Der Streit um die Rundholzvermarktung aus dem Privatwald durch Wald und Holz NRW geht in die nächste Runde: Nach der Androhung im vergangenen Herbst haben jetzt 32 Unternehmen der Sägeindustrie das Land Nordrhein-Westfalen auf Schadenersatz verklagt. Die Forderung der Säger: rund 183 Mio. €. Die Betriebe beschuldigen das Land, infolge der gebündelten Holzvermarktung aus dem Staats- und Privatwald im Zeitraum von 2005 bis 2019 zu hohe Preise für Rohholz gezahlt zu haben.
Klage eingereicht
Ende April hat das Landgericht Dortmund (im Bezirk des OLG Hamm für Kartellangelegenheiten zuständig) dem Landesbetrieb Wald und Holz NRW (Verfahrensvertreter des Landes), die Klageschrift der „ASG 2 Ausgleichsgesellschaft für die Sägeindustrie Nordrhein-Westfalen GmbH“ zugestellt. Die Gesellschaft tritt als vermeintlich Geschädigte auf, nachdem 32 hauptsächlich in NRW tätige bzw. dort ihren Sitz unterhaltende Sägewerksbetriebe ihre möglichen kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche an diese abgetreten haben.
Die Hauptforderungen der Klägerin beziehen sich auf
1. die Zahlung von 131 063 880 € nebst Zinsen in Höhe von 45 482 307 € zuzüglich weiterer Zinsen,
2. die Zahlung von 4 190 963 € nebst Zinsen in Höhe von 2 559 470 € zuzüglich weiterer Zinsen sowie
3. die Feststellung, dass das Land verpflichtet sei, der Klägerin sämtliche Schäden nebst Zinsen zu ersetzen, die den Geschädigten durch kartellbedingte Überzahlungen für Rundholzbezüge seit dem 1. Juli 2019 entstanden seien und noch entstehen würden.
In Summe beträgt die Klageforderung derzeit etwa 183 Mio. € zuzüglich weiterer Zinsen.
NRW ist damit das zweite Bundesland gegen das die Gesellschaft klagt: Anfang Juli 2019 wurde Klage gegen das Bundesland BadenWürttemberg mit Schadenersatzansprüchen von mehr als 416 Mio. € eingereicht.
Ein „Syndikat“
Die Anträge zu Nr. 1 und 2 begründet die Gesellschaft damit, dass die Landesforstverwaltung NRW in Form eines langjährigen „Syndikats“ das Rundholz aus dem Privat-, Körperschafts- und Staatswald unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht zu überhöhten Preisen vermarktet habe. Die Klägerin berechnet für den Zeitraum vom 28. Juni 2005 bis 30. Juni 2019 eine kartellbedingte Überzahlung in Höhe von durchschnittlich 7,8 %.
Mit dem Antrag zu Nr. 3 will die Klägerin feststellen lassen, dass seit dem 1. Juli 2019 für einen Umstellungs-/Nachwirkungszeitraum im Anschluss an die Einstellung der kooperativen Holzvermarktung weitere kartellbedingte Überzahlungen entstanden seien bzw. noch entstehen würden.
Gütevorschlag abgelehnt
Im Juli vergangenen Jahres beantragte die ASG 2 bereits die Einleitung eines außergerichtlichen Güteverfahrens. Die Gesellschaft soll darin ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten haben, das Land NRW sei zur Leistung von Kartellschadenersatz in Höhe von rund 262 Mio. € zuzüglich bisheriger und weiterer Zinsen in Höhe von etwa 83 Mio. € für die Jahre 2005 bis 2019 verpflichtet. Diese Summe von rund 345 Mio. € erhöhe sich nach Auffassung der ASG 2 seit dem 1. Juli 2019 um weitere laufende Zinsen.
