Herr Kneip, Sie kennen die Zahlen vieler Bullenmäster in NRW. Wie würden Sie ihre aktuelle wirtschaftliche Lage beschreiben?
In den vergangenen zwei Jahren waren die Erlöse sehr schlecht. Zudem gab es drei Jahre in Folge eine ungenügende Grundfutterernte. In vielen Betrieben kommt es zu Liquiditätsengpässen. Etliche Betriebsleiter haben Liquiditätsdarlehen aufgenommen, um flüssig zu bleiben.
Bedeutet das, die Stimmung ist schlecht?
Ja, absolut! Das betrifft vor allem Betriebe mit hohen Kapitaldiensten. Höfe, die einigermaßen über die Runden kommen, werden häufig quersubventioniert, entweder durch Biogas oder Photovoltaik.
Die Preise für Schlachtbullen sind seit Weihnachten nicht schlecht, Jungbullen sind knapp. Bringt das etwas positiven Schwung?
Vielleicht hören sich 4 €/kg Schlachtgewicht gut an. Aber Bestandsergänzungskosten (Fresserzukauf) und Futterkosten (Betriebe ohne Kontrakte) sind gestiegen. Die 4 € sind damit aufgebraucht.
Landwirte merken, dass sie an der Erlösseite etwas ändern müssen, um ihre Situation zu verbessern. Deshalb fangen einige mit der Direktvermarktung an. Bei vielen ist es die Not, denn der Arbeitsaufwand ist enorm.
Gibt es trotz allem Landwirte, die investieren wollen?
Nein, momentan sehe ich keinen Investitionswillen. Betriebswirtschaftlich lässt sich eigentlich in keinem Betrieb eine höhere Tierzahl rechtfertigen. Zudem muss dann meist parallel auch in Güllelager und Siloanlagen investiert werden.
Und diese Kosten sind grundsätzlich nicht auf der Erlösseite wiederzufinden. Außerdem ist landwirtschaftliche Fläche knapp und teuer. Auch die Baukosten insgesamt sind extrem gestiegen. Der Bau eines Bullenstalls rechnet sich einfach nicht. In der Regel ist es doch so bei Investitionen: Der Arbeitseinsatz wächst und die Liquidität sinkt.
Mal angenommen, Geld wäre da. Wie würden Betriebe denn investieren?
Eine gute Frage. Viele Betriebe wüssten nicht, wie sie überhaupt bauen sollten. Es müsste für mindestens 20 Jahre Bestandsschutz geben, das ist die Zeit der Finanzierung. Momentan weiß aber niemand, wie Bullenmast zukünftig überhaupt aussehen soll. Mein Rat: Wer noch bauen will, sollte sich Gedanken machen, ob die AFP-Förderung für seinen Betrieb infrage kommt. Politisch wird auf Dauer mehr Platz pro Tier gefordert.
Die neue Bauschrift der Kammer NRW ist veröffentlicht, ITW Rind ist in Arbeit, Borchert in Diskussion. Wonach sollten sich Bullenmäster und Berater Ihrer Meinung nach richten?
Der Stall muss allen Anforderungen gerecht werden können: Den aktuellen, aber auch den zukünftigen. Momentan wird ein Stall in den meisten Kreisen in NRW mit einem Platzangebot von 3 m2/Endmastbulle genehmigt.
Ein Beispiel für einen Neubau könnte sein: Stall auf Vollspalten mit so tiefen Buchten, dass er als Strohstall nutzbar ist und dahinter Platz bleibt für einen Auslauf. Denn das sind Dinge, die diskutiert werden.
Nach Möglichkeit sollte auch über eine Umnutzung des Gebäudes nachgedacht werden. Leider ist es ein realistisches Szenario, dass der Bullenmastbetrieb ausläuft.
Sollten bei einem neuen Spaltenstall sofort Gummiauflagen eingebaut werden?
ITW Rind weist darauf hin. Es macht auch Sinn, wenn die Mehrkosten durch den Handel bezahlt werden. Der Landwirt kann sich keine Gummimatten leisten, werden die Kosten nicht getragen.
Lohnt es sich überhaupt, Gummiauflagen nachzurüsten? Oder wird vielleicht in ein paar Jahren so oder so Stroh Pflicht?
Sinn oder nicht Sinn ist nicht die Frage, sondern viel mehr: Kann der Landwirt sich das leisten oder nicht? Wenn Tierwohl verlangt wird, muss Geld von außen kommen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Stroh im Handel zu einem Mehrerlös führt und Gummiauflagen nicht. AFP fördert beides.
Wo sehen Sie die Bullenmast in fünf und in zehn Jahren?
Schwer zu sagen. Die meisten Betriebe haben schon vor, in zehn Jahren noch da zu sein. Aber manche gut ausgebildeten Betriebsleiter überlegen, in den Nebenerwerb zu gehen. Das ist der Anfang vom Ausstieg.
Wo die Bullenmast hingeht, hängt davon ab, was die Politik über die Haltung von Tieren entscheidet. Das ist eine Grundsatzfrage. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass die nächste Generation den Betrieb weiterführt. Heute wird alles gesellschaftlich und politisch hinterfragt.
Die finanziell schwierige Situation auf den Höfen kommt dazu. Fremdkapital wird trotz Mehrarbeit jedes Jahr mehr. Das ist für die Moral schlecht und für Landwirte nicht nachvollziehbar.
Ich kann bei vielen eine Hilflosigkeit beobachten: Das Produkt Rindfleisch ist in Deutschland nachgefragt, aber die Wertschöpfung kommt nicht auf den Betrieben an.
Wie sieht für Sie der Stall der Zukunft aus?
Ställe der Zukunft sind eigentlich ein Unding. Denn Geld wird da verdient, wo Bullen in abgeschriebenen Ställen stehen. Die Nutzungsdauer liegt bei 50 bis 80 Jahren.
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