Großbritannien ist das Mutterland der modernen Landwirtschaft. Nirgendwo sonst in Europa waren im 18. und 19. Jahrhundert Ackerbau und Viehhaltung so weit entwickelt, nirgendwo sonst war das System der Agrarschulen, der Presse und der landwirtschaftlichen Vereine so mustergültig ausgeprägt – und vor allem: nirgendwo sonst war die Landtechnik so ausgefeilt wie in Großbritannien.
Bekannt gemacht wurde sie vor allem durch Wilhelm Hamm, einen vielseitigen Agrarpionier aus Darmstadt. Seine Bestandsaufnahme erschien erstmals 1845, in einer stark erweiterten Auflage 1856/58 erneut unter dem Titel: „Die landwirthschaftlichen Geräthe und Maschinen Englands – ein Handbuch der landwirthschaftlichen Mechanik und Maschinenkunde – mit einer Schilderung der britischen Agricultur“.
Eine Anleitung zum Nachbauen
Auf mehr als 800 Seiten beschrieb und erläuterte er die Maschinen und Geräte: von Harken und Hacken, von Mäh- und Sämaschinen bis hin zu den ersten mobilen Dampfmaschinen, die sich auf den Gütern Englands damals gerade erst durchzusetzen begannen. Die Schnittzeichnungen in Hamms Buch waren so exakt, nicht selten sogar mit Maßangaben versehen, dass jeder halbwegs begabte Dorfschmied zumindest die einfacheren Geräte nachbauen konnte.
Wilhelm Hamm, geboren am 1820 in Darmstadt, war der Sohn eines hessischen Hofbeamten. Nach dem Besuch einer landwirtschaftlichen Fachschule sowie Praktika auf mehreren Gütern hatte er ab 1838 Landwirtschaft in Hohenheim, ab 1841 Kameralwissenschaften in Gießen studiert.
Wilhelm Hamm: Dem englischen Fortschritt auf der Spur
1842 ging Hamm nach England, um dem dortigen Fortschritt auf die Spur zu kommen. Und er ging tatsächlich: zu Fuß suchte er die Farmen, Dorfschmieden und frühen Landtechnikfabriken zwischen Ärmelkanal und Schottland auf. Später erinnerte er sich:
„Es sind nunmehr sechzehn Jahre her, seit ich als einfacher Fußreisender, den die stets fahrenden und reitenden Farmer kopf-schüttelnd betrachteten, England kreuz und quer viele Monate lang durchwanderte, um seinen Wirtschaftsbetrieb und die Hülfsmittel desselben aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Damals war uns Deutschen die britische Landwirtschaft, trotz schätzbarer Aufklärungen über sie, immer noch ein geheimnisvolles Buch, von dessen Blättern lange nicht alle Siegel gelöst waren.“
Die Deutschen säten noch von Hand
Unter den vielen Maschinen, die damals auf der Insel entwickelt worden war, stach vor allem die Sämaschine hervor. Während die Buern in Deutschland noch von Hand säten oder allenfalls mit ein- bis zweireihigen Drillkästen hantierten, brachten britische Landwirte mit der pferdegezogenen „Garrett‘sche Sämaschine“ die Getreidesaat in bis zu zehn Reihen aus – gleichzeitig. Bereits im 18. Jahrhundert hatte der britische Geistliche James Cook solch eine Maschine entwickelt. Ihr Funktionsprinzip beschrieb Hamm folgendermaßen:
„Auf der Achse der Räder sitzt der Säekasten von trichterförmiger, unten cylindrischer Gestalt. Die Körner fallen in den Theil des Kastens, in welchem der Haupttheil der Maschine, die Saatwalze sich umdreht. Diese Saatwalze besteht aus einer cylindrischen, ziemlich dicken Welle von Holz, welche in regelmäßige Abständen mit eingeschraubten kleineren oder gröeßren Löffeln von Eisen versehen ist.“ Die Fahrbewegung setzte diese Saatwalze in Gang, ihre Löffel drückten dass Saatgut in die aus Blech geformten Trichter. „Die untersten Trichter endigen in eine schar-ähnliche Öffnung, sie reißen somit den Boden leichthin auf, um die Körner darein zu legen.“
Verbesserte Technik für alle Saatarten geeignet
Diese Technik war um 1840 erheblich verbessert worden. Das Vorzeigemodell kam nun aus der Fabrik der Firma Garrett in Suffolk, die der Agrarkenner gleich besichtigte. Deren neue „Garrett’sche Universal-Sämaschine“ hatte in England, Deutschland und Frankreich eine Vielzahl an Preisen, Prämien und Auszeichnungen erhalten.
„Sie ist für jede Samengattung geeignet“, schrieb Hamm. „Mit geringen Veränderungen kann der Mechanismus ebenso tauglich zur Saat der kleinsten wie der größten Samen eingerichtet werden.“ Und weiter: „Der Apparat kann ohne Mühe so gestellt werden, daß es möglich ist, dick oder dünn zu säen.“ Auch die Saatbreite ließ sich variabel einstellen.
Vor allem war die Maschine leicht zu bedienen – oder, wie Hamm sich ausdrückte: „Sie erfordert immerhin Sorgfalt, Nachdenken und Übung, allein nicht mehr, als man von einem einigermaßen intelligenten Ackersmann in Anspruch nehmen darf.“
Wilhelm Hamm: „Die Macht der Presse würdigen“
Vor 175 Jahren, im März 1848, begann in Deutschland das, was später die demokratische Revolution genannt worden ist. Nicht nur in Berlin und Frankfurt, sondern auch in den Dörfern brodelte es. Vielerorts auf dem Land wurden Petitionen verfasst, die sich gegen den preußischen Obrigkeitsstaat und die Bevormundung durch den Adel wandten und sich für die sozialen Belange der Landbevölkerung einsetzten.
Auf der Seite der frühen Demokraten stand auch Wilhelm Hamm, der nach seiner Rückkehr aus England als Redakteur der „Agronomischen Zeitung“ in Leipzig tätig war. In den Revolutionsjahren 1848/49 schlug er sich auf die Seite der Bauern und Landarbeiter und wandte sich gegen die Vormacht des Landadels.
Seine demokratische Gesinnung trat auch im Einsatz für die Pressefreiheit zutage. So rühmte er die liberale Offenheit der Farmer und die Stärke der freien Presse, die er bei seinen Wanderungen durch Großbritannien kennengelernte hatte. Sie habe zum Erfolg der dortigen Landwirtschaft beigetragen, war Hamm überzeugt. Die Farmer würden „die Macht der Presse vollständig zu würdigen wissen, aber auch zu derselben nach Kräften beitragen“, schrieb er später. Und mit Blick auf die tristen Verhältnisse in Deutschland fügt er hinzu:
„Jene Geheimniskrämerei, jene gründliche Verachtung des Aufzeichnens irgend wie interessanter Resultate oder Verhältnisse, jene Scheu vor der Öffentlichkeit und der unumwundenen Aussprache, die sich anderwärts oft in so beklagenswertem Maße zeigen, wird man in England unter den Landwirten vergebens suchen.“
Lesen Sie mehr: