Wochenblatt-Branchengespräch

Pflanzenschutz: Hauptsache weniger?

Die EU-Kommission plant starke Einschränkungen für Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel. Davon wären viele Landwirte in NRW betroffen. Ist ein Kompromiss möglich und wie könnte der aussehen?

Die Landwirtschaft bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherheit, Umwelt- und Klimaschutz sowie wirtschaftlicher Produktion. Die EU-Kommission hat einen Verordnungsvorschlag zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) vorgelegt, mit dem der Pflanzenschutzmittelaufwand bis 2030 um 50 % sinken soll. Für sogenannte sensible Gebiete steht ein Totalverbot zur Debatte.

Kommt SUR so zum tragen, wären in NRW über 90 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche vom Totalverbot betroffen. Viele Landwirte sind verärgert und haben das Gefühl, dass es bei politischen Entscheidungen um „Hauptsache weniger“ geht.

„Pestizide schaden“

„Es geht nicht um ‚Hauptsache weniger‘, sondern um ‚Hauptsache zukunftsfähig‘“, verteidigte Sarah Wiener ihren Berichtsentwurf zur SUR vergangene Woche im digitalen Wochenblatt-Branchengespräch zum Thema „Weniger Dünger, weniger Pflanzenschutz – Werden die Pläne der Politik zu Albträumen der Landwirte?“. Wiener ist Europaabgeordnete der Grünen/EFA und Berichterstatterin zum Verordnungsvorschlag der Kommission, für den auch aus den Reihen des EU-Landwirtschaftsausschusses heftige Kritik zu hören ist.

Das Branchengespräch fand am 23. März statt. Die gesamte Aufzeichnung finden Sie unter www.wochenblatt.com/youtube (Bildquelle: Kverneland, Wochenblatt)

In ihrer Rolle als Berichterstatterin hat Wiener viel Einfluss und konnte die zum Teil „unbedachten“ Vorschläge der Kommission in ihrem Berichtsentwurf noch konkretisieren. Sie hält ihren Entwurf für eine wichtige Grundlage, um Ernährung langfristig sichern zu können. Eine „durch Pestizide“ verursachte Biodiversitätskrise würde die Ernährungssicherheit langfristig stärker bedrohen als die von ihr geforderten Einschränkungen.

Sie behauptete: „Mineraldünger kommt nur zu ungefähr 50 % bei den Pflanzen selber an. Sie wissen aber auch, dass Mineraldünger die Böden langfristig zerstört und die Pflanzen schwächt und man dann auch wieder mehr Pestizide braucht.“

Sarah Wiener fand in der Wochenblatt-Diskussion zu den EU-Pflanzenschutzplänen klare Worte. Vor allem die konventionelle Landwirtschaft kam dabei jedoch nicht gut weg.

Ernährung im Fokus

Gegenwind für Wieners Ausführungen kam im Branchengespräch unter anderem von Dr. Ellen Richter, Leiterin des Pflanzenschutzdienstes NRW. „Der integrierte Pflanzenschutz ist schon lange das Leitbild unserer Landwirtschaft“, erklärt sie. Hierzu gehört der Grundsatz, dass Landwirte chemische Pflanzenschutzmittel erst dann einsetzen, wenn andere vorbeugende, mechanische oder biologische Maßnahmen nicht ausreichend greifen. Die EU sei auch zu Audit-Besuchen auf deutschen Betrieben gewesen, die auf diesem Gebiet sehr gut abgeschnitten haben.

Weil es aber einige Schaderreger gibt, die „die Ernährungssicherheit und Lebensgrundlage von Millionen Menschen gefährden“ und aktuell nur chemisch zu bekämpfen sind, seien chemische Pflanzenschutzmittel nach wie vor unverzichtbar. Als Beispiele für solche Schaderreger führt sie die Krautfäule in Kartoffeln an. Diese sei in den Köpfen der Bevölkerung zwar nicht mehr präsent, aber nur weil Landwirte sie in den vergangenen Jahren weitestgehend kontrollieren konnten. Ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln könnte diese Gefahr in Starkbefallsjahren wieder aufleben lassen.

