Ferkelkastration unter Narkose

Ein Jahr Isofluran-Erfahrung

Seit gut einem Jahr werden die männlichen Ferkel in vielen Betrieben unter Isoflurannarkose kastriert. Ein „Selbstläufer“ ist das Verfahren jedoch keineswegs, wie Rückmeldungen aus der Praxis zeigen.

Mit dem Beginn des Jahres 2021 wurde die betäubungslose Ferkelkastration in Deutschland verboten. Die Betriebe haben seither vier Möglichkeiten zur Behandlung ihrer männlichen Ferkel:

  • Immunokastration: Von der Tierärzte­schaft und dem Tierschutz wird die Immunokastration mittels Impfung befürwortet. In der Praxis durchgesetzt hat sich das Verfah­ren bislang nicht. Es werden nur Eber im geringen einstelligen Bereich so behan­delt.
  • Ebermast: Einige Betriebe haben sich dagegen auf die Ebermast spezialisiert. Das funktioniert eigentlich auch gut, wenn die beteiligten Mäster nicht bei der Schlacht­abrechnung immer wieder Erlösabzüge für die Eber hinnehmen müssten. Zudem war die Vermarktung von unkastrierten Ferkeln außer­halb fester Lieferpartnerschaften in den vergangenen Tiefpreismonaten ein fast unmögliches Unterfangen. Aktuell werden schätzungsweise etwa ein Viertel der Eberferkel in Deutschland nicht kastriert. Eventuell kann die Kostenexplosion beim Futter aber wieder zu einer vermehrten Ebermast führen. Denn die Tiere haben gegenüber Kastraten eindeutige Vorteile bei der Futterverwertung.
  • Injektionsnarkose: Inzwischen wird in der Mehrheit der Ferkelerzeuger­betriebe mit Erfolg unter Narkose kastriert. Kleinere Betriebe oder Betriebe, die in absehbarer Zeit auslaufen werden, aber auch einige größere Betriebe, haben sich bewusst für die Injektions­narkose durch die betreuende Tierarztpraxis entschieden. Sie haben die Kosten für die Anschaffung eines Narkosegerätes und den Aufwand für die Isoflurannarkose gescheut oder haben Angst vor eventuellen persönlichen Gesundheitsgefährdungen. Die Injektionsnarkose erfordert eine sorgfältige Planung und regelmäßige Terminabsprachen. Hier haben sich die beteiligten Tierarztpraxen und Betriebe in der Regel gut eingespielt. Bei unregelmäßigen Abferkelungen über einen längeren Zeitraum kann das aber schwierig sein. Auch die lange Nachschlafphase der Ferkel erfordert nach wie vor einen erhöhten Betreuungsaufwand.
  • Isoflurannarkose: Der mit Abstand größte Teil der heimischen Sauenhalter hat sich für die Isofluran­narkose mit den entsprechenden zertifizierten Geräten entschieden. Die Betriebe arbeiten jetzt seit rund einem Jahr mit der Technik. Das System hat aber nach wie vor seine Tücken und Herausforderungen. Darauf lassen jedenfalls die Rückmeldungen aus der Praxis schließen.

Erschwerter Start

Ein Grund für die Schwierigkeiten war sicherlich der „Kaltstart“ des Verfahrens. Der Zeitraum zwischen der offiziellen Zulassung der Isoflurannarkose durch den sachkundigen Landwirt und dem Start der Ferkelkastration unter Betäubung betrug nicht mal ein Jahr. Entsprechend kurz war die Zeit für die Hersteller, ihre Geräte prüfen, zertifizieren und in Serie fertigen zu lassen.

Und auch für die Sauenhalter war der Ablauf nicht optimal: Wegen der befristeten staatlichen Förderung mussten viele Landwirte sich für ein Gerät entscheiden, ohne dieses ausgiebig in der Praxis testen zu können. Das ging erst später, als die Narkose­geräte – teilweise unter Zeitdruck – an die Praktiker ausgeliefert wurden.

Letztendlich wurden insgesamt fünf Geräte in zwölf unter­schiedlichen Varianten entwickelt und auf den Markt gebracht. Für die Förderung der Geräte war eine DLG-Zertifizierung mit Über­prüfung von Arbeits­sicherheits- und Tier­schutzaspekten notwendig. Neben einer sicheren Betäubung durfte der weltweit niedrigste Grenzwert von 15 mg/m³ Isofluran in der Umgebung nicht überschritten werden.

