Monatelang haben Mäster mit Übergewichten und Schlachtstau gekämpft. Jetzt werden ihnen die schlachtreifen Schweine förmlich aus der Hand gerissen. Wie konnte sich der Wind so schnell drehen?
Dr. Albert Hortmann-Scholten, Landwirtschaftskammer Niedersachsen: Fakt ist, dass Schlachtschweine knapp sind. Im November haben viele Mäster nicht eingestallt. Manche hatten keinen Platz, weil sie ihre Ställe wegen des Schweinestaus nicht räumen konnten. Andere bestellten die Ferkel auf, weil sie keine Perspektive am Schweinemarkt sahen. Zudem haben sich die Ferkelimporte aus Dänemark und den Niederlanden massiv verringert, ebenso die Lebendimporte von Schlachtschweinen. All diese Schweine fehlen am Haken. Einstallwillige Mäster, die im November Mut bewiesen haben, werden jetzt belohnt.
Auch bei Ferkeln hat sich der Markt komplett umgekehrt.
Hortmann-Scholten: Hier wirken mehrere Faktoren zusammen. Zum einen haben deutsche Ferkelerzeuger reihenweise entnervt die Stalltür endgültig geschlossen. Die übrigen haben die Gruppen verkleinert. Besamungsstationen berichten bundesweit von Rückgängen beim Spermaabsatz von über 15 %. Zum anderen fahren auch unsere niederländischen Nachbarn die Sauenhaltung kräftig zurück. Aufgrund eines staatlichen Aufkaufprogramms ist der Bestand um rund 80.000 Sauen zurückgegangen. Und drittens finden dänische und niederländische Ferkel in Polen und Spanien lukrativere Absatzkanäle als in Deutschland.
Preise für Schlachtschweine und Ferkel schießen in die Höhe
Aber warum sind unsere Schlachter so scharf auf Schlachtschweine, wenn doch die Froster mit Tiefkühlware gut gefüllt sind?
Hortmann-Scholten: Unser großes Glück ist, dass die EU kein Programm zur Privaten Lagerhaltung aufgelegt hat. Das würde uns jetzt in die Hacken laufen. Meine Vermutung: Die Froster-Statistik „hinkt“ und es gibt gar nicht so viel tiefgekühlte Ware. Wir wissen auch nicht, welche Teilstücke eingelagert wurden. Jedenfalls steigt nicht nur der Mast-, sondern auch der Sauenpreis steil an, obwohl die Wursthersteller nicht unbedingt auf Frischfleisch angewiesen sind.
Die Inlandsnachfrage kann den Boom jedenfalls nicht ausgelöst haben. Die Gastronomie liegt nach wie vor am Boden.
Hortmann-Scholten: Wie schnell die Nachfrage hochschnellen kann, haben die leeren Fleischtheken Ende Februar gezeigt, als halb Deutschland die frühlingshaften Temperaturen mit Angrillen feierte. Es liegt Hoffnung in der Luft. Das Ostergeschäft gibt Impulse. Und mit dem Hochfahren der Corona-Impfungen kommt die Gastronomie wieder ans Laufen. Die aber muss erst mal wieder ihre Vorräte auffüllen.
Der aktuelle Preisanstieg kann aber doch nicht nur auf Hoffnung basieren.
Hortmann-Scholten: Das stimmt. Ausschlaggebend ist ein internationaler Rohstoff-Sog, der die Agrarmärkte befeuert und uns ins Schlepptau nimmt. Überall werden Agrarrohstoffe teurer – auch weil die Futterkosten steigen. Als Erstes hat vor Weihnachten der Bullenmarkt reagiert. Jetzt folgen die Schweine, auch international. An der Börse in Chicago notieren Terminkontrakte für den Frühsommer bei 1,60 €/kg. In Iowa sind die Tagespreise explosionsartig auf 1,48 €/kg gestiegen. Zudem arbeitet das Bundeslandwirtschaftsministerium intensiv an unseren Drittlandexporten. Nach Singapur hat jetzt auch Vietnam einem Regionalisierungskonzept für Deutschland zugestimmt, sodass Exporte von frischem Schweinefleisch wieder möglich sind.
Das ist bei China noch nicht in Sicht. Zudem fördert die Regierung den schnellen Aufbau großer, industrieller Stallkomplexe.
Hortmann-Scholten: Der Ausbau der Sauenbestände stockt, die Afrikanische Schweinepest ist längst nicht besiegt. Im Gegenteil: Ein mutiertes ASP-Virus soll bereits 20 % der Sauenbestände durchseucht haben. Das schlägt auf die Mast durch. Davon profitieren vor allem die Spanier. Indirekt aber auch Deutschland, da wir die entstehenden Versorgungslücken in Europa nutzen.
Stichwort ASP: In Deutschland scheint die Gefahr der Ausbreitung vorerst gebannt.
Hortmann-Scholten: Das sehe ich anders. Seit September sind knapp 800 infizierte Wildschweine gefunden worden, mehr als 30 in der ersten Märzwoche. Nachschub gibt es im benachbarten Polen zuhauf. Dafür sprechen 662 Fälle seit Januar, davon viele im Grenzgebiet. Ich verstehe nicht, dass Brandenburg die Freilandhaltung nicht stärker reglementiert. Wenn das erste Hausschwein mit ASP infiziert ist, kommt unser Markt unter Druck.
Im Winter haben viele Vermarkter die Mäster unter Druck gesetzt, um sie per Vertrag zu binden. War das Kalkül, auch mit Blick auf die nächste ITW-Phase?
Hortmann-Scholten: Wer als Mäster oder Schlachter bei ITW 3.0 mitmischen will, kommt am Vertrag nicht mehr vorbei. Der Lebensmitteleinzelhandel will ab Juli nur noch ITW-Fleisch der Haltungsform 2 anbieten. Das entfacht den Wettbewerb um den Rohstoff Schwein bei den Schlachtern. Dabei haben jetzt die Mäster die Trümpfe in der Hand – ganz anders als vor drei Monaten. Es kann gut sein, dass Richtung Juli spürbare Mengen an ITW-Schweinen fehlen. Denn der Bonus von 5,28 € beinhaltet weder die notwendigen Investitionskosten für gewachsene Betriebe noch Risikoabdeckung und Unternehmergewinn. Um genügend Schweinehalter für ITW zu gewinnen, muss dann flächendeckend nachgebessert werden.
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