Kommentar

Streitthema Straßenbau: Landwirte rechtzeitig informieren

Deutschland baut gern neue Bundesstraßen. Nach einer Verkehrswende sieht es derzeit jedenfalls nicht aus. Dabei fühlen sich Landwirte als Flächengeber oft schlecht informiert. Die Politik ist gefragt.

Eine Postkutschenroute fit für die Zukunft zu machen – das soll auf der Bundesstraße 64 gelingen. Sie verläuft entlang der historischen Strecke von Münster nach Kassel. Ab 1655 holperten berittene Boten und Pferdefuhrwerke über Schlaglochpisten. Später wurde daraus eine 206 km lange, überregionale Straße. Sie ist modern, aber nicht modern genug, stöhnen Pendler und Wirtschaftsverbände. Wer etwa von Münster nach Höxter muss, braucht für 150 km gut zweieinhalb Stunden. Zu viele Fahrzeuge, Ortsdurchfahrten und Engstellen drosseln das Tempo. Obwohl gestresste Anwohner Ortsumgehungen ­fordern und seit Jahren geplant wird, stockt der Ausbau. Er scheitert an der Gegenwehr Vieler. Denn neue, große Straßen zerschneiden Kulturlandschaften, zerstören Lebensräume und vernichten landwirtschaftliche Flächen.

Die längste Straße der Welt

Nordrhein-Westfalen wird durch ein Netz von rund 30  000 km überörtlicher Straßen erschlossen – das entspricht der längsten Straße der Welt von Alaska nach Argentinien. Umwelt- und Klima­aktivisten sagen, dass die vorhandenen Straßen ausreichen und der Bau neuer Trassen im Widerspruch zu den Klimazielen der Politik steht. So sieht das die Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen, die auch Landwirte im Protest gegen die B 64n vertritt. In unserem Einblick zum Streitthema Straßenbau kommt sie zu Wort. Verheyen erstritt 2021 vor dem Bundesverfassungsgericht ein Urteil, wonach das Klimagesetz der Bundesregierung nicht ausreicht, um die CO2-Emissionen in dem Maß zu reduzieren, wie es politisch festgesetzt ist. Das zeigt: Umweltschutz, wozu auch der Schutz landwirtschaftlicher Flächen zählt, ist gerichtlich einforderbar.

Anwohner beteiligen

Damit es gar nicht erst zum Rechtsstreit kommt, ist eine frühe Beteiligung betroffener Anwohner klug. Nicht immer fühlen sich Landwirte als Flächengeber gut informiert, wie unser Blick ins Lipper Land zeigt. Anders im Sauerland. Hier lud der Landesbetrieb Straßenbau NRW die Landwirte ein, die vorgesehene Linie für die neue B 7n zu diskutieren. Ein von der geplanten Trasse existenziell bedrohter Landwirt aus Brilon war dabei. Im November 2021 brachten er und seine Berufskollegen ihre Einwände vor. Zufällig ausgewählte Bürger diskutierten mit und fanden eine alternative Trasse. Die Betroffenen hoffen, dass das Ganze nicht nur ein Schaulaufen war. Denn wie es weitergeht, ist offen.

Straßennutzung begrenzen

Schon heute wird viel mehr Geld für den Erhalt überörtlicher Straßen ausgegeben als für den Neubau. Aber für eine Verkehrswende muss aus der Politik mehr kommen. Ihr fehlt der Mut zu Tempolimits. Sie hat wenig Ideen zur Entzerrung der Hauptverkehrszeiten. Auch die Wirtschaft muss ihren Teil leisten, etwa durch mehr regionale Warenkreisläufe. Wichtig sind auch Nutzungsbegrenzungen für Straßen, die zu Schleichwegen zweckentfremdet werden. Die Beispiele zeigen: Es muss für uns alle noch unbequemer auf den Straßen werden. Das erhöht den Druck, Mobilität anders als bisher zu gestalten.

Lesen Sie mehr:

Im Kreis Steinfurt wehrten sich verschiedene Landwirte sowie Eigentümer eines privaten Wohnhausgrundstückes gegen den Neubau der Kreisstraße 76n. Das Verwaltungsgericht Münster wies die Klage nun...