Leihmutterschaften sind in Deutschland verboten – zumindest bei Menschen. In der Milchkuhhaltung sieht das anders aus: Einige Rinder tragen Embryonen von anderen Tieren aus. Das ist eine Voraussetzung für den Embryotransfer (ET). Doch was für viele Landwirtinnen und Landwirte nach einer komplizierten Biotechnologie klingt, ist unter den Züchtern weit verbreitet.
Etwa 87 % der rot- und schwarzbunten Besamungsbullen, die deutsche Zuchtorganisationen anbieten, sind in Deutschland und Nordamerika geboren. 90 % von ihnen stammen aus ET. Das bestätigt Dr. Stefan Rensing von den Vereinigten Informationssystemen Tierhaltung (vit) in Verden. Doch wie funktioniert Embryotransfer und warum lassen Milchviehhalter das bei ihren Tieren durchführen?
Viele Eizellen produzieren
Wir begleiten Dr. Christian Niewöhner zu einer Spülung. Er ist Tierarzt und hat seit 1990 eine eigene Praxis in Melle im Osnabrücker Land. Seit 1991 bietet er auch Embryotransfer an. „Die Technik ist leicht auf den Höfen durchzuführen und hat sich etabliert“, sagt der 64-Jährige.
Heute steht auf seinem Plan ein rotbuntes Jungrind von Landwirt Friedrich Köster aus Steinfurt. Die hornlose McDonald-Tochter aus einer Simon P-Mutter ist zehn Monate alt und mit dem schwarzbunten Skat P besamt. Ab einem Alter von 10 Monaten ist ET möglich. Um Embryonen von ihr zu gewinnen, war etwas Vorarbeit nötig: „Friedrich Köster hat mir Bescheid gegeben, als das Rind bullig war. Eine Woche nach der Brunst habe ich es gynäkologisch untersucht, um sicherzugehen, ob sich das Spendertier für den ET eignet“, erklärt Niewöhner.
- Der Tag der Brunst ist im Zyklus Tag 0. Da die Eierstöcke bei Kösters Jungrind in gesundem Zustand sind, startet ab Tag 8 – also acht Tage nach Brunst – das Hormonprogramm.
- Von Tag 8 bis Tag 13 bekommt das Rind ein follikelstimulierendes Hormon (FSH). Das löst eine sogenannte Superovulation aus, damit nicht nur eine Eizelle heranwächst, sondern gleich mehrere.
- Am letzten Tag der FSH-Gabe wird die Brunst mit dem Hormon Prostaglandin (PG) eingeleitet.
- Zwei Tage nach Ende des Hormonprogramms steht die Besamung an. Diese findet zweimal im Abstand von etwa zwölf Stunden statt, um möglichst viele Eizellen zu befruchten. Das ist sowohl mit der künstlichen Besamung als auch mit einem Deckbullen möglich. Auch der Einsatz von zwei verschiedenen Bullen ist unproblematisch. Durch die genomische Untersuchung lassen sich die späteren Kälber den Vätern zuordnen.
- Sieben Tage nach der Besamung ist der große Tag gekommen: Christian Niewöhner spült die McDonald-Tochter um Embryonen zu gewinnen.
Während der Spülung ist das Tier im Fressgitter fixiert.
Horn für Horn
Zunächst ertastet der Tierarzt rektal den Muttermund. Anschließend führt er einen Ballonkatheter ein, der durch den Muttermund bis in die Gebärmutterhörner reicht. Dort befinden sich zu diesem Zeitpunkt die Eizellen. Niewöhner spült zuerst das linke und dann das rechte Horn.
Dafür benutzt er eine Nährlösung, die er per Spritze in den Katheter eingibt. Im Gebärmutterhorn nimmt die Nährlösung die Eizellen auf. Ebenfalls mit einer Spritze entnimmt der Tierarzt diese Flüssigkeit wieder und spült so die Embryonen heraus (Bild links). Im Anschluss trennt ein Filter die Embryonen von der Nährlösung.
Auf Eiersuche
Danach beginnt die Arbeit im mobilen Labor – einem Bulli, der mit Mikroskop und anderen notwendigen Utensilien ausgestattet ist. „Ich fülle den Filterinhalt in eine Petrischale und halte unter dem Mikroskop Ausschau nach Embryonen“, so der Tierarzt. Der Erfolg fällt jedes Mal unterschiedlich aus. „Das Maximum waren 56 Eizellen bzw. 56 Embryonen“, erinnert sich der Tierarzt. Für Friedrich Köster ist das Ergebnis heute leider ernüchternd: keine Embryonen, sondern fünf unbefruchtete Eizellen. Landwirt und Tierarzt wissen beide: Auch Nullrunden gehören zur Biotechnik.