Der Landtag ist informiert
Das Land hat sich nicht auf das vorgeschlagene Güteverfahren eingelassen. Die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz sowie des Haushalts- und Finanzausschusses wurden bereits über die Gründung der „ASG 2“ und eine mögliche Klageerhebung informiert (Vorlage Nr. 17/2661 vom 31. Oktober 2019). Sämtliche Ansprüche werden vom Land NRW und auch von den anderen betroffenen Bundesländern bestritten.
Das Land NRW hat zwischenzeitlich dem Landgericht Dortmund seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt: Wald und Holz NRW wurde vom Umweltministerium beauftragt, das Land in den anstehenden Rechtsstreitigkeiten gerichtlich und außergerichtlich gegenüber der ASG 2 zu vertreten. Zu den möglichen Auswirkungen eines Richterspruchs gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Zu den Auswirkungen für die Waldbesitzer hierzulande wollte der Waldbauernverband NRW gegenüber dem Wochenblatt keine Stellungnahme abgeben.
Der Hintergrund der Klage
- Die Landesforstverwaltung NRW, zuletzt vertreten durch Wald und Holz NRW, vermarktete seit Mitte der 1970er-Jahre im Rahmen der Einheitsforstverwaltung gebündelt Holz aus dem Staats-, Privat- und Körperschaftswald.
- Das wurde 2001 mit einer durch den Verband der Deutschen Säge und Holzindustrie e.V. (VDS) (mittlerweile Verband der Säge- und Holzindustrie Deutschlands DeSH) initiierten Kartellbeschwerde beim Bundeskartellamt (BKartA) angegriffen. In der Folge gaben das Land NRW wie auch die Bundesländer Baden-Württemberg, Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz, die ebenfalls Holz aus dem Privat- und Kommunalwald vermarkteten, in den Jahren 2008 und 2009 „Verpflichtungszusagen“ gegenüber dem Bundeskartellamt ab (Az. B 2 – 90/01- 2). In diesen Verpflichtungszusagen wurden für die Länder konkrete Schwellenwerte für Holzvermarktungskooperationen festgelegt sowie Maßnahmen zur Verringerung ihrer Marktposition.
- 2012 nahm das BKartA das Verfahren gegen das Land Baden-Württemberg wieder auf. Der Grund: Wegen neuer Ermittlungen kam das BKartA zu dem Ergebnis, dass die Verpflichtungszusagen nicht (mehr) ausreichten, um den wettbewerbsrechtlichen Bedenken zu begegnen. Daraufhin hob das BKartA seine Verpflichtungszusageentscheidung auf und erließ eine Abstellungsverfügung. Darin untersagte es BadenWürttemberg den gebündelten Holzverkauf sowie die Durchführung bestimmter, dem Holzverkauf vorgelagerter Dienstleistungen.
- Die Beschwerde des Landes Baden-Württemberg wurde vom OLG Düsseldorf zurückgewiesen, zudem stellte das OLG fest: die gebündelte Rundholzvermarktung durch das Land Baden-Württemberg sei eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.03.2017, VI-Kart 10/15 (V)). Vor diesem Hintergrund begann die Landesforstverwaltung NRW den Ausstieg aus der kooperativen Holzvermarktung vorzubereiten.
- Im Juni 2018 hob der BGH auf die Rechtsbeschwerde des Landes Baden-Württemberg die Entscheidung des OLG Düsseldorf sowie die Entscheidung des BKartA auf. Die Aufhebung erfolgte aber allein aus verfahrensrechtlichen Gründen. Der BGH wies ausdrücklich darauf hin, dass er den kartellrechtlichen Sachverhalt der gebündelten Holzvermarktung in Baden-Württemberg als solches nicht geprüft habe.
- Vor diesem Hintergrund sah ein Teil der Kunden des Landesbetriebs Wald und Holz NRW die Möglichkeit, wegen angeblicher kartellbedingter Preisaufschläge und einer vermuteten starken Marktstellung Schadenersatzansprüche gegen das Land NRW geltend zu machen.
- Ende 2019 hat das Land die kooperative Holzvermarktung vollständig eingestellt.