Welche Bedürfnisse haben Pferde? Welche Anforderungen ergeben sich für die tiergerechte Haltung? Was müssen Pferdehalter wissen? Was ist nicht tiergerecht? Welche Gesetze gibt es? Was steht in den Leitlinien? Fragen zur Pferdehaltung beantworten Dr. Margit Zeitler-Feicht, Fachbuchautorin (Handbuch Pferdeverhalten, Ulmer Verlag 2015), und Dr. Miriam Baumgartner. Die Wissenschaftlerinnen forschen an der Technischen Universität München (TUM) intensiv zum Thema Pferdeverhalten und -haltung.
Gute und schlechte Haltung
- Als tiergerechte Haltung beschreiben die Verhaltensforscherinnen, wenn Pferde entspannt fressen, im Stehen oder im Liegen ruhen, Körperpflege wie Wälzen oder Scheuern betreiben oder freundschaftliche Interaktionen mit Artgenossen pflegen. „Das Zusammensein bzw. freiwillige räumliche Nähe zwischen zwei oder mehreren Artgenossen ist ein guter Indikator für das Wohlbefinden“, erläutert Baumgartner und ergänzt, „Tiere fühlen sich dann wohl, wenn sie bei guter Gesundheit sind und ihr angeborenes Verhalten ausüben können.“
- Hinweis auf eine nicht ausreichend tiergerechte Einzelhaltung geben gehäuft auftretende Verhaltensauffälligkeiten, die die Verhaltensforscherinnen als Alarmsignale bezeichnen. Dazu zählen kurzfristig und wiederholt auftretende Konflikt- oder Frustrationshandlungen wie Gähnen, Kauen, Lecken oder Gitterstäbe beißen.
- In einer Gruppenhaltung fallen Missstände vor allem durch gehäuft aggressive Verhaltensweisen auf.
Bedürfnisse der Pferde
In der tiergerechten Haltung gilt es, die Bedürfnisse der Pferde zu kennen und ihnen gerecht zu werden. Hierzu gehören:
- Ruhen: Pferde ruhen etwa acht Stunden pro Tag; davon etwa zwei Stunden im Liegen. Die Liegefläche muss ausreichend groß sein, damit alle Pferde unabhängig vom Rang täglich im Liegen ruhen können. Sie sollte verformbar, rutschfest, trocken und sauber sein. Gut geeignete Materialien sind Stroh, -pellets, Säge- oder Hobelspäne.
- Futteraufnahme: Das Futter muss rohfaserreich und energiearm sein. Pferde, denen nicht den ganzen Tag Raufutter oder Weide zur Verfügung stehen, müssen mindestens über zwölf Stunden am Tag die Möglichkeit zum Fressen haben. Dabei dürfen die Fütterungspausen nicht länger als vier Stunden betragen.
- Ausscheiden: Pferde vermeiden es, sich beim Harnen anzuspritzen. Zum Absetzen des Urins sollte ein saugfähiger oder durchlässiger Untergrund vorhanden sein.
- Komforthandlungen: Pferde brauchen Flächen zum Wälzen zum Beispiel mit Sand oder Stroh und Kratzbäume/-bürsten zum Scheuern.
- Klimareize: Evolutionsbedingt haben Pferde ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Frischluft und Sonnenlicht. Sie verfügen über eine hervorragende Thermoregulation und kommen mit extremen Temperaturen von Minusgraden bis 30 °C problemlos zurecht, wenn sie daran gewöhnt sind.
- Sozialkontakte: Pferde fühlen sich nur in der Gruppe wohl. Es muss daher stetiger Sichtkontakt zu Artgenossen bestehen. Pferde sollten ihr Umfeld beobachten können.
- Bewegung: Zwei Stunden freie Bewegung auf galoppierfähigen Arealen sind das Minimum, bevorzugt in der Gruppe. Das heißt mit mindestens einem weiteren Pferd.
Regeln für die Pferdehaltung
Die eine spezifische Verordnung oder Vorgabe oder das eine Gesetz zur Haltung und Nutzung von Pferden gibt es in Deutschland nicht. Es gelten gleich mehrere Regeln: Tierschutzgesetz, Tierzuchtgesetz, Tiergesundheitsgesetz, „Viehverkehrsverordnung“, Verordnung über die Leistungsprüfungen und die Zuchtwertfeststellung bei Pferden, „Equidenpass-Verordnung“ der EU zur Kennzeichnung und Identifizierung von Einhufern (2018), Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten, BMEL, 2009
Tierschutzgesetz und Leitlinien
Im Tierschutzgesetz unter § 2 wird von jedem, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, tierartenübergreifend eine artspezifische Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung sowie Fachkenntnisse gefordert. Das Tierschutzgesetz bildet die Grundlage für die Leitlinien. Sie geben Mindestanforderungen und zum Teil auch darüber hinausgehende Empfehlungen für die Pferdehaltung wieder. Beispielsweise sind Ausführungshinweise und Maße für Boxen, Gruppen- sowie Weidehaltung und allgemeine Haltungsbedingungen vermerkt.
Jeder, der Pferde gewerblich hält, wie Züchter, Händler sowie Verantwortliche in den Pensions-, Reit- und Fahrbetrieben, muss Sachkunde (§ 11 Erlaubnis TschG) nachweisen und die wesentlichen Inhalte der Leitlinien kennen.
