Dieser Beitrag ist zuerst bei "f3 - farm. food. future." erschienen.
Insekten-Burger, Müsliriegel aus Maden oder Pasta aus Mehlwürmern - derzeit wird vielerorts über Insekten als alternative Proteinlieferanten gesprochen. Ein für Insektenprotein mindestens genauso interessanter Markt liegt in der Nutztierfütterung. Seit einiger Zeit darf das Insektenmehl nämlich an Fische und Haustiere verfüttert werden. Und bald wahrscheinlich auch an Geflügel und Schweine.
Studien der Uni Göttingen zeigen, dass Insektenmehl aus ernährungs-physiologischer Sicht unter bestimmten Voraussetzungen als Futtermittel für Masthähnchen, Ferkel und Mastschweine geeignet ist. Aber wo auch immer es zum Einsatz kommt - kaum eins der bereits aktiven Start-ups züchtet die Insekten selbst. Viele beziehen das verarbeitete Mehl von wenigen großen Insektenzuchtanlagen in den Niederlanden, Frankreich oder gar Thailand. Ob um die halbe Welt transportiertes Insektenprotein dann noch besonders nachhaltig ist, müsste zumindest kritisch hinterfragt werden.
Einer der ersten Akteure, der auch in Deutschland Insekten im großen Stil züchten möchte, ist das Start-up „madebymade“ aus Leipzig. Die Gründer Kai Hempel und Dr. Jonas Finck haben in der alten Pelletieranlage einer örtlichen Agrargenossenschaft eine Zuchtanlage für eins der in Deutschland bislang als Nutztier zugelassenen Insekten gebaut: die Schwarze Soldatenfliege.
Sie legt Eier, aus denen proteinreiche Larven schlüpfen. Diese werden herangezogen, gemästet und anschließend getrocknet und zu Mehl verarbeitet. „Wir wollen eine nachhaltige Alternative zu Fisch- und Sojamehl schaffen“, sagt Kai Hempel. Bislang zählen der Proteingroßhandel und Futtermittelproduzenten für Heim- & Haustiere sowie für Aquakulturen zu seinen Kunden. Wenn es nach madebymade geht, könnten bald auch Unternehmen und Betriebe aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft dazuzählen.
Geschäftsmodell: Zuchtanlagen bauen
Der Marktwert von Insektenmehl lässt derzeit jedenfalls viele aufhorchen: Innerhalb weniger Jahre ist der Preis von 2000 €/t auf derzeit 5000 bis 6000 €/t angestiegen. Zum Vergleich: eine Tonne Weizen liegt derzeit bei rund 160€. Eine Tonne Sojaschrot bekommt man für 345€.
Also haben Kai und Jonas eine Art Stallbaukonzept für die Schwarze Soldatenfliege entwickelt. Ihre Anlage soll in einem Franchisesystem verkauft werden. Interessierte können sie für einen mittleren einstelligen Millionenbetrag kaufen und betreiben. „Sie rentiert sich nach etwa drei Jahren“, sagt Kai. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sich individuell daran zu beteiligen und für gewisse Rahmenbedingungen zu sorgen, die für die Wirtschaftlichkeit einer solchen Anlage notwendig sind: Sie muss in passenden, geschlossenen Räumlichkeiten von mindestens 2500 qm stehen. Es müssen große Mengen verfütterbare Reststoffe vorhanden sein. Und es sollte eine ergiebige Wärmequelle, wie etwa eine Biogasanlage oder eine Zellstofffabrik, in der Nähe sein. Das Ziel des Start-ups: vier weitere Anlagen in den nächsten fünf Jahren bauen.
Denn obwohl die Insektenzucht auch hierzulande schon von einigen Akteuren betrieben wird, fehlt noch ein übertragbares Konzept zur Zucht der Tiere im industriellen Maßstab. Wer also - auch als Landwirt - unter die Insektenzüchter gehen möchte, kann nirgends eine schlüsselfertige Anlage bestellen. Kai sieht in landwirtschaftlichen Betrieben jedoch durchaus eine Zielgruppe. Er sagt: „Große Landwirte oder Erzeugergemeinschaften können sich ausrechnen, ob es sich lohnt, die Futtermittel für den eigenen Betrieb herzustellen und den Rest zu verkaufen.“
Aus 18 t Reststoffen werden 1,8 t Insektenprotein
„Bis 2050 fehlen rund 280 Mio. t Proteine auf der Welt“, sagt Kai. „Der Markt ist riesig!“ Je größer der Anteil nachhaltig erzeugter Proteine daran wird, desto größer auch der Effekt auf Klima und Umwelt. Es geht den Gründern also um Masse. „Eine Grundgröße braucht man aber allein schon dafür, Zugang zum Großhandel für Proteine zu bekommen“, sagt der 33-jährige Betriebswirtschaftler. So benötigt beispielsweise ein angefragter Hundefutterhersteller pro Monat 25 t Proteinmehl. Wer das nicht liefern kann, kommt als Geschäftspartner nicht infrage.
Die kleinste madebymade-Anlage kann künftig 1,8 t Proteinmehl pro Tag herstellen. 18 t Futter müssen auf der Inputseite jeden Tag bereitgestellt werden. Die Anlage läuft 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche. Ein Mitarbeiter muss tagsüber vor Ort sein, da jeden Tag „geerntet“ wird. „Das Konzept ist standortunabhängig und modular aus alten Schiffscontainern gebaut“, erklärt Kai. „Nach oben kann frei skaliert werden.“ Seine Aufgabe: Um die entstehenden Anlagen herum möglichst nachhaltige Kreisläufe bauen.