Praxiserfahrungen

Die Bewährungsprobe folgte dann ab Anfang 2021, als die Geräte in den Praxiseinsatz gingen. Hierbei mussten sich die Landwirte, die manchmal gerade erst ihren Sachkundenachweis bestanden hatten, in ihrem Betrieb mit einer neuen und komplexen Arbeitstechnik auseinandersetzten. Da war es gut, dass der Gesetzgeber in der Ausbildungsphase auch eine Praxisphase unter Aufsicht des Hoftierarztes vorgeschrieben hatte.

Im Alltagseinsatz zeigte sich dann auch die eine oder andere „Kinderkrankheit“ der Geräte: Die Ferkelerzeuger ärgerten sich unter an­derem über falsch angeschlossene Leitungen, gerissene Schrauben und Befestigungen, undichte Masken und defekte Displays.

Nachbesserungsbedarf gab es auch beim Herzstück jedes Gerätes, dem Verdampfer.

Der Isofluran-Verdampfer ist ein sensibles medizinisches Präzisionsinstrument und ursprünglich nicht für den Einsatz in Schweineställen gebaut. (Bildquelle: Schulte)

Dieses hochsensible, medizinische Präzisionsinstrument ist eigentlich für Operationssäle und hygienisch reine Klinikräume gebaut und nicht für Schweineställe. Entsprechend pfleglich bzw. vorsichtig muss damit umgegangen werden. Für die Selbstreparatur eignet er sich nicht! Probleme mit dem Verdampfer sind immer ein Fall für den Kundendienst.

So war beispielsweise eine ganze Charge von Verdampfern bei unterschiedlichen Geräteherstellern falsch eingestellt: Die Isofluran-Dosierung war zu niedrig vorgegeben und die Ferkel schliefen schlecht.

Unterschiede beim Service

Leider gab und gibt es auch beim Kundendienst deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Herstellern. Eine gute Einführung und das Anlernen am Gerät haben sich durchaus bewährt, sind aber nicht überall selbstverständlich. Die Unternehmen, die in der Landwirtschaft gut vernetzt sind, stehen häufig besser da, auch wenn ihre Geräte im Technikvergleich nicht immer als „Klassenbeste“ abgeschnitten haben.

Einige Isofluran-Geräte sind inzwischen schon mindestens dreimal umgebaut oder ausgetauscht worden. Auch bei Ersatzteillieferungen hapert es manchmal. Entweder gibt es Lieferschwierigkeiten oder bei Firmen im Ausland werden hohe Transport- und Portokosten verlangt. Hier könnten sicherlich kundenorientierte Möglichkeiten gefunden werden, denn mit dem Service sind etliche Landwirte nicht zufrieden. Sie fühlen sich nach dem Kauf allein gelassen.

Häufige Fehler

Wie so oft bei einer neuen Technik, kann der Fehler allerdings auch beim Nutzer liegen. Nehmen Sie sich die Bedienungsanleitung ­Ihres Gerätes vor und überprüfen Sie noch einmal das Vorgehen:

  • Sind alle Schalter eingeschaltet und der Verdampfer geöffnet?
  • Passt die Temperatur? Stimmen die Luftzufuhr und der Luftdruck?
  • Die Sauerstoffflasche wie zum Beispiel beim „Anestacia“ von GDO und „PigletSnoozer“ von Pro Agri/GFS muss geöffnet und auch ausreichend gefüllt sein.
  • Bei den anderen Geräten müssen die Kompressoren eingeschaltet sein. Diese sind zudem von Zeit zu Zeit zu entfeuchten.
  • Sind alle sichtbaren Luftleitungen fest und richtig eingesteckt?
  • Lässt sich der Narkosegasfluss bei allen Masken auslösen?
  • Es muss weiterhin überprüft werden, ob alle Sensoren in der richtigen Position und funktionsfähig sind. Die Maskenventile beim „PigNap 4.0“ von BEG Schulze Bremer müssen zurückfedern und durchgängig sein.
  • Wurde das Gerät nach dem ­letzten Einsatz gereinigt und desinfiziert und wieder richtig zu-sammengebaut? Reinigungswasser kann eingedrungen und nicht richtig abgetrocknet sein. Daher muss sowohl beim Anestacia, beim Piglet­Snoozer und auch beim PigNap 4.0 die Narkosegaszuführung der einzelnen Masken für das ­Reinigen mit Drehknöpfen oder Stopfen verschlossen werden.
  • Gerade am Anfang passiert es oft, dass kleine Ferkel nicht richtig in der Maske liegen. Narkosegas strömt vorbei oder die Tiere drücken sich mit den Vorderfüßen wieder heraus. Dann muss man sie gegebenenfalls noch einige Sekunden festhalten, damit das erste Narkosegas auch gut eingeatmet wird. Anschließend beruhigen sich die Ferkel schnell.
  • Im Winter hat es sich gezeigt, dass die Geräte – trotz eingebauter Heizung – häufig zu kalt sind. Die optimale Temperatur für das Verdampfen ist 20 °C. Daher sollte auch das gesamte Gerät und besonders die Sauerstoffflasche diese Temperatur haben. Wird das Gerät in einem kalten Raum gelagert, muss es möglichst schon am Vorabend der Kastration in eine warme Umgebung gebracht werden.

