Das Nordrhein-Westfälische Landgestüt hat mit Dr. Felix Austermann einen neuen Leiter. Offiziell begrüßt und vorgestellt wurde der in Bonn promovierte Agrarwissenschaftler am 27. März 2022 von Ursula Heinen-Esser, zu dem Zeitpunkt noch Landwirtschaftsministerin in NRW, Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW, sowie Staatssekretär Heinrich Bottermann im Rahmen des Züchtersonntags im Landgestüt in Warendorf. Den Dienst hatte der 38-Jährige bereits am 15. März 2022 angetreten.
Offenes Berufungsverfahren
In Anbetracht der Tatsache, dass diese Woche Donnerstag eine Verhandlung am Landesarbeitsgericht Hamm wegen eines Berufungsverfahren zum Bewerbungsverfahren stattfindet, stellt sich die Frage: War das Land NRW etwa zu schnell bei der Einstellung der neuen Gestütsleitung?
Als die Stelle im vergangenen Jahr im Mai aufgrund der Video-Affäre und wegen Vorwürfen des Verstoßes gegen den Tierschutz um die damalige Leiterin Kristina Ankerhold vakant wurde, schrieb das Landwirtschaftsministerium NRW als für das Landgestüt zuständige Behörde diese neu aus. Die Bewerbungsfrist war der 11. November 2021.
Schmitt: "Das Landgestüt war mein Leben"
Darauf hatte sich Susanne Schmitt beworben. „Ich will zurück zum Landgestüt. Das Landgestüt war mein Leben. Ich habe damals jede Woche fast 70 Stunden gearbeitet. Ich habe dort viel Zeit und Engagement reingesteckt und das Landgestüt vorangebracht“, sagt die Bad Salzuflerin.
Die Diplom-Agraringenieurin leitete das Landgestüt mehr als 20 Jahre. Im März 2017 wurden die 57-Jährige und zwei ihrer Mitarbeiter vom zuständigen NRW-Umweltministerium wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme im Amt fristlos entlassen. Wie das Wochenblatt derzeit berichtete, hätte Schmitt im August 2013 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die „Equine Consulting International“ (ECI), gegründet. Sie sollte Dienstleistungen für die luxuriöse Reitsporteinrichtung Al Shaqab in Katar abwickeln. Auf Einladung der Kataris reisten die Angeklagten im März 2013 und März 2014 jeweils mit ihren Ehepartnern nach Doha und besuchten dort ein Reitturnier. Die Tickets für die Flüge und den Aufenthalt sollen ihre Gastgeber gezahlt haben.
Welche Rolle spielte das Ministerium?
Aber welche Rolle spielte das Ministerium? Erzielte doch das Land selbst erhebliche sechsstellige Einnahmen aus der Kooperation des Landgestütes mit Al Shaqab wie das Wochenblatt 3/2020 zum Prozess vor dem Landgericht in Münster am 8. März 2020 berichtete. Zur fraglichen Zeit wies das Landgestüt Defizite von etwa 1,5 bis 2 Mio. €/Jahr auf. Nach ersten Gesprächen im Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium Ende Mai 2012 habe der damalige Abteilungsleiter Dr. Habeck dann sinngemäß mitgeteilt, so das Wochenblatt über Schmitt beim Prozess vor dem Landgericht Münster: „Bleiben Sie dran, ist doch eine tolle Geschäftsidee.“
Auch der damalige Landwirtschaftsminister Johannes Remmel soll die Gestütsleiterin bei der Hengstparade im Herbst 2012 in Warendorf aufgefordert haben: „Frau Schmitt, machen Sie doch was mit den Arabern.“ Schon damals will die Beschuldigte ihren direkten Vorgesetzten Dr. Habeck wiederholt jedoch darauf hingewiesen haben, dass es Probleme gebe, was den Umfang der Dienstleistungen angehe. Das Landgestüt dürfe keine Pferde und kein Personal vermitteln, das sei Vorgabe des Landes. „Dann machen Sie das halt als Nebentätigkeit“, soll Dr. Habeck der Leiterin wörtlich mitgeteilt haben, berichtet das Wochenblatt. „Ich habe auf schriftliche Anweisung des damaligen Staatssekretärs gehandelt.“ Das Schreiben liegt dem Wochenblatt vor.