Organische Reststoffe verfüttern, Abwärme nutzen
Das betrifft vor allem die Inputstoffe und die Energieversorgung der Anlage. Pro Tag müssen 18 t Input, also Futter für die Maden angeliefert werden. Verfüttert werden organische Reststoffe aus dem Handel oder der Industrie, die sonst häufig auf Deponien oder Komposthaufen landen: Küchen- und Speiseabfälle oder gar Gülle zu verfüttern, ist allerdings streng untersagt, stellt Kai klar. „Anfangs dachten wir, genug Input zu finden, könnte ein Problem werden. Aber überall sind so viele Reststoffe vorhanden. Allein hier um Leipzig herum fällt so viel an, dass wir viermal so viel produzieren könnten.“ Stichwort „Food Waste“ lässt grüßen.
Die Zucht der Schwarzen Soldatenfliege
In Pegau wächst die Schwarze Soldatenfliege in drei verschiedenen Containermodulen mit jeweils eigenen klimatischen Bedingungen heran. Obwohl die Tiere recht anspruchslos in der Aufzucht sind, liegt die Herausforderung darin, die Prozesse technologisch aufeinander abzustimmen. „Nicht alles, was im Labor funktioniert, klappt auch im Industriemaßstab“, sagt Kai. „Im Labor lässt sich die Temperatur auf die Nachkommastelle genau regeln. Die Industrieanlage können wir gerade einmal auf 1 bis 3°C genau einstellen.“
Schritt 1: Fliegenzucht
Wer durch die mit Netzen behangene Tür in den Reproduktionscontainer für die Fliegenzucht schlüpft, muss beim Sprechen unüberhörbares Summen ausblenden - und aufpassen, dass er keine der unzähligen Fliegen verschluckt. Die Tiere leben hier zehn bis 14 Tage lang bei 30°C. Dann legt jede weibliche Fliege einmalig ein Gelege aus rund 400 bis 800 Eiern. Danach stirbt sie. Kai erklärt: „Die männlichen und weiblichen Fliegen werden zusammen gehalten. Sie haben ein Paarungs- und Balzverhalten, zeigen Territorialverhalten und haben Ansprüche an die Umgebung. Erst wenn das alles funktioniert, paaren sie sich!“ madebymade nutzt eine Wildpopulation der Fliege. „Die eigentliche Zucht wird aber langsam interessanter“, so Kai. „Man versucht hineinzuzüchten, dass die Larven schneller wachsen, sich in andere Proteinbereiche weiterentwicklen oder die Fliegen mehr Eier legen.“
Schritt 2: Nursery/Aufzucht
Eigens entwickelte Eiablagen gelangen in die Aufzuchtstation. Hier schlüpfen die Larven nach fünf Tagen. Innerhalb der Aufzucht verbleiben die Larven in einer Art Ordnungssystem mit Kisten. Jeden Tag schlüpfen neue Larven. Sie bleiben unter sich, unterscheiden sich daher kaum in ihrer Größe und müssen nicht sortiert werden. Nach den fünf Tagen kommen die Larven in die Mast.
Schritt 3: Mast
Im dritten Schritt werden die Jungtiere aus der Aufzucht in große, sogenannte Mastpfannen „umgestallt“. Hier wartet ein Futtersubstrat, auf das sie gebettet werden. Nach 12 bis 14 Tagen haben sie das matschige Substrat komplett zu einem trockenen, fast geruchlosen Pulver zersetzt und sind zu stattlichen Maden herangewachsen. Während der Mast durchlaufen die Tiere verschiedene Temperaturstadien und müssen mal gekühlt und mal gewärmt werden.
Sind die Tiere erntereif, wird der Inhalt der Mastschalen in ein Sieb gekippt, um die Maden und die pulvrigen Ausscheidungen voneinander zu trennen. 5 % einer Tagesproduktion Maden gelangen wieder in die Reproduktion, wo sie sich nach weiteren 14 Tagen zur Fliege entwickelt haben. Der Rest geht in die Verarbeitung.
Schritt 4: Verarbeitung
Im letzten Step werden die Maden getrocknet und entfettet. „Das Endprodukt ist ein Pulver mit 45 bis 55 % Proteingehalt und einem Restfettgehalt von maximal 8 %“, sagt Kai. „Als Nebenprodukte vertreiben wir getrocknete Larven, extrahierte Fette, lebende Larven und die Ausscheidungen der Maden als Bodenverbesserer.“
Vorsprung dank Know-how
Wer nach dieser Beschreibung denkt, er könne selbst eine Anlage aufbauen, der täuscht sich. Davon jedenfalls sind die Gründer überzeugt. „Selbst wenn jetzt jemand mit ganz viel Geld käme, kann er so schnell nicht aufholen, was wir an Erfahrungen bereits gesammelt haben“, sagt Kai. Zu viele große und kleine Kniffe lösen Probleme, über die man erst in der Praxis stolpert: Wie muss die Eiablage beschaffen sein, damit die Muttertiere sie annehmen, aber sie sich dennoch ins Gesamtsystem der Anlage einfügen lässt? Wie schafft man es, dass die Larven nicht aus den Mastpfannen klettern? Wie gelangt die Nachzucht in die Reproduktion? Welche Anzahl Tiere wächst bei welcher Temperatur und auf welchem Inputtstoff am besten?