In den vergangenen Monaten häuften sich die Fälle, dass Pferde Heu aus der Ernte 2020 ungern fressen bzw. es sogar vollständig verweigern. Dabei fiel auf, dass zum Teil gleich mehrere Pferde im Stall das Heu verweigern. Auffällig war auch, dass die Pferde nicht einmal nach schmackhaften Pflanzen im Heu suchen, sondern sich unmittelbar nach der Vorlage des Raufutters davon abwenden. Woran liegt das? Und was tun, wenn den Pferden das Heu nicht schmeckt? Prof. Dr. med. vet. Ingrid Vervuert, Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik, Veterinärmedizinische Fakultät Universität Leipzig, und Annette Jilg, Landwirtschaftliches Zentrum für Rinderhaltung, Grünlandwirtschaft, Milchwirtschaft, Wild und Fischerei in Aulendorf, Baden-Württemberg, klären auf.
Pferde haben feine Nasen
Pferde können Geruchsstoffe wahrnehmen, die wir Menschen nicht riechen können. Die Beobachtungen könnten dafür sprechen, dass zum Beispiel Geruchsstoffe im Heu von den Pferden wahrgenommen werden, die sie als unangenehm empfinden. In diesem Zusammenhang hat Dr. Susanne Müller vom Pferdegesundheitsdienst Baden-Württemberg festgestellt, dass nach Waschen des Heus dieses anschließend gern gefressen wurde. Auch scheint das Auslüften von Heu eine bessere Akzeptanz zu bewirken, wenngleich diese Maßnahme nicht in allen Fällen eine verbesserte Heuaufnahme bewirkte.
Heu schmeckt nicht - 11 Gründe
- Botanische Zusammensetzung: zum Beispiel Ruchgras (Geruchsstoffe), Glatthafer (Bitterstoffe?), Goldhafer (sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Vitamin D-aktive Substanzen), Wolliges Honiggras (behaart), Weiche Trespe (behaart), Rasenschmiele, Binsen & Seggen (schneidend scharfe Blätterkanten, nährstoffarm)
- Flüchtige Geruchsstoffe (hier besteht noch Forschungsbedarf)
- Reste von Pflanzenschutzmitteln, Dünger, Gülle, Festmist, Gärrest (Ausbringung zu kurz vor Ernte/ohne viele Niederschläge)
- Weiche Struktur (häufig beim zweiten Aufwuchs, zur Ursache besteht Forschungsbedarf)
- Niedriger Eiweiß- und/oder Zuckergehalt (Gehalte sind vor allem abhängig von Pflanzenbestand, Nutzungsstadium, Feldliegezeit)
- Fremdgeruch (Stallgeruch, Kontamination mit Urin/Kot von Hund, Katze, Ratte, …)
- Mikrobielle Beeinträchtigung (Hefe-, Schimmelpilze, Staubläuse, Milben)
- Hoher Verschmutzungsgrad (Erde, Müllreste)
- Erkrankungen (zum Beispiel fieberhafte Infekte, Magengeschwüre oder Zahnprobleme)
- Giftpflanzen
- Kadaver (Achtung: Gefahr der Vergiftung für Pferd und Rind durch das Bakterium Clostridium Botulinum).
Heu muss gut riechen
Bei Geruchsstoffen handelt es sich um komplexe Gemische, die vielfach in nur sehr geringen Konzentrationen vorkommen. Pferde mit ihrem feinen Geruchssinn können Spuren von Stoffen wahrnehmen, die für die menschliche Nase nicht wahrnehmbar sind. Geruchsstoffe sind flüchtig, wobei die Flüchtigkeit stark von Umgebungsfaktoren wie der Temperatur abhängt. Geruchsstoffe können von der Pflanze selber gebildet werden, um sich beispielsweise gegen Fraßfeinde zu schützen oder um die eigene Attraktivität zum Beispiel für bestäubende Insekten zu erhöhen.
