Wochenblatt: Herr Hannen, der BDM und andere Milch-Organisationen gehen im Gegensatz zu anderen Agrardialog-Teilnehmern nicht zur ZKHL (Kasten). Ist die Situation der Milcherzeuger nicht so schlimm?
Elmar Hannen: Doch, sie ist dramatisch! Auch hier am Niederrhein hören gut geführte Milchviehbetriebe auf, weil sich das Melken nicht mehr rechnet und sie keine Perspektive sehen. Das gilt bundesweit. Deshalb dürfen unsere Milch-Ergebnisse des Agrardialogs nicht verloren gehen. Diese Gefahr sehen wir aber in der ZKHL.
„ZKHL will uns nicht wirklich dabei haben“
Der möglichen Zusammenarbeit von Agrardialog und Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) geht ein langer und kontroverser Austausch voraus. „Herr Nienhoff von der ZKHL hat dabei eine unglückliche Figur gemacht, vom ersten Tag an, als er uns angesprochen hat. Und insgesamt haben wir bis zuletzt nicht so richtig gespürt, dass uns die ZKHL wirklich dabei haben möchte und wirklich schnell zu guten Ergebnissen für die Erzeuger kommen möchte – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz“, kritisiert Hannen. Dass mit dem neuen „Netzwerk Agrar“ trotzdem alte Agrardialog-Teilnehmer wie LSV Deutschland, Land schafft Verbindung – Original oder das Netzwerk Sauenhaltung mit der ZKHL zusammenarbeiten, erklärt sich Hannen wie folgt: „Sie sehen so die einzige Lösung, Inhalte vom Agrardialog zusammen mit dem Handel und den Verarbeitern umzusetzen, solange es keine umfassenden politischen Veränderungen gibt. Und den Sauenhaltern sowie Schweinemästern steht wirtschaftlich das Wasser bis zum Hals, sie sind deshalb zu Kompromissen bereit.“
Welche Ergebnisse kann die „AG Milch“ des Agrardialogs denn vorweisen? Die „AG Schwein“ hat die 5XD-Diskussion mit angeschoben…
Erstmals haben Vertreter von Erzeugern, Verarbeitern und dem Handel an einem Tisch gesessen. Und wir haben gemeinsam nach Lösungen gesucht, wie es einen besseren Ausgleich und einer besseren Verteilung in der Wertschöpfungskette Milch kommen kann.
Austausch ist gut, aber was können Sie handfestes vorweisen?
Die konkrete Idee einer Produkt-Partnerschaft zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Handel. Denn die Dreier-Kombination ist ideal: Der Handel weiß genau, was der Kunde will. Die Verarbeiter sowie die Erzeuger können genau das in höchster Qualität liefern. Und am Ende bekommen alle einen gerechten Preis.
Der gerechte Milchpreis soll wie gelingen?
Die Rahmenvereinbarung zur Produkt-Partnerschaft läuft über drei bis fünf Jahre. Es gibt einen unverhandelbaren Sockel-Basismilchpreis sowie Milchpreis-Zuschläge für Mehrwerte. Der Basis-Milchpreis leitet sich aus Marktindikatoren ab, die eine unabhängige Stelle beispielsweise viertel- oder halbjährlich berechnet. So sind extreme Steigerungen bei den Produktionskosten wie aktuell berücksichtigt. Der Sockel-Basismilchpreis ist unverhandelbar, er kommt auf jeden Fall auf den Konten der Milcherzeuger an und ist quasi die Grundsicherung. Wenn Verbraucher nach Mehrwerten fragen, spielt der Handel das den Molkereien und Erzeugern zu. Sie produzieren dann diese gewünschte Mehrwert-Milch. Und dafür bekommen die Erzeuger einen Milchpreis-Zuschlag, der sich ebenfalls wieder aus Marktindikatoren ableitet. Der Mehrwert kann heute zum Beispiel eine bestimmte Haltungsform sein und in drei Jahren die muttergebundene Kälberaufzucht. Aber nur so gelingt es, dass die Mehrwerte nicht automatisch eingepreist werden, sondern immer ein Milchpreis-Zuschlag dransteht.
Und das gehen die Molkereien mit?
Der Vorschlag stammt hauptsächlich von der landwirtschaftlichen Seite. Natürlich ist das erstmal völlig neu für die Molkereien. Aber in bilateralen Gesprächen bekommen wir Zuspruch. Die Molkereien schätzen, dass sie mit der Produkt-Partnerschaft effektiv Kosten sparen: Durch die längeren Vertragslaufzeiten und weil sie Flops bei der Neueinführung vermeiden.
Und warum sollte der Handel mitmachen? Er bekommt doch jetzt auch alles – einfacher und günstiger.
Schon, aber der Handel erkennt zunehmend, dass bei einem `Weiter so` die deutsche Produktion schlicht wegbricht. Das will er nicht. Und: Mit der Produkt-Partnerschaft gelingt eine Produktion abgestimmt auf die Nachfrage, der Handel muss weniger Produkte wegwerfen oder verramschen. Da legt er angesichts der gesellschaftlichen Debatte um Nachhaltigkeit künftig mehr Wert drauf.
Was sagt denn das Kartellamt zu Ihrer Idee?
Natürlich ist das Kartellamt der `Hüter niedriger Verbraucherpreise` und zuckt etwas auf. Aber sie halten unseren Ansatz für sehr interessant, zumal er ja an anderer Stelle in der Kette Kosten spart. Nach den ersten Gesprächen hat die Behörde detaillierte Fragen gestellt, wir tragen die Antworten gerade zusammen. Und sind zuversichtlich, dass wir eine kartellrechtskonforme Lösung finden.