Darüber hinaus warnt Dr. Richter davor, den ökologischen Anbau pauschal besser darzustellen als die konventionelle Landwirtschaft: „Beim Einsatz von Hacken möchte man auch kein Nicht-Ziel-Organismus sein.“ So verwies auch Markus Röser, Leiter Kommunikation und Nachhaltigkeit bei BASF Agricultural Solutions Europa Nord, auf eine vom Umweltbundesamt unterstützte Studie. Nach dieser ist die Biodiversität auf ökologisch bewirtschafteten Flächen „nicht zwangsläufig besser als auf konventionell bewirtschafteten Flächen.“

Außerdem stellte Dr. Richter in Frage, dass die Konsequenzen des EU-Vorschlages hinreichend durchdacht sind. Die Expertin befürchtet nicht nur ein weiteres Höfesterben, sondern auch einen Export von negativen externen Kosten, falls Landwirte den Ackerbau in einer Hochertragsregion wie NRW extensivieren müssen.

Low-Risk als Alternative

Wiener betonte mehrfach, dass sie ausdrücklich kein Totalverbot für Pflanzenschutzmittel in sensiblen Gebieten fordere, sondern den Einsatz von sogenannten Low-Risk- und biologischen Pflanzenschutzmitteln offen halten möchte. Landwirt Heinrich Albersmeier aus Anröchte stellte aber klar, dass das für ihn einem Totalverbot gleich komme. Zurzeit seien keine biologischen oder Low-Risk-Produkte verfügbar, die klassische Produkte ersetzen könnten. Von den Einschränkungen wären seine Flächen zu 100 % betroffen, sodass für ihn fest steht: „Wenn die SUR so kommt, wie die Kommission sie plant, höre ich auf.“

Abgesehen von den Pflanzenschutz-Verboten kritisiert der Praktiker auch, dass der Vorschlag es „nicht ansatzweise schafft, die größten landwirtschaftlichen Probleme zu regeln.“ Dazu zählen für ihn die Wasserverfügbarkeit, die Degeneration von Böden sowie das Vermeiden von Erosion. Zudem fehlt es ihm im EU- Papier an Vorschlägen für messbare Faktoren, anhand derer man die Biodiversitätsleistung der Landwirtschaft nachvollziehbar messen könne.

Gegen die Vorwürfe von Dr. Richter und Albersmeier wehrte Wiener sich. Im Bezug auf Wasser so: „Im ökologischen Anbau wird die Wasserhaltung bis zu vier mal stärker sein, als im konventionellen Anbau.“

Intensiv mit Ausgleich?

Ein Hoffnungsschimmer für Landwirte: Wiener betont, dass der Vorschlag in seiner jetzigen Form nicht kommen wird. Die Kommission habe ebenso einen Entwurf auf den Tisch gelegt, wie Wiener es getan hat und die EU-Mitgliedsstaaten es auch tun werden. Am Ende werde man versuchen, einen „guten, brauchbaren und soliden Kompromiss zu finden.“ Gleichzeitig rief die Politikerin Landwirte und die „Pestizid-Industrie“ dazu auf, nicht nur Kritik zu üben, sondern auch gute Vorschläge in der Diskussion zu platzieren.

„Klar ist, dass Landwirte veränderungsbereit sind“, betont Dr. Jörn Krämer, Referent für Agrarpolitik und Umwelt beim WLV. So verweist er auch auf die „sehr gute Kooperation zwischen Wasserversorgern und Landwirten in NRW.“ Ein Vorschlag, den die Vertreter aus Landwirtschaft und Industrie Wiener mit auf den Weg nach Brüssel gaben: Wenn man die Landwirtschaft auf den besten Standorten intensiviert, bleibe auf weniger guten Standorten viel Raum für gezielten und intensiven Artenschutz, von dem alle profitieren.

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