Gefahrenquellen für Pferde
Die Forscherinnen sammelten zahlreiche Daten zu Pferdeverhalten und -haltung. Sie mussten feststellen, dass nur wenige Betriebe in Deutschland alle Anforderungen der Leitlinien einhalten.
Blick in die Leitlinien
Die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ dienen zum Beispiel als Grundlage für die Planung von Neu- oder Umbauten von Pferdehaltungen. Sie gelten in den aktuellen Rechtskommentaren zum Tierschutzgesetz als antizipiertes Sachverständigengutachten und haben durchaus normativen Charakter. In den Leitlinien stehen u. a. allgemeine Haltungsbedingungen, Bauausführungen und Maße wie:
Fütterungs- und Tränkeinrichtungen:
Raufen: Stababstand von Senkrechtstäben ≤5 cm , damit die Pferde nicht durch die Stäbe schlagen und hängen bleiben;
Durchfressgitter: Stababstand der Senkrechtstäbe = 30 bis 35 cm;
Futterkrippen möglichst tief anbringen, um die natürliche Fresshaltung zu ermöglichen, Größe: 60 bis 80 x 50 cm.
Auch Tränken sollten eine natürliche Haltung ermöglichen.
Licht: 1 m2 Fensterfläche je Pferd, tagsüber mind. 80 Lux im Stall.
Einzelhaltung:
Boxen: Fläche mindestens (2 x Widerristhöhe (Wh))² pro Pferd, entspricht einer Boxengröße von ≥10,9 m² beim einem Pferd mit 1,65 m Stockmaß
Trennwandhöhe: 0,8 x Wh
Boxenabtrennungen müssen so sein, dass kein Einklemmen der Hufe möglich ist; Außendurchmesser der senkrechten Stäbe (Rohre) = 19 bis 25 mm (3/4 – 1 Zoll);
Türbreite ≥1,20 m
Gruppenhaltung:
Auslauffläche: mindestens 150 m² für zwei Pferde und für jedes weitere Pferd zusätzlich mindestens 40 m² vor. Aktuelle Empfehlungen lauten jedoch 80 bis 150 m² je Pferd.
Stallgassen: Breite bei geschlossenen Boxentüren: ≥2 m (Kleinpferde) bzw. ≥2,50 m (Großpferde)
Liegefläche im geschlossenen Laufstall ≥(2 x Wh)²/Pfer
- Große Probleme treten bei Gefahrenquellen wie den „lichten Weiten“ (gemeint sind Stababstände, Spalten und sonstige Öffnungen zum Beispiel bei Gitterstäben) zwischen mehr als 5 cm und weniger als 30 cm auf. Die Pferde können sich mit den Beinen oder dem Kopf festhaken bzw. verklemmen. Als Fluchttiere reagieren Pferde bei Gefahr mit panikartigem Zurückziehen. Dadurch können nach Erfahrungen von Baumgartner schlimme Verletzungen passieren, die tödlich verlaufen.
- Weitere Schwachstellen sind die Liegeflächen. „Diese ist in der Einzel- und in der Gruppenhaltung oftmals unter der Mindestanforderung der Leitlinien“, kritisiert Zeitler-Feicht.
- Auch bei der Fütterung stellen die Wissenschaftlerinnen inakzeptable Praktiken fest: „Besonders einzeln gehaltene Pferde, deren Mahlzeiten streng rationiert sind, und die ansonsten keine fressbare Einstreu zur Beschäftigung haben, teilen uns ihren Stress anhand kleinster Signale wie Gähnen, Kauen, Lecken mit.“
- Ein weiteres Problem, das auch Veterinärämter immer öfter beanstanden würden, ist fehlende freie Bewegung. „Pferde müssen auch in Betrieben mit wenig Auslaufflächen die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen“, fordern die Verhaltensexpertinnen. Zur Not lässt sich der Reitplatz oder die Reithalle hierfür verwenden.
Die Wissenschaftlerinnen merken an, dass Tiergerechtheit in der Pferdehaltung in der breiten Öffentlichkeit zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dazu zählt zum einen die Berücksichtigung der Tiergesundheit und zum anderen die Befriedigung der artspezifischen Bedürfnisse.
„BestTUPferd“
Seit 2013 entwickeln die Verhaltensforscherinnen Dr. Miriam Baumgartner und Dr. Margit Zeitler-Feicht, beide TUM, zusammen mit der Landwirtschaftskammer NRW, dem Fraunhofer-Institut und der Ferber-Software GmbH ein innovatives Bewertungssystem für die Pferdehaltung. Es heißt „BestTUPferd“.
Dies ist ein digitales Beratungssystem für die Praxis. Das Konzept beinhaltet Indikatoren, anhand derer Pferdehalter erstmals die Möglichkeit haben, die Tiergerechtheit ihrer Pferdehaltung von einem Außenstehenden einheitlich und wissenschaftlich basiert beurteilen zu lassen. Mit dem Tool können geschulte Berater unterschiedliche Haltungsformen analysieren und entsprechend praxistaugliche Verbesserungsvorschläge für den Betrieb ableiten. Ziel ist eine einheitliche und flächendeckende Verbesserung des Tierwohls und des Umweltschutzes in der Pferdehaltung. BestTUPferd soll Ende 2021 an den Start gehen. Das hängt aber auch maßgeblich vom Geldgeber, dem Bundesministerium und der Bundesanstalt ab (BMEL, BLE).