Wochenblatt: Herr Caesar, wie es dem Wald in NRW geht, können wir täglich beobachten. Wie sieht es in den anderen Bundesländern aus?
Cajus Caesar: Wir haben über ganz Deutschland verteilt Schäden. Betroffen sind vor allem die wasserbedürftigen Baumarten, das sind die Fichte und die Buche. Schadursachen sind vorrangig der Borkenkäfer sowie Pilze, die sich infolge der Dürre vermehren konnten. Die hauptsächlich betroffenen Bundesländer sind Niedersachsen, NRW, Hessen und Sachsen-Anhalt. Bisher gibt es etwa 180.000 ha Schadflächen, zudem mehrere Hunderttausend Hektar, die stark aufgelichtet sind.
Und wie sieht es in den Nachbarländern aus, Herr Wiese?
Dirk Wiese: Von unseren Nachbarländern ist vor allem Tschechien betroffen, besonders an der Grenze zu Bayern. Kalamitäten gibt es aber in fast allen europäischen Nachbarländern. Darum sollten wir die Diskussion auf europäischer Ebene führen und gemeinsam Gelder aus Brüssel „anzapfen“. Dazu könnten wir konkret Gelder der GAP-Mittel umschichten. Zu Recht gibt es Forderungen nach einem europäischen Waldsolidaritätsfond. Diese Diskussion in Brüssel kann den Waldbauern hierzulande zusätzlich helfen.
Die Holznutzung und konkreter der Holzbau gewinnen an Zuspruch. Der Borkenkäfer hat allerdings Hunderttausende Vorratsfestmeter Bauholz vernichtet. Wie decken wir kurz- und mittelfristig unseren Holzbedarf?
Wiese: Momentan gibt es zweifelsohne Überkapazitäten auf dem Markt. Wenn wir gewisse Anpassungen nicht hinbekommen, könnte es in den nächsten Jahren möglicherweise zu einer Holzknappheit kommen, was dann zu einem höheren Importbedarf führen würde. Konkret ist es wichtig, den Baustoff Holz stärker in den Fokus zu rücken. Darum ist es gut, dass der Bundestag erst kürzlich 55 Mio. € für die Stärkung des Holzbaus zur Verfügung gestellt hat. Daher könnte der Holzbedarf künftig steigen. Aber auch Holz mit einer gewissen Blaufärbung muss einer vernünftigen Nutzung zugeführt werden und darf nicht verramscht werden.
Hinsichtlich der Bläue schließen allerdings DIN- und EU-Normen die Nutzung des Holzes aus. Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, dass die importierten Hölzer aus einer nachhaltigen Forstwirtschaft stammen?
Caesar: Wenn wir Holz importieren, muss es aus einer nachhaltigen Bewirtschaftung stammen. Ich sehe die Zertifizierungssysteme wie PEFC und FSC als sehr gut an.
Allerdings sind auch Ikea-Möbel FSC-zertifiziert, stammen nachweislich aber auch aus nicht nachhaltiger Forstwirtschaft?
Caesar: In der Regel sind es nationale Standards. Das bedeutet, dass beispielsweise in Namibia FSC-zertifizierte Betriebe Kahlschläge von 300, 500 oder sogar 1000 ha durchführen dürfen und zudem literweise Glyphosat bei der Bewirtschaftung der Plantagen verwenden – das sind keine Wälder mehr. Grundsätzlich müssen die Standards der Zertifizierungssysteme international vergleichbarer werden – das ist in Arbeit. Aber ehe es gar keine Zertifikate gibt, ist ein schwer vergleichbares FSC-Siegel immer noch besser als nichts. Kritik am System gibt es aber dennoch.
Besser als Holzimporte sind meiner Meinung nach Zeitmischungen mit Nadelholz, zum Beispiel mit der Küstentanne und Douglasie, die schon nach wenigen Jahren die für den Holzbau benötigten Mengen liefern und den Waldbesitzern entsprechende Erträge bescheren.