Eine Grassorte, die durch einen starken Geruch auffällt, ist das Ruchgras (Anthoxanthum odoratum). Heu mit Ruchgras hat für den Menschen einen sehr angenehmen Duft. Pferde, die im Vorfeld keinen Kontakt zu Ruchgräsern im Heu hatten, verweigern jedoch zum Teil zunächst extrem das Futter. Aus den eingesandten Proben an das Institut für Tierernährung mit dem Vorbericht Heuverweigerung ließen sich jedoch nur in einigen Fällen Ruchgräser nachweisen.
Schwitzphase, Chemie und bakterielle Belastung
Geruchsstoffe werden auch im Zuge von mikrobiellen Vorgängen zum Beispiel durch Bakterien oder Pilze gebildet. Dies findet zum Beispiel in den ersten Wochen nach der Heuernte während der Lagerung durch einen erhöhten Bakterienstoffwechsel in noch nicht vollständig nachgetrocknetem Heu statt. Diese Zeit des erhöhten Bakterienstoffwechsels wird als „Schwitzphase“ bezeichnet, da es durch den Bakterienstoffwechsel zur Erwärmung kommen kann. Ist das Heu insgesamt oder in einzelnen Partien nicht vollständig trocken (Ziel ist ein Trockenmassegehalt mehr als 86 %), verstärkt sich dieser Prozess erheblich.
Erhöhte Bakterien, Pilz- und Hefengehalte bis hin zu einem erhöhten Besatz an Milben stellen im Heu aufgrund schlechter Witterungsbedingungen, aber auch aufgrund unsachgemäßer Ernte und Lagerung ein zunehmendes Problem in der Pferdefütterung dar. Dennoch wiesen die eingesandten Heuproben aus 2020 in den meisten Fällen normale Keimgehalte auf, sodass sich dies als Ursache ausschließen lässt. Zudem wird Heu trotz erheblicher Anzeichen mikrobiellen Verderbs von Pferden häufig weiterhin gefressen, sodass der mikrobielle Status für die Heuaufnahme bei Pferden vermutlich eine untergeordnete Rolle spielt. Da sich hedoch gesundheitliche Schäden nicht ausschließen lassen, sollte solches Heu den Pferden nicht vorgelelgt werden.
Auch anthropogene Einträge wie Chemikalien (beispielsweise Pflanzenschutzmittel), Dünger- oder Festmistreste können für abweichenden Geruch verantwortlich sein.
Grundsätzlich wird bei der sensorischen Beurteilung von Heu auch der Geruch überprüft, aber der Nachweis von flüchtigen Stoffen ist sehr komplex, sodass analytische Verfahren zum Einsatz kommen müssten, um selektiv Geruchsstoffe feststellen zu können. Hierzu fehlen bislang Untersuchungsergebnisse, sodass die Bedeutung der flüchtigen Stoffe im Heu für das Problem der Heuverweigerung zukünftig verstärkt erforscht werden sollte.
Süß schmeckt am besten
Neben dem Riechen spielt der Geschmackssinn für die Futteraufnahme eine erhebliche Rolle. Pferde präferieren zum Beispiel zucker- und eiweißreiche Futtermittel. Auf dem am Markt angebotenen Heu wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Gräser gefunden, die sehr zucker- und eiweißarm sind.
Bei den verweigerten Heuqualitäten aus dem Erntejahr 2020 fallen vor allen Dingen ein sehr hoher Anteil an Knaulgräsern (Dactylis glomerata) bzw. Gräser aus dem Grassamenanbau auf. Im letzteren Fall werden die Grassamen nach der Blüte geerntet, die Stängel getrocknet und als energie- und proteinarmes „Heu“ eingesetzt.