Routine entwickeln

Inzwischen gewöhnen sich Sauenhalter an die Narkosegeräte und das veränderte Arbeiten im Abferkel­stall. Als Vorteil wird häufig der niedrigere Geräusch­pegel während der Kastration genannt. In vielen Betrieben wird zudem jetzt die Kastrationszange eingesetzt. Der Hautschnitt ist bei dieser Methode klein und es blutet weniger.

In vielen Betrieben wird jetzt die Kastrationszange eingesetzt. Diese ermöglicht sehr kleine Hautschnitte. (Bildquelle: Harlizius)

Zum Zeitaufwand durch die Isoflurannarkose gibt es indessen noch sehr unterschiedliche Aussagen. Natürlich dauert es länger als ohne Narkose, aber viele Landwirte finden den zusätzlichen Zeitaufwand nicht gravierend. Eine gute Vor­bereitung und Planung des Arbeitsablaufes ist notwendig – besonders, wenn im Team gearbeitet wird und gleichzeitig weitere Maßnahmen wie Impfungen durchgeführt werden. Teilweise hat es sich auch bewährt, dies wieder in zwei Arbeitsschritte aufzuteilen, da ja auch das Schmerzmittel mindestens eine halbe Stunde vorher gegeben werden muss. Hinzu kommt aber auf jeden Fall die sorgfältige Reinigung und Pflege der Geräte.

Zeigen die Ferkel den Zwischenklauenreflex oder Abwehrreaktionen, ist die Narkose noch zu flach. (Bildquelle: Harlizius)

Das Wichtigste ist aber, dass bei den Ferkeln eine ausreichende Schmerzausschaltung erreicht wird. Wenn der Zwischenklauenreflex ausgelöst werden kann oder die Ferkel Abwehrreaktionen zeigen, ist die Narkosetiefe noch nicht erreicht und die Betäubung muss verlängert werden. Beim Reflextest ist es wichtig, dass mit den Fingernägeln fest in die Haut zwischen den Klauen gekniffen wird. Ein zartes Drücken mit den Fingerkuppen oder auf die Knochen löst im Zweifelsfall keinen Schmerz­reflex aus. Nicht ausreichend ist es außerdem, nur zu testen, ob die Muskeln erschlafft sind!

Und auch die Dokumentation des Arzneimittelverbrauches auf dem Anwendungsbeleg und im Bestandsbuch muss stimmen. Die einzelnen Kastrations- bzw. Gas­zyklen speichern die Geräte ja automatisch. Dennoch sollten sie von Zeit zu Zeit ausgelesen bzw. ausgedruckt, kontrolliert und zusammen mit der Arzneimitteldokumentation aufbewahrt werden.

Was tun bei Problemen?

Wenn immer wieder Schmerzreaktionen bei den Ferkeln auftreten oder der Anwender Beeinträch­tigungen seiner Gesundheit feststellt, stimmt etwas nicht. Dann ist unbedingt der Hersteller zu kontaktieren. Aber auch der Schweine­gesundheitsdienst (SGD) sowie die Berufsgenossenschaft (SVLFG) können helfen. In Problemfällen steht zudem die bundesweite kosten­freie Beratungsstelle „IsoKomp“ der Uni München und des SGD als neutrale Ansprechpartner zur Verfügung.

Ausführliche Infos dazu auf der Internetseite der Landwirtschaftskammer

Lesen Sie mehr:

Umfrage-Ergebnisse

Isofluran-Geräte: So urteilen Praktiker

von Susanne Gäckler; Dr. Sophie Gumbert; Dr. Jürgen Harlizius; Prof. Wilfried Hopp; Dr. Frederik Löwenstein

Die DLG hat Landwirte zur Kastration von Ferkeln mit Isofluran-Narkosegeräten befragt. Rund 550 Ferkelerzeuger haben sich beteiligt. Wie schneiden Geräte und Service ab? Die wichtigsten Ergebnisse.

Sauenhalter Bernhard Heiming hat seinen Mästern ein überraschendes Angebot gemacht: „Spart den Zuschlag und kastriert selber.“ Die Resonanz? Null.