Strafprozess vor dem Amtsgericht Warendorf
Zurück zum Anfang: Der Strafprozess gegen die ehemalige Leiterin folgte im Januar 2018 vor dem Amtsgericht Warendorf. In erster Instanz legte Richterin Ines Pielemeier das Urteil fest: Vier Vorwürfe auf Vorteilsnahme im Amt, davon drei Tatvorwürfe und ein Verdachtsvorwurf wurden bestätigt. Gegen das Urteil aus Warendorf hatte Schmitt vor dem Landgericht in Münster Berufung eingelegt.
Parallel zum Strafverfahren lief vor dem Arbeitsgericht Münster die Klage gegen die fristlose Kündigung der ehemaligen Leiterin. Diese hatte das Arbeitsgericht Münster abgewiesen, ohne Schmitt überhaupt die Chance einer persönlichen Anhörung gegeben zu haben. Das Vertrauensverhältnis des Landes NRW zur Klägerin sei zerstört gewesen. Die Kündigung sei ordnungsgemäß erfolgt. Schmitts Anwalt ließ diese Entscheidung vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm prüfen. Ergebnis: Die fristlose Kündigung ist rechtens. Das Pikante: Bei der Entscheidung nahm das zweitinstanzliche Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm auf das erstinstanzliche Urteil aus Warendorf Bezug, obwohl dieses noch nicht rechtskräftig war, da eine Berufung vor dem Landgericht Münster ausstand.
Münster stellt Strafverfahren ein
Beim Landgericht Münster gab die vorsitzende Richterin der vierten Strafkammer, Richterin Ostendorf, Susanne Schmitt nach ihren Angaben erstmals im Gegensatz zu den anderen Richtern die Chance auf eine persönliche Anhörung. Bereits nach dem ersten Verhandlungstag schlug das Landgericht Münster der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten Schmitt vor, das Strafverfahren nach §153 a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Begründet wurde die Entscheidung mit der "Prozessökonomie".
Was ist Prozessökonomie? "Prozessökonomie": Der Nutzen eines Prozesses ist zu maximieren und der Aufwand zu begrenzen. Idealerweise wird für die rechtssuchende Partei (in diesem Fall das Land NRW) unter Einsparung vermeidbarer Verfahrenskosten ein möglichst schnelles Ergebnis erlangt, während für die Gerichte der finanzielle und personelle Aufwand reduziert wird. Mit anderen Worten: Ein Beschuldigter steht vor der Wahl, es auf einen langen und teuren Kampf ankommen zu lassen, oder in den sauren Apfel zu beißen und eine ohnehin wahrscheinliche Einstellung des Verfahrens durch die Zahlung einer Geldauflage beschleunigen.
Wichtige Grundlage: § 153a StPO
„Voraussetzung der Erledigung eines Verfahrens nach § 153a StPO ist, dass lediglich ein sogenanntes „Vergehen“ angeklagt ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 153a StPO ist somit grundsätzlich sowohl für die typischen Fälle der Bagatellkriminalität (Ladendiebstähle, Internetbetrügereien oder Erschleichen von Leistungen – „Schwarzfahren“) eröffnet, als auch für Delikte, die im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität eine Rolle spielen (dazu gehören etwa Bestechung, Untreue oder Steuerhinterziehung)“, erklärt Dr. Tobias Rudolph, Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Nürnberg und weiter, „dem Beschuldigten werden im Rahmen des § 153a StPO Auflagen und Weisungen erteilt. Dies können beispielsweise Geldzahlungen an gemeinnützige Einrichtungen oder die Staatskasse sein, aber auch ein Täter-Opfer-Ausgleich, Unterhaltszahlungen oder bestimmte Schulungen. In der Praxis erfolgt eine Einstellung in den meisten Fällen gegen die Zahlung einer Geldauflage.“
Der Paragraf besagt auch, dass damit das öffentliche Interesse endgültig ausgeräumt wird. Und ohne dass es zu einem Schuldanerkenntnis kommt, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Betroffene die vorgeworfene Tat auch begannen hat. Das dürfte das Wichtigste im §153 a StPO sein. Nämlich, dass keine Schuld festgestellt wird, auch keine geringe. Als schuldig kann nur der gelten, dessen Schuld nach Durchführung eines rechtsstaatlichen, justizförmigen Verfahrens festgestellt wird. Gerade das passiert aber bei einer Einstellung nicht. Das Verfahren wird nicht bis zu einem Urteil durchgeführt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Voraussetzung für eine Einstellung gegen Auflage ist die Zustimmung der Beschuldigten. Susanne Schmitt zahlte 2500 €, die Gerichtskosten gingen zulasten des Staates. Mit der Zahlung der Geldauflage wurde das Verfahren endgültig abgeschlossen, denn Verfahren, die mit einer Geldauflage eingestellt worden sind, können nicht wieder aufgerollt werden. Nach §153 a StPO erfolgt keine Eintragung in das Bundeszentralregister. Die ehemalige Landgestütsleiterin gilt offiziell als „Nicht vorbestraft“.