Bitterstoffe im Heu
Neben Nährstoffen wie Zucker und Eiweiß sind auch Bitterstoffe für die Akzeptanz von Futtermitteln von Bedeutung. Auch wenn Pferde durchaus einige Bitterstoffe beispielsweise aus dem Bockshornklee zum Teil gerne fressen, schränken Bitterstoffe dennoch die freiwillige Futteraufnahme ein. Auffallend ist, dass viele verweigerte Heuqualitäten hohe Anteile (zum Teil 30–65 % in Heuproben) an Gewöhnlichem Glatthafer (Arrhenatherum elatius) enthielten, vielfach in Kombination mit den zucker- und eiweißarmen Knaulgräsern. Der Gewöhnliche Glatthafer enthält im frischen Zustand Bitterstoffe (Saponine), sodass ihn die Tiere auf der Weide meiden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Bitterstoffe durch das Trocknen nicht abgebaut werden, sodass der Glatthafer auch im Heu gemieden wird. Andererseits wird jedoch oft auch von einer völlig unproblematischen Futteraufnahme im Heu berichtet.
Zu viel Glatthafer und Goldhafer
Auffällig ist ein weiterer Befund im Zusammenhang mit der Heuverweigerung: Zahlreiche Heuproben wiesen in Kombination mit den Knaulgräsern und dem Gewöhnlichem Glatthafer auch Anteile an Goldhafer (Trisetum flavescens) auf. Goldhafer besitzt zwar einen guten Futterwert, kann aber durch den Anteil an Vitamin D-aktiven Substanzen bei hoher Aufnahme von Goldhafer (> 30 % in Heuproben) zur Weichteilverkalkung mit erheblichen Organschäden (zum Beispiel der Nieren) bei Pferden und Wiederkäuern führen. Diese Erkrankung wird als Calcinose beschrieben.
Der Anteil an Goldhafer betrug begleitend zu den Knaulgräsern und dem Gewöhnlichen Glatthafer in den eingesandten Heuproben häufig 10–20 %, sodass die kritische Obergrenze für eine Vergiftung von mehr als 30 % nicht erreicht wurde. Dennoch ist das gehäufte Vorkommen der Kombination aus Knaulgras, Glatthafer und Goldhafer in Heuproben im Zusammenhang mit der Heuverweigerung durch die Pferde bemerkenswert.
Zahnprobleme, Infekte, Fieber
Zu bedenken ist, dass auch Erkrankungen wie fieberhafte Infekte, Magengeschwüre oder Zahnprobleme zu einer reduzierten Heuaufnahme führen können. In der Vielzahl der Fälle aus den eingesandten Proben mit dem Vorbericht Heuverweigerung ließen sich Erkrankungen jedoch ausschließen.
Leider ist es bislang nicht vollständig gelungen, das Problem der Heuverweigerung, das seit einigen Monaten vermehrt in Pferdebeständen beobachtet wird, zu lösen. Neben Geruchsstoffen, die sehr variabel von Pferden als unangenehm wahrgenommen werden, oder aber dem Nährstoffprofil von Pflanzen mit geringen Kohlenhydrat- und Proteingehalten können weitere, bislang unbekannte Faktoren dieses Phänomen verursachen. Daher ist trotz der Häufung der Fälle aus der Ernte 2020 jedes Heu individuell im Hinblick auf die Ursachenforschung zu betrachten.
Was lässt sich tun?
Als praktische Maßnahme lässt sich das Auslüften oder das Wässern bzw. Bedampfen des betroffenen Heus empfehlen, wenn das Futter aus hygienischer Sicht als unbedenklich einzustufen ist. Hierbei ist zu beachten, dass entsprechend befeuchtetes Heu sofort verfüttert werden muss, da sich sonst zum Beispiel Hefe- und Schimmelpilze rasant vermehren.
Kritisches Augenmerk sollte zudem auf das Vorkommen von Goldhafer gelegt werden. Anteile von mehr 30 % bergen das Risiko einer Verkalkung von Weichteilen. Ähnlich kritisch ist das Vorkommen anderer Giftpflanzen wie Jacobs-Kreuzkraut oder Herbst-Zeitlose im Heu zu sehen.
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