"Kommen Sie doch mit hinein.“ Cornelia Weiß schließt die Tür des Fachwerkhauses auf. Nachdem wir einen kleinen Flur durchquert haben, sind wir auf der Deele und damit in dem Raum, in dem sie seit dem 1. Juni 2019 bereits knapp 100 Interessierte auf die Jägerprüfung vorbereitet hat. Denn Cornelia Weiß ist Leiterin einer Jagdschule. Bundesweit gibt es zwei bis drei Frauen in dieser Position. Und die 28-Jährige ist womöglich die einzige, die zudem auch die Anwärter unterrichtet.
Aus der „Waffenstadt“ Suhl
Dass es dazu kam, ist dem Zufall geschuldet, erzählt sie. Vielleicht aber doch nicht so ganz, denn gebürtig stammt die schlanke Frau aus der „Waffenstadt“ Suhl im Thüringer Wald, der Stadt der Büchsenmacher. Trotzdem ist sie „aus der Art geschlagen“, als sie im Alter von zehn Jahren mit dem Sportschießen begann. „Keiner in meinem Umfeld hatte dieses Hobby“, sagt sie. Ihre Mutter ist gelernte Zahnarzthelferin, der Vater Justizbeamter, die gut sieben Jahre ältere Schwester Architektin.
Angefangen ist Cornelia Weiß mit dem Luftgewehrschießen. Mit 15 Jahren wechselte sie zum Wurfscheibenschießen, also quasi zum Tontaubenschießen im Sportbereich. „Das hat mir viel mehr Spaß gemacht. Es ist dynamischer und mit Reaktion verbunden“, erzählt sie. Dabei wurde ein Talent entdeckt, denn noch im selben Jahr schaffte sie es in die Nationalmannschaft. „Im Gegensatz zu heute war ich damals die einzige Juniorin und musste daher bei den Damen mitschießen.“ Die Erfolge können sich sehen lassen: Neben der Deutschen Meisterschaft gehörte ihr Team zu den „Top Ten“ bei Europa- und Weltmeisterschaften.
Ihre Schulzeit verbrachte Weiß auf einem Sportgymnasium im thüringischen Oberhof, „da, wo auch die Biathleten trainieren“. Bereits mit 14 Jahren stand daher ihr Berufswunsch fest: „Ich wollte Bundestrainer werden – und wusste schon, wann der damalige in Rente gehen würde“, berichtet sie schmunzelnd. Mit 18 Jahren machte Weiß ihren Jagdschein. „Auch das war eine spontane Idee“, erinnert sie sich. Doch mit den spontanen Entscheidungen hat sie in ihrem Leben bisher immer gute Erfahrungen gemacht. Es folgte ein Sportstudium in Köln. Parallel dazu absolvierte sie erfolgreich alle Trainerscheine und einen Jury-Lehrgang („die Jury sind die Chefs der Wettkampfrichter“). Denn als aktive Sportlerin wurde mit der Zeit der dauernde Wettkampfdruck zur Belastung. „Ich habe damals nur für diese Sportart gelebt, musste mich entsprechend ernähren, durfte mich auf keinen Fall verletzen.“ Als Richterin und Trainerin war diese Belastung weg. „Ich habe diese Zeit genossen, wollte das gefühlt mein Leben lang machen.“
Doch dann sah sie eine Stellenanzeige einer Jagdschule aus Rheine bei Facebook. „Spontan habe ich mich darauf gemeldet und wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen.“ Das Ergebnis: Sie setzte sich gegen gut 30 Mitbewerber durch. Anfangs ging es nur um die Schießausbildung und das auch nur in Teilzeit. Denn parallel studierte sie noch. „Doch dann fiel in der Jagdschule ein Kollege plötzlich aus und ich musste auch dessen Fächer übernehmen, sodass ich auf einmal alles gemacht habe.“
2015 beendete sie erfolgreich ihr Studium und hörte zeitgleich mit dem Wettkampfsport auf. „Ich hatte damals den Spaß daran verloren und zudem keine Zeit mehr. Die Arbeit in der Jagdschule hatte Priorität.“
Ziel: Jäger weiter begleiten
Schon damals fasste die engagierte Frau den Entschluss, selbst mal eine Jagdschule zu gründen. 2018 ging sie ihr Ziel aktiv an und begab sich auf die Suche nach einem geeigneten Objekt. Das alte, doch von außen bereits renovierte Fachwerkhaus „war die erste Immobilie, die ich mir angeschaut habe. Und schon, als ich zur Tür reingekommen bin, wusste ich: Das ist es“, erzählt Cornelia Weiß. Der Pachtvertrag war schnell unterschrieben.
Am Ende einer Sackgasse gelegen und mit Blick auf Felder, Hecke und Wald im Hintergrund, liegt die Jagdschule im Grünen. Um die Jagdschule herum entsteht ein Lehrpfad mit verschiedenen jagdlichen Einrichtungen. „Die Deele habe ich bewusst schlicht gehalten“, sagt Cornelia Weiß. Prägende Elemente sind die Tische mit rustikaler Platte aus Eiche, die Corona-bedingt auf Abstand stehen. Trophäen wie die eines Rothirsches und einiger Rehböcke finden sich nur an der Wand in einer kleinen Sitzecke, in der zwei Sessel zum Platz nehmen einladen. Die für die Schulung benötigten Trophäen und Präparate befinden sich im Raum nebenan.
Zum Angebot der Jagdschule gehören nicht nur Kurse, um Interessierte auf die Jägerprüfung vorzubereiten. „Ich möchte die Jäger auch danach nicht alleine lassen.“ Daher werden auch Seminare zum Hochsitzbau, zur Fallenjagd, zum Messer schleifen und zur Trophäen-Präparation angeboten. Auch an Nichtjäger richtet sich das Seminar „Der wilde Metzger“, das ein Metzger aus Bad Rothenfelde leitet, der Tipps zum Zerwirken von Wild vermittelt – mit anschließender Zubereitung und Verkostung.
„Hier bleibe ich“
„Weil ich viel reden kann, hat meine Mutter immer gemeint, ich müsse Lehrerin werden oder zum Radio gehen“, erzählt Weiß rückblickend. „Doch das hier war die beste Entscheidung meines Lebens“, zieht sie ihr persönliches Fazit. „Ich kann gut vor Menschen stehen und Dinge erklären“, sagt sie. „Und ich habe extreme Geduld mit Menschen, die etwas nicht verstehen.“ Cornelia Weiß hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht: „Ich habe den besten Job, den ich mir hätte vorstellen können.“