermöglichen, sollte man zunächst sicherstellen, dass die Atemwege frei von Fruchthüllen und Schleim sind.
Nicht über Kopf!
Bitte das Kalb nicht an den Hinterbeinen hochheben oder gar kopfüber aufhängen! Diese weit verbreitete Praxis hat sich als eher kontraproduktiv erwiesen. Zum einen handelt es sich bei eventuell ausfließender Flüssigkeit zum Großteil um Labmagenflüssigkeit, nicht um Fruchtwasser. Zum anderen drücken beim Überkopfhalten alle inneren Organe von innen auf das Zwerchfell und erschweren die Atmung zusätzlich.
Zu guter Letzt wird der Kreislauf des Kalbes stark belastet, da das Blut Richtung Kopf fließt und das Herz des Neugeborenen oft noch nicht stark genug pumpt, um einer Stauung entgegenzuwirken.
Erste-Hilfe-Maßnahmen
Besser ist ein Kaltwasserguss über Kopf und Nacken. Nicht über den Körper, da dann die Gefahr einer Unterkühlung besteht. Auch der Einsatz von speziellen ätherischen Ölen (meist in Spray-Form) als Atemstimulanz hat sich bewährt.
Möglich ist auch, einen Akupressurpunkt zu stimulieren, um die Atmung anzuregen. Dieser befindet sich mittig auf dem Flotzmaul zwischen den Nasenöffnungen. Ein kräftiger Druck mit dem Finger oder ein Piksen mit einem festen Strohhalm auf diese Stelle oder ein Kneifen in die Nasenscheidewand kann ebenfalls zum Einsetzen der Atmung führen.
Hilft alles nichts, muss das Kalb beatmet werden. Dies kann über eine Mund-zu-Nasen-Beatmung erfolgen oder durch eine extra zu diesem Zweck entwickelte Atempumpe („Kälberretter“). Auch eine Herzmassage kann gute Dienste leisten, um den Blutfluss im Gang zu halten.
Diese Maßnahmen lassen sich am besten zu zweit durchführen und die korrekte Durchführung sollte bekannt sein. Ist sie das nicht und der Tierarzt ist nicht rechtzeitig zur Stelle, sollte ein Wiederbelebungsversuch dennoch erfolgen, denn ansonsten ist das Kalb sicher verloren. Beginnt das Kalb nach einer Wiederbelebung selbstständig zu atmen, sollte es zügig in die oben beschriebene aufrechte Lage gebracht werden, um ihm die Atmung zu erleichtern.
Kälber brauchen länger
Kälber, die nach der Geburt Unterstützung oder gar eine Wiederbelebung benötigt haben, brauchen meist länger, um sich von den Strapazen zu erholen. Die ersten Aufstehversuche und die Aufnahme von Milch können sich bei diesen Kälbern etwas verzögern. Frisches Kolostrum sollte dennoch innerhalb der ersten vier Stunden angeboten und zumindest teilweise aufgenommen werden.
Kälber aus Schwergeburten sind durch den Stress und eventuell eingeatmetes Fruchtwasser meist noch krankheitsanfälliger als Kälber, die ohne Probleme zur Welt kamen und sind somit noch mehr auf eine gute Kolostrumversorgung angewiesen.
Ist das Kalb erst einmal über den Berg und hat Kolostrum in ausreichender Menge und Qualität aufgenommen, erfolgt die weitere Versorgung wie nach einer normalen Geburt. Allerdings sollten die Kälber nach Schwergeburten in den nächsten Tagen noch gründlich überwacht werden, ob sich nicht doch noch eine Erkrankung anbahnt.
Bei Kälbern aus Schwergeburten ist es zudem ratsam, mit dem Tierarzt abzusprechen, ob direkt eine zusätzliche Versorgung der Kälber sinnvoll ist. Bei Trinkproblemen durch eine geschwollene Zunge kann beispielsweise ein abschwellendes Mittel verabreicht werden. Kälber, die während oder nach der Geburt an Sauerstoffmangel gelitten haben, entwickeln nach der Geburt meist eine Azidose, die sie am Trinken und Aufstehen hindert. Wird diese zeitnah behandelt, lassen sich damit einige Probleme schnell und einfach lösen.
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