Die Ställe gedrängt voll, das Bankkonto tief in den roten Zahlen, die Nerven blank – die Lage der Schweinehalter in den Restriktionszonen im Emsland ist existenzbedrohend.
Das belegen die Zahlen sehr deutlich, die Erzeugergemeinschaften und Kreislandvolkverbände in der Region zusammengetragen haben:
Von Anfang Juli bis Ende letzter Woche haben etwa 48.750 Mastschweine in der Überwachungszone das Schlachtgewicht erreicht. Dem standen lediglich rund 7000 Schlachtungen gegenüber.
Von den 41.750 schlachtreifen Schweinen haben etwa 32.650 das Gewichtslimit der Preismasken deutlich überschritten – mit einem Lebendgewicht von rund 157 kg.
In den Sauenställen werden wöchentlich rund 3000 Ferkel geboren, die gleiche Zahl ist verkaufsreif. Inzwischen haben sich rund 24 000 Ferkel angestaut.
„Theoretisch werden in meinen Ställen jeden Tag 30 Mastschweine schlachtreif. In den letzten acht Wochen sind aber nur 300 Tiere abgeholt worden“, schildert Mäster Franz-Josef Schulte-Weß aus Salzbergen die ausweglose Lage.
Fleisch wird totgekocht
Knackpunkt ist die Erhitzung des Fleischs auf 80 °C Kerntemperatur. Das verlangt die EU, wenn ASP in einem Hausschweinebestand ausgebrochen ist. Zu heiß für Brühwurst und Kochschinken, fast nur geeignet für Fleischkonserven. Aber dafür finden die Schlachter keine Kunden – obwohl es sich um Fleisch von bestuntersuchten Schweinen handelt.
Die Schlachtbetriebe parken das Fleisch notgedrungen im Froster. Zusätzlich müssen sie hohe Auflagen einhalten. Kein Wunder, dass bislang nur drei Firmen Schweine aus der Restriktionszone schlachten: Manten im niederrheinischen Geldern, Tönnies im schleswig-holsteinischen Kellinghusen, Westfleisch als Lohnschlachtung bei Uhlen in Lengerich. Zumindest die Lagerkosten will das Land Niedersachsen den Schlachtbetrieben erstatten. Doch damit ist die Verwertung des Fleisches weiter ungelöst.
Das trifft Mäster wie Schulte-Weß hart. Für seine Schlachtschweine hat er keinen einzigen Cent bekommen. Stattdessen musste er für 160 Schweine fast 860 € für den Transport bezahlen, plus Untersuchungskosten für die Blutproben. Was den Mäster zudem ärgert: Das Ziehen der Blutproben – bei 30 °C eine schweißtreibende Arbeit – war bei einer Partie vergeblich, da der Schlachttag abgesagt wurde.
Gleichzeitig steigen seine Futterkosten steil an. Denn anstelle der 1800 Schlachtschweine, die in normalen Zeiten vom Hof gehen, konnte er nur 300 mit Ausnahmegenehmigung vermarkten. Immer schwerere Schweine drängeln sich am Trog und fressen immer mehr. Um die Zunahmen zu zügeln, hat der Mäster auf Futter für niedertragende Sauen umgestellt. Durch den hohen Verbrauch steigt der Güllepegel. Trotz neunmonatiger Lagerkapazität ist nicht sicher, ob der Platz bis zum Frühjahr reicht.
Die Situation im Stall spitzt sich zu. Kleinere Schweine hat der Mäster umgestallt – mit Stroh als Ablenkung. Doch bei den schwersten wagt er es aus Angst vor heftigen Rangordnungskämpfen nicht, sie aus den Buchten abzusuchen und zusammen zu stallen.
„Sonst hat Tierschutz immer oberste Priorität, aktuell aber trotz der überfüllten Ställe überhaupt nicht“, legt der Mäster den Finger in die Wunde und fordert Taten: „Die Politiker müssen jetzt handeln – nicht erst in drei Monaten!“ Sein Vorschlag: Alle Schweine über 90 kg schlachten, damit es in den Ställen Platz gibt.