Handel und Initiative Tierwohl (ITW) führen gerade die vierstufige Haltungsform-Kennzeichnung auch bei Milch ein. Ist damit Ihr Wunsch nicht schon erfüllt?
Es ist genau der falsche Ansatz: Wenn der Bauernverband meint, mit dem Zuschlag von 1,2 Cent/kg für Stufe 2 mehr Geld auf die Höfe zu bringen, liegt er vollkommen daneben. Denn: Damit ist der Grundpreis immer noch zu niedrig, die Produktionskosten sind nicht gedeckt. Und den Zuschlag von 1,2 Cent/kg Milch brauchen doch schon die Molkereien für ihre höheren Kosten, um die Milch getrennt zu erfassen, zu verarbeiten, zu vermarkten und schließlich den Zuschlag anteilig zu der im Handel vermarkteten Menge zu berechnen.
Die Molkereien sollen die höheren Kosten doch über eine Branchenvereinbarung erstattet bekommen.
Vielleicht auf dem Papier. Die Realität wird sein, dass sie den Zuschlag zwar ausweisen, aber den Grundpreis entsprechend senken. Deshalb zahlen wieder die Erzeuger die höheren Anforderungen. Der Handel lehnt eine eigenständige Clearing-Stelle, die diese Zahlungen abwickelt, vehement ab. Deshalb brauchen wir unbedingt einen unverhandelbaren Sockel-Basismilchpreis sowie Milchpreis-Zuschläge für Mehrwerte.
Mit der Forderung stehen Sie aber nun mit den verbliebenen landwirtschaftlichen Organisationen im Agrardialog ziemlich allein auf weiter Flur. Wie wollen Sie das umgesetzt bekommen?
Zum einen sprechen wir bilateral weiter mit Molkereien und Handelsunternehmen. Und wir halten noch Draht zu einigen Teilnehmern der ZKHL, die im Milchbereich aktuell ohnehin dünn besetzt ist. Zum anderen wollen wir uns als Verbände-Bündnis aber auch politisch einmischen.
Was sagt denn die Politik zu Ihrem Vorstoß?
Auf europäischer Ebene haben wir viel Zuspruch bekommen. Das zeigt sich auch darin, dass Brüssel im Dezember die EU-Verordnung zur gemeinsamen Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse erweitert hat. Sie lässt nun kartellrechtliche Spielräume für Absprachen zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Handel für Tierwohl und Nachhaltigkeit zu – also genau das, was wir wollen. Aus unserer Sicht lassen sich Tierwohl und Nachhaltigkeit zum Beispiel bei Klima und Umwelt nur dann erreichen, wenn die Produktion insgesamt wirtschaftlich ist.
Was wünschen Sie sich von der neuen Ampel-Regierung und dem neuen Agrarminister Cem Özdemir?
Seine Ankündigungen, Ramschpreise sowie den Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten zu verbieten, sind in Ordnung. Aber er darf die Erzeugerpreise nicht vergessen. Dazu hat er bisher nichts gesagt. Dazu liegen aber Konzepte vor, vom Agrardialog und vom BDM. Darauf sollte er schauen.
Von Blockaden bis zur Spaltung
Das Jahr 2021 begann mit Blockaden von Lebensmittellagern. Daraufhin haben Vertreter der landwirtschaftlichen Gruppen Land schafft Verbindung - Original, LsV Deutschland, European Milk Board, Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und Freie Bauern mit den Lebensmitteleinzelhändlern Aldi Nord und Süd, Edeka, Kaufland, Lidl und Rewe sowie dem Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) den Agrardialog ins Leben gerufen. Sie wollen die Landwirtschaft in Deutschland stärken. Verbände und Unternehmen aus Molkereiwirtschaft und Fleischbranche sind dem Agrardialog beigetreten. Er besteht aus einem Lenkungskreis und den drei Arbeitsgruppen: Schwein, Milch und Herkunftskennzeichnung. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft moderiert die Runde.
Parallel dazu hat der Deutsche Bauernverband mit dem Deutschen Raiffeisenverband und dem Handelsverband Deutschland im September 2021 die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) gegründet. Deren Leiter ist der ehemalige QS-Geschäftsführer Dr. Hermann-Josef Nienhoff. Auch die ZKHL will die deutsche Landwirtschaft stärken. Und bekommt mit dem Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft und der Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch weitere Mitglieder.
Seit Monaten steht im Raum, den Agrardialog und die ZKHL zusammenzulegen – weil Zusammensetzung und Absichten ähnlich sind. Im Oktober 2021 machten die am Agrardialog teilnehmenden Lebensmittelhändler sowie der BVLH unmissverständlich klar, dass sie den Agrardialog verlassen. Sie wollen nur noch in der ZKHL Gespräche führen. Die ZKHL zeigte sich offen, Teilnehmer des Agrardialogs zu integrieren und auf deren Ergebnisse aufzubauen. Doch bei den landwirtschaftlichen Organisationen des Agrardialogs kam eine mögliche Zusammenarbeit mit der ZKHL unterschiedlich an: Einige waren dafür, andere dagegen, weil sie Satzung und „Bedingungen“ der ZKHL nicht akzeptierten.
Kurz vor Weihnachten 2021 dann die Spaltung des Agrardialogs: Die Freien Bauern, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, das European Milk Board und die MEG Milch Board wollen nicht zur ZKHL gehen. Dagegen haben LsV Deutschland, Land schafft Verbindung - Original, Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch, Netzwerk Sauenhaltung Schleswig-Holstein, VzF GmbH, VzF e.V., Bauernverband Nordostniedersachsen und Kreislandvolkverband Friesland den Dachverband „Netzwerk Agrar“ gegründet. Unter anderem mit dem Ziel, in der ZKHL mitzuarbeiten. Sie bündeln sich, damit nicht jede Organisation selbst Mitglied der ZKHL werden muss.
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