Für den Fall, dass eine Spülung erfolgreich war gibt es zwei Wege: die Embryonen frisch übertragen oder einfrieren. Dafür werden die einzelnen Embryonen in einer Nährlösung in eine Spermapaillette gefüllt. Das Übertragen funktioniert ähnlich wie bei der künstlichen Besamung. Allerdings wird der Embryo nicht hinter dem Muttermund sondern in einem der Gebärmutterhörner abgelegt. Je nach dem, auf welcher Seite der Eisprung stattgefunden hat. Es ist wichtig, dass die Trägertiere zyklussynchron zum Spendertier sind. Sie müssen also sieben Tage zuvor in Brunst gewesen sein, damit die Gebärmutter im gleichen Rhythmus ist und sich ein Embryo einnisten kann.
„Auch die Kryokonservierung ist möglich, da Rinderembryonen sehr robust sind“, erklärt Tierarzt Niewöhner. Sie werden 1,5 Stunden langsam heruntergekühlt und anschließend bei -196°C in flüssigem Stickstoff konserviert.
Drei Kälber je Spülung
Die Trächtigkeitsraten beim Übertragen von Embryonen liegen bei etwa 60 %. Zum Vergleich: Bei der künstlichen Besamung sind es circa 70 %. „Im Durchschnitt ergeben sich pro Spülung etwa drei geborene Kälber“, berichtet der Tierarzt. Die Kosten für eine Spülung liegen bei rund 400 €. Hinzu kommen etwa 70 € je Embryo für das Übertragen.
Er hat außerdem die Erfahrung gemacht, dass ältere Kühe manchmal besser einen Embryo aufnehmen, als bei herkömmlichen Besamung tragend zu werden.
Die Biotechnik selbst hat sich etabliert, weil sie leicht auf den Höfen durchzuführen ist. Der Tierarzt merkt an: „Es ist wichtig zu wissen, dass wir nicht mehr Kälber produzieren als bei einer normalen Besamung. Das mag paradox klingen, aber letztlich braucht es für jeden Embryo eine Gebärmutter zum Austragen.“ Es geht also lediglich um die gezielte Vermehrung von spezieller Genetik. Also aus besseren Tieren mehr Nachkommen zu erhalten, um das Zuchtziel schneller zu erreichen. Er ist sich sicher: „Wir hätten heute nicht so viele gute Kühe, wenn es den Embryotransfer nicht schon seit 45 Jahren geben würde.“
Kösters Motivation
Um Spültiere auszuwählen, gibt es jedoch verschiedene Beweggründe. Landwirt Friedrich Köster schätzt das genomische Profil des Jungrindes: „Wir haben sie im Alter von drei Monaten mit einem Gesamtzuchtwert von 150 gekauft. Seitdem ist sie in jeder Zuchtwertschätzung gestiegen und hat nun 154 Punkte im RZG.“ Zudem gefällt ihm das Papier: Ein rotbuntes und zugleich hornloses Tier ohne die Bullen Solitair P und Salvatore im Pedigree sei außergewöhnlich. Momentan spült Köster eher genomisch hohe Tiere. Die sind nicht nur für ihn, sondern auch für das Zuchtprogramm der Rinder-Union West (RUW) interessant. Vielversprechende Einzeltiere lässt er genomisch untersuchen.
Auch Typtiere stehen für den Schau- und Auktionsbeschicker auf dem Plan. „Das lohnt sich allerdings nur, wenn Typkälber auch einen Erlös im Verkauf einbringen“, sagt er. Aktuell melkt Köster 120 Kühe mit einer Leistung von 12 700 kg Milch je Kuh und Jahr.
Kommentar
ET: ein Erfolgskonzept?
Embryotransfer ist eine Biotechnik mit zwei Seiten. Die Schattenseite: Ohne Hormone geht es nicht. Doch sollte man wissen: Es handelt sich um einen gezielten Einsatz bei Einzeltieren. Nicht um vorbeugende Maßnahmen oder die Behandlung der kompletten Herde. Und es ist keine gentechnische Veränderung.
Die schöne Seite: ET bringt Erfolge. Betriebe erreichen in kürzerer Zeit größeren Zuchtfortschritt – auch in Sachen Nutzungsdauer und Gesundheit. Gute Tiere lassen sich gezielt vermehren. Landwirtinnen und Landwirte können ihre Herde dadurch bewusster remontieren.
Trotzdem ist es kein System für Jedermann: Es braucht gute Genetik-Kenntnisse, erfordert Zeit und einen sorgfältigen Umgang mit Hormonen. Zuchtinteressierte können sich trauen – mit Augenmaß.
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