Notgezwungen Mäster
Auch bei Wolfgang Hüsing sind alle Ställe proppevoll. „Seit einer Woche bin ich notgezwungen Mäster“, nimmt der Sauenhalter aus Emsbüren die Situation mit Galgenhumor. Er hat großes Glück: Sein Mäster, der auch in der Überwachungszone liegt, hält zu ihm und nimmt so viele Ferkel wie möglich ab. Doch kann er nur weibliche Schweine ausstallen. Denn er mästet Improvac-Eber. Die aber will keins der drei Schlachtunternehmen haben.
Deshalb hat Hüsing mit viel Arbeitseinsatz einen alten Wartestall reaktiviert und dort 400 Ferkel eingestallt. Doch schon sitzt ihm die nächste Ferkelgruppe im Nacken. Er hätte noch einen Reservestall für weitere 400 Tiere. Dort muss er aber erst Fütterung und Lüftung auf Vordermann bringen – Kostenpunkt rund 20.000 €.
Auf Kosten der Landwirte
Informationen waren in den ersten Wochen Mangelware. „Nur der Beratungsring hat uns regelmäßig per E-Mail Infos zum aktuellen Stand geschickt“, loben beide Landwirte. In den letzten vier Wochen haben zudem die beiden Landwirtschaftlichen Kreisverbände mittels Videokonferenzen informiert.
Was die beiden Landwirte besonders erbittert: Jahrelang wurden Krisenhandbücher geschrieben und ASP-Szenarien geprobt, stets mit positivem Ergebnis. Aber die Vermarktung der lebenden Tiere wurde völlig ausgeblendet.
„Die Betriebe fühlen sich allein gelassen“, bringt Berater Michael Witsken die Gefühlslage auf den Punkt. Der Staat beschränkt sich auf die Seuchenbekämpfung. Bei der Vermarktung schiebt die Politik der Wirtschaft die Verantwortung zu.
Zwar hat gut die Hälfte der Mäster und 80 bis 90% der Sauenhalter eine Ertragsausfallversicherung abgeschlossen, schätzt Berater Witsken. Doch sind auch die Versicherungen vom Erlösausfall für die Mastschweine überrascht worden. Ihre Kalkulation basiert auf Erlösen in Höhe des Sauenpreises.
Wie hoch die Entschädigung am Ende ausfallen wird, hängt von den Vertragskonditionen ab. Mäster Franz-Josef Schulte-Weß hat alle Unterlagen eingereicht und wartet auf eine Rückmeldung. Denn sein Betriebskonto ist aufgrund der Futterkäufe im Minus.
Auf Vermittlung seiner Versicherung hat er 100 Ferkel in sein letztes leeres Abteil eingestallt. Allerdings mit Bauchschmerzen: „Ob es besser gewesen wäre, den Stall leer stehen zu lassen, weiß ich erst hinterher.“
Gesperrt bis 14. Oktober?
Wie hoch der Schaden für die Landwirte ausfällt, hängt von der Dauer der Restriktionen ab. Die Hoffnung der Region lag auf einer Verkürzung der Sperrfrist auf 60 Tage. Dies hat die EU gerade abgelehnt, sodass es beim Enddatum 14. Oktober bleibt.
Das halten die Schweinehalter für überzogen. Dann dauert die Sperre 100 Tage. Vorgeschrieben sind 90 Tage. Das würde dem Enddatum 4. Oktober entsprechen, da Reinigung und Desinfektion des Seuchenbetriebs am 5. Juli abgeschlossen waren.
„Wenn die Schlachtung so schleppend weitergeht, steht ein kompletter Mastdurchgang im Stau“, sieht Berater Witsken vom Beratungsring Lingen sorgenvoll in die Zukunft. Eine Welle überschwerer Schweine würde den Markt Mitte Oktober fluten. Da die Schlachtbahnen auf diese hohen Gewichte nicht ausgelegt sind, könnten nur wenige Schlachthöfe diese Tiere annehmen.
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