Bislang wird fast ausschließlich Nadelholz als Bauholz genutzt. Auf der anderen Seite werden 80 % des Buchenholzes schlichtweg verbrannt. Wieso gibt es keine Konzepte, mehr Laubholz stofflich zu nutzen?
Wiese: Derzeit prüfen wir, wo die rechtlichen Hindernisse beim Bauen mit Holz liegen. Es hat sich herausgestellt, dass einige Landesbauordnungen noch Luft nach oben haben. Darum müssen wir auch die Musterbauordnung des Bundes überarbeiten. Aber auch die Architekten müssen sich stärker mit dem Baustoff Holz beschäftigen – Stahl und Beton sind noch immer der bevorzugte Baustoff.
Caesar: Einige Länder um uns herum bauen zu 50 % mit Holz und das sind noch nicht einmal Finnland oder Schweden. Auch in anderen Bundesländern beträgt die Holzbauqoute mittlerweile 30 %, in anderen liegt sie dafür unter 10 % – das kann nicht sein.
Wiese: Aber es wird zurzeit viel für den Holzbau gemacht und es gibt mittlerweile viele gute Beispiele.
Angesichts der aktuellen Waldschäden ist der Aktionismus der Parteien und Verbände greifbar – gefühlt wirft jeder Funktionär mit dreistelligen Millionenbeträgen um sich. Der Bund und das Land NRW haben eigene Strategien entwickelt. Was konkret ist seitens des Bundes auf dem Weg?
Wiese: Bislang hat der Bund fast 1 Mrd. € auf den Weg gebracht, das ist ein starkes Zeichen. Es wird immer die Diskussion geben, ob das ausreicht. Wir müssen jetzt schauen, dass die Mittel aus Berlin von Brüssel vor dem Hintergrund von Begrenzungen, wie der De-minimis-Regelung, ratifiziert werden. Da gibt es aktuell berechtigte Kritik der Waldbauern an der Landesregierung, ob eine Deckelung der Fördermittel auf 15.000 € tatsächlich sinnvoll ist. Da muss das Land nacharbeiten.
Ich habe aber auch eine weitere Sorge: Die Gelder müssen jetzt auch abgerufen werden. Darum müssen wir auf Bundesebene prüfen, wie wir eine Überjährigkeit der Mittel hinbekommen, damit das Geld nicht zurück in den Bundeshaushalt fließt.
Wie bekommen wir das Geld in die Fläche?
Caesar: Der Bundesrahmen ist breit und die Länder haben alle Möglichkeiten. Das fängt damit an, dass der Antrag auf Förderung der Schadholzbeseitigung, in NRW beträgt die Förderung 5 €/fm, nicht für bereits abgestorbenes Käferholz gestellt werden darf – es ist nicht mehr fängisch. Gleichzeitig darf das Holz auch nicht mehr grün und frisch sein. Wenn der Waldbesitzer einen Antrag stellt, der Förster aber erst zwei Wochen später zur Kontrolle kommen kann, ist die Situation schon wieder eine völlig andere.
Außerdem müssen alle Anträge bis Anfang Dezember abgewickelt sein. Für Maßnahmen im neuen Jahr sind neue Anträge nötig. Das heißt in der Praxis: Der Forstunternehmer muss seine Arbeit stoppen, wenn der eine Förderantrag „abgearbeitet“ ist. Oft darf der Unternehmer erst Wochen später an der gleichen Stelle weiterarbeiten. Das ist praxisfern und sehr kompliziert.
Zudem müssen die Länder den Bundesrahmen der „Wetterextreme“ auch voll ausschöpfen. Zusätzlich muss man mit den Mitteln so umgehen, dass der Waldbesitzer bei der Antragstellung nicht die Lust auf die Förderung verliert. Hier spielt das Forstpersonal eine wichtige Rolle, das den direkten Kontakt zu den Waldbesitzern hat.
