Berliner Milchforum

50 Cent/kg Milch realistisch

Ukraine-Krieg, Corona, Tierwohl und Umweltschutz – diese Themen bewegen die gesamte Branche und wurden beim Milchforum in Berlin heiß diskutiert.

Die Notierungen für Milchprodukte befinden sich auf einem noch nie dagewesenem Niveau. Und der Ukraine-Krieg unterstützt diese Kurssteigerung weiter. Auch die Preise für Rohmilch reagieren. Allerdings deutlich langsamer.

Das führt zu großem Druck auf den Höfen. Denn Futtermittel haben sich im Schnitt um ein Drittel verteuert. Vor allem Futter mit dem Siegel „Ohne Gentechnik“ wird zu horrenden Preisen angeboten. „Der Lebensmitteleinzelhandel sollte auf GVO-freie Fütterung verzichten“, sagte Karsten Schmal, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands. Bezogen auf die aktuelle Situation forderte er beim Milchforum in Berlin: „Die EU muss die Ernährung in diesen schwierigen Zeiten sichern.“ Peter Stahl, Vorsitzender des Milchindustrieverbandes (MIV), sorgte sich vor allem um die Entwicklungen im Energiesektor.

In der Hauptstadt diskutierten rund 350 Branchenvertreter live und zusätzlich 100 Teilnehmer digital über Marktentwicklungen, künftige Trends und Herausforderungen der gesamten Milchbranche.

Ukraine-Krieg und Milchmarkt

Der Krieg in der Ukraine wirkt sich stark auf die gesamte Wertschöpfungskette Milch aus. „Zum ersten auf die Erzeugung. Die Kosten für Energie, Futtermittel und Dünger waren schon vor Kriegsbeginn ungewöhnlich hoch und sind mit dem Krieg noch weiter gestiegen“, erklärte Monika Wohlfarth, Geschäftsführerin der Zentralen Milchmarktberichtserstattung (ZMB). Gerade die Verfügbarkeit von GVO-freien Futtermitteln und Biofutter könnte schwierig werden. Zudem ist Russland der größte Lieferant von Dünger. Das führt zu extremen Marktunsicherheiten. „Die steigenden Treibstoffkosten wirken sich auf die Milcherfassungskosten aus“, sagte die Marktexpertin.

Die Kosten für Futter und Energie gehen durch die Decke. (Bildquelle: Schildmann)

In der Verarbeitung könnten Verpackungsmaterial und Zusatzstoffe knapp werden, verschärft durch Unterbrechungen der Lieferketten. Weitere starke Kostensteigerungen gibt es für Energie und Rohstoffe. Vor allem bei der Versorgung mit Gas sind Engpässe zu befürchten. Einige Molkereien überlegen auf Öl umzusteigen, berichtete Eckhard Heuser, Geschäftsführer beim MIV. Allerdings befürchtete er: „Wenn uns einer den Gashahn abdreht, gibt es auch kein Öl mehr.“ Zudem sei so eine Umstellung für die meisten Molkereien nicht ohne weiteres machbar.

Beim Absatz von Milchprodukten spielt für Einkäufer nun die Versorgungssicherheit eine große Rolle. Denn auch in der EU wird der Bedarf an Lebensmitteln steigen, die Ukraine-Flüchtlinge müssen versorgt werden. Für Wohlfarth stellt sich die Frage: Wie reagieren die Verbraucher auf hohe Preissteigerungen im Laden?

Milchaufkommen rückläufig

Bereits vor dem Krieg war die Milchproduktion der Hauptexportnationen auf dem Weltmarkt rückläufig. Die beiden größten Exportkonkurrenten der EU sind Neuseeland und die USA. „Neuseeland hatte zuletzt Rückgänge von mehr als 6 %“, erklärte Monika Wohlfarth. Auch die Landwirte in den USA erzeugten in den ersten Monaten 2022 weniger Milch. In der EU sind ähnliche Trends zu beobachten. „Die Milchanlieferung in der EU ist 2021 das erste Mal seit 2009 nicht gewachsen“, fasste die Expertin zusammen. Der Milchkuhbestand in der EU sinkt seit 2016, in Deutschland bereits seit 2015. Dafür nannte Wohlfarth folgende Gründe:

  • Zunehmende Umweltauflagen wie Dünge-Verordnung, CO2-Bepreisung oder Tierwohl-Diskussionen wirken sich dämpfend aus.
  • Extremwetterlagen nehmen zu und wirken sich auf die Grundfutterproduktion aus.
  • Ziele des Green Deals wirken auf Landwirte abschreckend.
  • Versorgung mit Dünger und bestimmten Futtermitteln ist gefärdet.
  • Flächenkonkurrenz durch regenerative Energien wächst.

Insgesamt sind die Aussichten für steigende Milchpreise gut. „50 Cent/kg Milch und mehr sind im dritten Quartal zu erwarten“, prognostizierte Wohlfarth. Allerdings steht der gesamte Markt vor großen Unsicherheiten.

Importriese China
„China hat den Milchmarkt im vergangenen Jahr leer gekauft“, brachte es Steffen Rode, Geschäftsführender Gesellschafter bei Lactoprot, auf den Punkt. China ist weltweit der größte Importeur von Milchprodukten und beeinflusst damit unmittelbar Markt und Preise. „Chinas Handel mit Milchprodukten ist 2021 um 25 % gestiegen. Diese Zunahme entspricht dem Importvolumen von Japan“, berichtete Rode.
Etwa zwei Drittel aller Importe Chinas stammen aus Neuseeland. China tätigt Direktinvestitionen weltweit, beispielsweise in neuseeländische Unternehmen. Allerdings wächst Chinas Milchdurst weiter. „Die Frage ist: Wer kann und will liefern?“, sagte Rode. Denn Neuseelands Produktion stagniert. Das heißt China muss den Zusatzimportbedarf primär aus den USA, Südamerika und der EU decken. Sicher ist für den Geschäftsführer auch: „Das Thema Tierwohl spielt in keinem anderen Land so eine Rolle wie bei uns in Deutschland.“

Kaum einer schreibt schwarze Zahlen

Gundula Frank ist Leiterin der Tierproduktion in der Agrargenossenschaft Sonnenwalde - einem landwirtschaftlichen Betrieb in Brandenburg mit 2400 ha landwirtschaftlicher Fläche, 1100 Rindern und 400 Mutterschafen. Im Rahmen eines EIP-Projekts wertete Frank die Zahlen von zwölf Milchviehbetriebe aus. Das erschreckende Ergebnis: Nur einer schafft es bei den Vollkosten schwarze Zahlen zu schreiben.

„Wir erfahren Mitte des Monats welches Milchgeld wir für den Vormonat bekommen. Das geht nicht.“

„Die Milchviehhaltung ist seit Jahren eine große ökonomische Herausforderung in Ost- und Westdeutschland“, erklärte die Milcherzeugerin. Für ihren Betrieb rechnet sie mit diesen Preissteigerungen:

  • Grundfutter: + 30 %
  • Kraftfutter: + 80 %
  • Personalkosten: + 20 %

Auf die Frage, wo sie ihren Betrieb in zehn Jahren sieht, antwortete Frank sichtlich gerührt: „Ich bin 55 Jahre alt. Ich hoffe, dass ich die Milchproduktion nicht bis zur Rente abschaffen muss. Aber das wird eine ökonomische Entscheidung sein.“ Für die Zukunft wünscht sie sich für alle Milchbauern Planungssicherheit und Fairness. Damit junge Landwirte Mut behalten.

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