Land hätte Bewerbung berücksichtigen müssen
Folglich durfte sich Susanne Schmitt für die offiziell ausgeschriebene Stelle bewerben. Was sie auch fristgerecht getan habe. Das Land hätte ihre Bewerbung jedoch nicht berücksichtigt und nicht einmal abgesagt. Eine Begründung habe das Umweltministerium ihr auf Rückfrage nicht mitgeteilt, erklärt Schmitt gegenüber dem Wochenblatt und ergänzt, „für Stellen im öffentlichen Dienst hat der Bewerber ein Recht auf eine Absage und eine Erklärung, warum sich der Arbeitgeber für eine/n andere/n Kandidaten/-in entschieden hat und für wen.“ Diese Antwort blieb dieser Arbeitgeber der Bewerberin nach ihren Angaben schuldig.
Klage wegen Nicht-Berücksichtigung
Wegen der Nicht-Berücksichtigung bei ihrer neuen Bewerbung für die damals aktuelle Stellenausschreibung, was Schmitts Anwalt als Formfehler eines Bewerbungsverfahrens bei der Besetzung auf die freie Stelle im öffentlichen Dienst wertete, klagte die 57-Jährige im Februar 2022 vor dem Arbeitsgericht Münster per Eilantrag gegen das Land NRW.
Das Arbeitsgericht in Münster behandelte allerdings nicht die Formfehler des Bewerbungsverfahrens, sondern vertrat die Ansicht des Anwalts des Landes NRW, nämlich, dass es wegen des damaligen (eingestellten) Strafverfahrens zu einem Vertrauensbruch zwischen der Bewerberin und dem Land gekommen sei.
Kündigung nicht nachvollziehbar
Die Argumente für die Vertrauenswürdigkeit sind nach §153 a StPO obsolet. Es gibt keinen Eintrag im Bundeszentralregister. Durch die Geldauflage besteht kein öffentliches Interesse mehr an der Strafverfolgung, deswegen gilt die Unschuldsvermutung.
„Wenn das strafrechtliche Verfahren mit einem rechtskräftigen Urteil zum Zeitpunkt des Arbeitsrechtsverfahren am Landesarbeitsgericht Hamm abgeschlossen worden wäre, wäre meine fristlose Entlassung durch das Land gerechtfertigt gewesen. Die Entscheidung ist aber im Nachhinein vom Landgericht Münster aufgehoben worden und das Verfahren gemäß §153 a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage endgültig eingestellt worden“, betont Schmitt. Ihre damalige fristlose Kündigung sei demnach nicht nachvollziehbar gewesen.
Schmitt war mehr als 20 Jahre als Angestellte für das Landgestüt tätig und somit schon lange ordentlich nicht mehr kündbar. Diese Stellung sehe sie als besonders schützenswert und vergleichbar dem Status einer Beamtin, bei der man in einem derartigen Fall zunächst das strafrechtlich rechtskräftige Urteil abgewartet hätte, bevor man über den Verbleib im öffentlichen Dienst arbeitsrechtlich geurteilt hätte.
In der Regel nach §153a StPO keine Konsequenzen
So sind nach §153a StPO auch strafrechtliche Nebenfolgen beispielsweise berufsrechtliche Konsequenzen im Fall einer Erledigung des Verfahrens in aller Regel nicht zu erwarten. „Diese Konsequenzen erfahre ich nun doch durch das Land. Das empfinde ich als nicht korrekt. Und wenn die Unschuldsvermutung besteht, davon geht man nach §153 a StPO aus, frage ich mich, warum das Land ein Misstrauen rechtfertigen kann, wenn es den Grund nie gegeben hat. Also darf man mich im Bewerbungsverfahren nicht diskriminieren und nicht als nicht vertrauenswürdig hinstellen“, begründet die Diplom-Agraringenieurin ihren Schritt, auf Berücksichtigung ihrer Bewerbung gegen das Land zu klagen und nun auch Berufung einzulegen.
Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Münster
Bei der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Münster am 8. Februar 2022 stellte sich heraus, dass sich das Ministerium bereits für einen Bewerber entschieden, aber die Stelle aufgrund eines von Schmitts Anwalt beantragten Hängebeschlusses in erster Instanz noch nicht besetzt hatte. Schmitts Anwalt änderte die Klage dahingehend, dass das Land das Bewerbungsverfahren ruhen zu lassen hat, bis das Gericht nach dessen Rechtsauffassung darüber abschließend rechtskräftig neu entschieden hat.
Stelle inzwischen besetzt - ist das korrekt?
Einen zweiten Hängebeschluss, der seitens des Anwaltes von Schmitt im gleichen Zuge mit der Einreichung der Berufungsklage beim Landesarbeitsgericht Hamm am 18. Februar 2022 beantragt wurde, hatte das Gericht jedoch nach dem Wochenblatt vorliegenden Informationen nicht beachtet und offenbar keine Notwendigkeit dafür gesehen. Inzwischen hat das Land die Stelle mit Dr. Felix Austermann besetzt, ohne den Ausgang des Berufungsverfahrens abzuwarten. „Das Land darf das“ so Schmitt, „es stellt sich hier zumindest aber die Frage, ob ein derartiges Handeln seitens eins zu korrekten rechtsstaatlichen Verhaltens verpflichteten Landes NRW, welches im Weiteren auch zu einem respektvollen Umgang mit Mitarbeitern im Rahmen einer gebotenen Fürsorgepflicht angehalten ist, überhaupt zumindest moralisch vertretbar ist.“
Das Umweltministerium in Düsseldorf hat sich zum Sachverhalt wie folgt geäußert: "Alle Bewerbungen um die Neubesetzung der Leitung des Landgestüts NRW haben sich durch die Bestellung von Herrn Dr. Felix Austermann als Gestütsleiter erledigt. Das Ministerium geht davon aus, dass das LAG Hamm die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass das von einer Bewerberin juristisch hinterfragte Auswahlverfahren rechtmäßig erfolgte, teilen wird", und auf seine Pressemitteilung vom 27. März 2022 verwiesen.
Berufung abgelehnt
Ob die Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Hamm stattfindet, war zunächst fraglich. Nach Informationen, die dem Wochenblatt vorliegen, stellte Schmitts Anwalt Mitte April beim Landesarbeitsgericht in Hamm einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters. Der Richter war bereits in dem Kündigungsschutzverfahren zwischen der Klägerin und der Beklagten, dem Land NRW, im Jahr 2019 zuständig. Unter seinem Vorsitz habe das Berufungsgericht damals die Klägerin nur unzureichend und lückenhaft angehört. Daher bestehe die Sorge, der Richter könnte daher womöglich nicht objektiv, sondern voreingenommen entscheiden, was einem fairen Verfahren widerspreche. In seiner Stellungnahme an das Landesarbeitsgericht Hamm bestätigt der Richter, damals den Vorsitz gehabt zu haben. Er betont, dass das Urteil rechtskräftig gewesen sei. An Details und Wortlaute aus der mündlichen Verhandlung habe er keine „präsente Erinnerung“.
Aktualisierung: 28. April 2022, 15:52 Uhr: Heute war die Verhandlung beim Landesarbeitsarbeitsgericht in Hamm. Nach einer Stunde Anhörung und einer weiteren halben Stunde der Beratung verkündete der vorsitzende Richter der 11. Kammer seine Entscheidung: Der Berufungsantrag wurde zurückgewiesen.
Fehler im Bewerbungsverfahren werden von der Kammer verneint. Es fehle an der persönlichen Eignung der Klägerin. Den Eignungsmangel habe das Gericht losgelöst vom strafrechtlichen Verfahren gegen die ehemalige Leiterin des NRW-Landgestüts im Jahr 2017 bewertet. Dass das Verfahren gegen sie wegen der Vorwürfe auf Nebentätigkeiten und Vorteilsnahme im Amt damals vor dem Landgericht Münster mit dem Verweis auf §153 a StPO eingestellt wurde, trage nicht dazu bei, dass der Schuldvorwurf nicht begründet sei. Eine Revision vor dem Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen. Für die Klägerin bestehe die Möglichkeit, Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
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