Hat Frau Heinen-Esser das erkannt?
Caesar: Ja. Im Moment überlegen die Länder, woher sie zusätzliches Forstpersonal bekommen.
Wiese: Ich spreche Frau Heinen-Esser nicht ab, das Problem erkannt zu haben. Allerdings ist die Unsicherheit der Waldbauern spürbar, die vor den Herausforderungen der direkten Förderung und der Wiederaufforstung stehen.
Die Pflicht zur Wiederaufforstung wurde nach Kyrill von zwei auf fünf Jahre verlängert. Warum hält auch der Bund bisher an der Zweijahresfrist fest?
Caesar: Da gebe ich Ihnen Recht. Die Frist sollte verlängert werden, auch um zu schauen, ob und welche Naturverjüngung sich einstellt.
Wiese: Wir sollten den Waldbauern bei der Wiederbewaldung so viel Flexibilität einräumen wie irgend möglich.
Nach Expertenmeinung sind künftig nur noch Mischwälder stabile Wälder. Was bedeutet das für die Wiederbewaldung?
Caesar: Vielleicht lassen sie uns mit dem Pflanzgut beginnen: Wichtig ist anerkanntes Saatgut zu nutzen, das von gesunden Bäumen stammt und für den Standort geeignet ist.
Sicherlich hat sich durch den Klimawandel eine Verschiebung ergeben. Das Saatgut einer Buche, die auf einem trockenen Standort in Brandenburg wächst, kann sich unter den künftigen Bedingungen auch für Ostwestfalen-Lippe eignen. Sprich: Wir haben eine Verschiebung der Verbreitungsgebiete.
Zudem sollten weitere Bestände als Saatgutbestände anerkannt werden. Drittens sollten wir uns im Ausland umschauen, ob sich Saatgut aus anderen Ländern und Regionen nutzen lässt. Anerkanntes Saatgut aus anderen Ländern müssen wir aber sehr genau prüfen.
Heißt das vielleicht auch, dass wir das Forstvermehrungsgutgesetz nochmal überarbeiten müssen? Dort ist genau definiert, was und wie groß ein Saatgutbestand ist.
Wiese: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben das bereits diskutiert und sollten den Rahmen nicht zu eng spannen.
Vor dem Hintergrund der Wiederbewaldung forderte Bundesumweltministerin Svenja Schulze im Rahmen des Bundeswaldgipfels „Wald vor Wild“. Gehen Sie da mit?
Wiese: Wenn wir Fördergelder ausschütten und Setzlinge pflanzen, brauchen wir angepasste Schalenwildbestände, damit die Wildtiere die Pflanzen und letztlich die Steuergelder nicht auffressen. Das Thema müssen wir nochmal angehen und gegebenenfalls das Bundesjagdgesetz ändern. Das wird für Diskussionen sorgen.
Caesar: Die gesetzlichen Regelungen sind so zu fassen, dass die Verjüngung der Hauptbaumarten ohne Schutz möglich sein muss. Als Hauptbaumarten zählen alle Baumarten, die auf mehr als 5 % der Fläche wachsen. Wie sollen wir sonst klimaresistente Baumarten etablieren? Wir sollten aber keine Fronten zwischen Waldbesitzern und Jägern aufbauen.
Wiese: Das würde ich unterstreichen, wir brauchen eine sachliche Diskussion.
Nähern wir uns einem anderen Themenfeld: Wie wichtig ist der Wald für den Klimaschutz?
Wiese: Der Wald spielt für den Klimaschutz eine entscheidende Rolle, für den Wasserhaushalt, aber ebenso vieles mehr. Tatsächlich ist der Wald als Klimaschützer in der öffentlichen Diskussion jetzt noch viel mehr angekommen. Ich glaube, den Wald als Klimaschützer und Ökosystemdienstleister auch monetär zu erfassen, ist richtig und sollte diskutiert werden.
