Herr Hahn, Sie sind Unternehmensberater bei der Kammer und betreuen Milchviehbetriebe in Südwestfalen. Wie ist die momentane Stimmung?
Die Stimmung bei den Milchviehhaltern ist schon von Unzufriedenheit geprägt. Vor allem die vielen Auflagen machen den Praktikern zu schaffen. Sie sind verunsichert und fragen sich zunehmend, was eventuell noch weiter auf sie zukommt. Ebenso die Sorgen über zukünftige Entscheidungen seitens der Politik und natürlich der aktuelle Milchpreis, der schlicht und ergreifend zu niedrig ist.
Stichwort Milchpreis: Die Aussichten sind derzeit nicht die besten. Trotzdem gibt es ordentliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Milchunternehmen bezüglich der Auszahlungspreise. Wie erleben Sie das bei Ihren Betrieben?
Das, was die Betriebsleiter häufig ärgert, ist die Tatsache, dass sich der Milchpreis in den vergangenen zehn Jahren quasi kaum verändert hat. Gleichzeitig sprechen wir im gleichen Zeitraum von einer Steigerung der Kosten um 30 bis 40 %. Das ist schwer auszuhalten. Die Betriebe in meinem Unternehmerkreis liefern überwiegend nach Hochwald und FrieslandCampina, nur einige zum Deutschen Milchkontor (DMK). Das macht sich sehr bemerkbar bei der Betriebszweigabrechnung. Zwischen den Milchpreisen der beiden erstgenannten Molkereien und dem DMK liegen mindestens 2 Cent/kg Milch Unterschied.
Die höheren Kosten müssten –rein theoretisch – mit einem höheren Milchpreis einhergehen. Das ist nicht der Fall. Was müssen die Betriebe tun, um liquide zu bleiben?
Der Milchpreis passt nicht zu den Ausgaben. Deshalb können Kostensteigerungen nur durch höhere Leistungen abgefangen werden.
Dabei sind die durchschnittlichen Leistungen in NRW schon recht ordentlich. Wo soll die Reise noch hingehen?
Meinen Betrieben traue ich allen eine durchschnittliche Jahresmilchleistung von 10 000 kg zu, 11 000 kg Milch pro Kuh und Jahr sollten auch kein Problem sein. Anatomisch gesehen, können Kühe weitaus mehr leisten – vor allem in unseren modernen Kuhställen. Doch angenommen, wir würden 13 000 kg anstreben – ob das dann zur Akzeptanz in der Bevölkerung führt, ist fraglich. Fest steht auch, dass sich solche Leistungen nur im Stall mit höchstem Kuhkomfort erzielen lassen. Die Weidehaltung wäre nicht mehr möglich – wenn nur im Stall mit Laufhof. Und gerade das ist es doch, was der Verbraucher möchte: grasende Kühe auf Weiden. Deshalb sind meiner Meinung nach schon Grenzen gesetzt.
Also müssten es schon Leistungen um die 11 000 kg Milch/Kuh/Jahr sein, um beim momentanen Milchpreis die höheren Produktionskosten zu decken?
Unsere Auswertungen zeigen, dass die Kuhzahl bei Weitem nicht immer entscheidend ist. Die biologischen Daten müssen sich verbessern. Ich spreche nicht ausschließlich von höheren Milchleistungen, sondern auch die Remontierung, die Nutzungsdauer mit hoher Lebensleistung usw. Hier ist bei vielen Betrieben noch Luft nach oben.
Welche Betriebe sind es denn, die derzeit Liquiditätsengpässen haben?
Das sind in erster Linie solche Betriebe, die die vorhin erwähnten produktionstechnischen Kennwerte nicht im Griff haben. Da fehlt einfach der Umsatz pro Kuh. Die Kosten müssen auf möglichst viel Milch verteilt werden. Und häufig ist der Blick für Ausgaben nicht klar genug. Es wird in neue Schlepper und Technik investiert. Was ja auch seine Berechtigung hat. Beim genauen Hinschauen überraschen jedoch manchmal die viel zu kurzen Tilgungslaufzeiten. Da wird so mancher Landwirt von der Bank schlecht beraten. Doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Die Trockenheit, in diesem Jahr das dritte Mal in Folge, macht es den Betrieben schwer. Wir raten immer dazu, entsprechend große Grundfutter- Reserven anzulegen. Doch Futter auf Vorrat zu lagern, ist derzeit gar nicht möglich – das führt zu weiteren finanziellen Anspannungen.
Auch der Standort ist entscheidend. Hinzu kommt auf NRW bezogen ein sehr heterogenes Pachtpreisniveau.
In der Tat. Die regionalen Unterschiede sind schon gravierend. Zum Teil werden Pachten erreicht, die dem Ertragsniveau nicht gerecht werden. Wenn die Molkerei dann noch unterdurchschnittlich zahlt, überrascht es nicht, dass Betriebsleiter mit dem Rücken an der Wand stehen.
Wie sieht der Fahrplan seitens der Beratung der Kammer für solche Betriebe konkret aus?
Hier ist in erster Linie eine ausführliche Analyse notwendig. Einnahmen und Ausgaben müssen beleuchtet, Zahlungsströme auf Papier dargestellt werden. Nur so zeigt sich, wo es hakt. Zusätzlich wird auf die biologischen Daten geschaut und im nächsten Schritt definiert, wo noch Reserven liegen. Bei Fragen zur Ein-kommens- und Vermögensabsicherung haben wir bei der Kammer Spezialberater. Die Kollegen bieten gegebenenfalls auch Hilfestellung bei Bankgesprächen.
Gibt es Betriebe in Ihrer Region, um die Sie sich derzeit Sorgen machen?
Ich betrachte die derzeitige Situation schon mit Bedacht. Es ist besorgniserregend, wenn die laufenden Kosten nicht mehr gedeckt werden können. Oder wenn Prämien für die Kostendeckung benötigt werden. Allerdings mache ich mir um die wenigsten Betriebe ernsthafte Sorgen. Ich sehe, wie sich die Betriebsleiter entwickeln. Im Gegensatz zu früher sind sie viel mehr Unternehmer, erkennen Probleme und nehmen die Beratung an. Sie haben den Blick für qualitatives Wachstum, wollen sich verbessern und an den kleinen Schrauben drehen.
Wo sehen Sie Ihre Kunden in zehn Jahren? Wie wird die Milchviehhaltung in unseren Regionen dann aussehen?
Vorhersehen kann ich das natürlich nicht. Ich gehe davon aus, dass vielleicht die Hälfte der Betriebe bis dahin aufgehört hat. Das werden Betriebsaufgaben sein, wo der Standort eine Ausweitung nicht zulässt. Aber auch solche, wo sich das Erfüllen diverser Auflagen einfach nicht lohnt. Die dann noch bestehenden Betriebe werden sehr spezialisiert sein. Es werden keine Höfe mit Streichelzoo-Charakter sein. Die Automatisierung wird im Vordergrund stehen, um der Ar-beitsbelastung entgegenzuwirken und um mehr Freiräume auch in Form von mehr Freizeit zu schaffen. Entscheidend wird auch dann die Erlössituation sein, denn die Kosten werden weiter steigen. Wie heute können diese Betriebe auch in zehn Jahren Milch nur mit Höchstleistungen oder mit ganz geringen Kosten produzieren.
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