Der Kleinstprivatwald trägt wesentlich zum Klimaschutz bei – fast die Hälfte der deutschen Waldbesitzer sind Kleinstprivatwaldbesitzer. In NRW steht die forstliche Betreuung wegen der Forstreformen derzeit auf der Kippe. Kann sich der Bund angesichts der Klimaziele die „kalte Stilllegung“ des Kleinstprivatwaldes leisten?
Wiese: Ich glaube, wenn die Kleinstprivatwaldbesitzer mal durchrechnen, welche Holzerträge ihnen durch die Kalamitäten fehlen und was gleichzeitig die Wiederaufforstung kosten wird, werden sie die Lust an ihrem Wald verlieren. Das ist meine Sorge. Das heißt auch, dass wir die Fördergelder vorrangig Klein- und Kleinstprivatwaldbesitzern zur Verfügung stellen sollten. Wald bewirtschaften heißt das Klima schützen.
Der 11-Punkte-Plan des Bundeslandwirtschaftsministeriums spricht dem Kleinprivatwald eine besondere Unterstützung zu, beispielsweise zur Strukturverbesserung und bei der Betreuung. Wie sieht die Unterstützung aus?
Caesar: Die forstlichen Zusammenschlüsse müssen gestärkt werden. Dazu zählt beispielsweise Forstpersonal bereitzustellen oder anteilig zu finanzieren. Ziel muss es sein, möglichst viele Waldbesitzer für die forstlichen Zusammenschlüsse zu gewinnen. Ich muss Leute ansprechen, um sie zu gewinnen, dafür ist forstliches Personal nötig.
Wiese: Das unterstreiche ich. Außerdem müssen wir bereits in den Schulen beginnen, den Kindern den Wald näherzubringen. Darum halte ich Waldpädagogik und außerschulische Angebote für sehr wichtig.
Die Familienbetriebe Land und Forst fordern eine CO2-Prämie zugunsten der Waldbesitzer. Zu Recht?
Wiese: Die Ökosystemleistungen des Waldes entsprechend zu honorieren, halte ich für richtig. Dies in Form einer CO2-Prämie zu tun, ist ein Ansatz. Dabei müssen wir aber den richtigen Weg finden. Denn wenn wir den Zuwachs honorieren, der im Wald stattfindet, kann es nach Schadereignissen auch in die andere Richtung gehen. In dem Fall könnte es sein, dass der Waldbesitzer CO2-Zertifitkate kaufen und insgesamt draufzahlen müsste. Solche Details müssen wir klären. Ich bin offen für die Diskussion, halte aber die Skepsis, die die Bundeslandwirtschaftsministerin bereits während des Waldgipfels äußerte, für angemessen. Die Ökosystemleistungen ließen sich aber auch über die GAP-Mittel honorieren, zudem gibt es interessante Programme des Vertragsnaturschutzes.
Gehen Sie da mit, Herr Caesar?
Caesar: Der Waldbesitzer erbringt eine Reihe von Leistungen für unsere Gesellschaft, wie CO2-Bindung, sauberes Wasser sowie Leistungen, die über die „normale“ Bewirtschaftung hinausgehen. Wenn der Landwirt diese Leistung erbringt, bekommt er eine Prämie, der Waldbesitzer nicht. Deshalb halte ich eine Flächenprämie aus den Mitteln der zweiten Säule der GAP-Mittel für möglich.
Zudem leistet der Waldbesitzer Leistungen über das Gesetz hinaus. Diese würde ich ganz konkret als Ökosystemleistungen bezeichnen. Da müsste ein Ausgleich, gekoppelt an die forstliche Förderung, erfolgen. Hierzu könnten Gelder aus dem Klimafond bereitgestellt werden. Schließlich zählt die nachhaltige Bewirtschaftung und die Aufforstung nach Meinung des Weltklimarats zu den kosteneffektivsten Maßnahmen des Klimaschutzes.
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