NRW-Landgestüt & Video-Affäre

Landgestüt Warendorf: "Rollkur" bestätigt - Rechtliche Konsequenzen offen

Der Verdacht auf Verstoß gegen den Tierschutz im Nordrhein-Westfälischen Landgestüt in Warendorf ist bestätigt. Vergangene Woche beschäftigte sich der Landtag mit dem umstrittenen Training vom 13.4.21

Der Verdacht auf Verstoß gegen den Tierschutz im Nordrhein-Westfälischen Landgestüt in Warendorf wurde von einer Expertenkommission bestätigt. Vergangene Woche beschäftigte sich der Landtag mit den umstrittenen Trainingseinheiten zweier junger Hengste unter Anleitung von Gestütsleiterin Kristina Ankerhold (44).

Welche rechtlichen Konsequenzen der Vorfall für die 44-Jährige hat, und ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, ist derzeit noch immer offen. Eine Anzeige beim Kreis Warendorf wird noch geprüft. Außerdem empfiehlt die vom Landwirtschaftsministerium (MULNV) eingesetzte Expertenkommission "die im Landgestüt praktizierte Ausbildung vorsorglich allgemein auf den Prüfstand zu stellen, da zumindest zum Zeitpunkt der Videoaufzeichnungen Hinweise auf eine mangelnde Sensibilität im Umgang mit und in der Ausbildung von Pferden vorliegen", heißt es in einem Bericht von Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser vom 4. Juni an den Landtag.

Video-Affäre war Thema im Landtag

Am Mittwoch vergangener Woche beschäftigte sich der Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landtags Nordrhein-Westfalen (MULNV) mit den Vorfällen vom 13. April 2021. An diesem Tag wurden in der Reithalle der Deutschen Reitschule auf dem Gelände des Nordrhein-Westfälischen Landgestüts in Warendorf unter Anleitung der Gestütsleiterin Kristina Ankerhold zwei junge Hengste - vier- und fünfjährig - des Landgestüts trainiert.

"Rollkur" gefilmt

Zeitgleich fand in der Halle ein Reittraining im Rahmen eines Pferdewirtschaftsmeister-Lehrgangs der Deutschen Reitschule statt. Die angehenden Pferdewirtschaftsmeister stuften die angewandten Trainingsmethoden als inakzeptabel und nicht vereinbar mit dem Tierschutz ein. Konkret ging es um den Einsatz von Schlaufzügeln bei einem der Hengste und Maßnahmen, die eine Überdehnung des Genicks oder Halses (sogenannte Rollkur) bewirken. Dies ist tierschutzwidrig und stellt einen Verstoß gegen die Leitlinien "Tierschutz im Pferdesport", da diese Methode zu erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden bei den betroffenen Pferden führt.

Gespräch mit der Leiterin

Einige Teilnehmer filmten die Trainingssequenzen und legten die entsprechenden Videos der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zur Prüfung vor. Zu den Vorwürfen kam es am 15. April zu einem Gespräch des Leiters der Abteilung Ausbildung der FN mit der Gestütsleiterin. Wegen anhaltender Diskussionen wurde zudem nach Angaben der FN am 6. Mai die Landeskommission für Pferdeleistungsprüfungen in Westfalen mündlich über den Vorfall unterrichtet. Die Video-Affäre am Landgestüt wurde am 12. Mai 2021 bekannt.

Ordnungsrechtliches Verfahren eingeleitet

Am 13. Mai wurde beim Kreis Warendorf als zuständiger Tierschutzbehörde Anzeige gegen die Gestütsleiterin erstattet. Gegenstand der Prüfung durch die Veterinärbehörde ist dabei der Verdacht des Verstoßes gegen Ausführungen in den Leitlinien "Tierschutz im Pferdesport". Der Kreis Warendorf hat ein ordnungsrechtliches Verfahren eingeleitet. Dabei werden alle Informationen geprüft. Alle betroffenen Personen werden angehört und haben die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Nach Auswertung aller vorliegenden Informationen wird Kreisveterinär Dr. Andreas Witte ein amtstierärztliches Gutachten erstellen, auf dessen Grundlage die weiteren Maßnahmen erfolgen. "Dieser Vorgang kann mehrere Wochen dauern, da die Anhörungsfrist normalerweise vier Wochen beträgt. Erst danach wird über mögliche ordnungsrechtliche Maßnahmen entschieden", berichtete Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in einem Schreiben an den Ausschuss. Solange gelte es, abzuwarten.

Am 17. Mai meldete die FN den Vorfall der Landeskommission für Pferdeleistungsprüfungen in Westfalen mit der Bitte um Prüfung und Einleitung eines verbandsinternen Disziplinarverfahrens gegen die Gestütsleiterin und die Reiterin der beiden Pferde. Aufgrund der zunehmenden Vorwürfe gegen das Nordrhein-Westfälische Landgestüt und seine Leiterin sah sich das MULNV am 18. Mai dazu veranlasst, eine interne Untersuchungskommission einzusetzen, die durch externen Sachverstand unterstützt wurde. Aufgabe der Kommission war es insbesondere, zeitnah zu einer ersten Klärung des Sachverhaltes und einer validen Einschätzung und Bewertung der in den Videos sichtbaren Trainingssituationen zu gelangen.

Die Experten-Kommission

Der Kommission des Ministeriums gehören folgende Personen an:

  • Ministerialrat Hannen, Leiter Fachreferat Pflanzenproduktion, Gartenbau, Tierhaltung, Agrartechnik, Landgestüt
  • Dr. Sylvia Heesen, Leiterin des Referats Tierschutz im NRW-Landwirtschaftsministerium
  • Dr. Gerlinde von Dehn, Fachtierärztin für Tierschutz, Landesbeauftragte für den Tierschutz
  • Ministerialrat Dr. Günther, Referat Justitiariat, Dienstrecht
  • Sowie die beiden externen Sachverständigen: Dr. Andreas Franzky, Tierarzt und Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. und Ralf Unna, Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW.

Training war nicht pferdegerecht

Die Experten sichteten am 20. und 31. Mai insgesamt fünf Videos - nicht zwei, wie es anfangs hieß. Für ihre Einschätzung bezogen sie eine schriftlichen Stellungnahme der Gestütsleiterin ein und kamen zu dem Urteil: Dass das Training auch in Anbetracht der konkreten, schwierigen äußeren Umstände, die zu der Zeit in der Reithalle herrschten, nicht pferdegerecht und nicht mit den Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport vereinbar war.

Dr. Sylvia Heesen erklärte im Ausschuss: "Es geht um die Rollkur, einer Methode, bei der der Kopf des Pferdes bewusst mit Hilfe der Zügel in Richtung Brust eng gezogen wird. Das Hals-Rücken-Band des Pferdes wird extrem gestreckt. Das tut dem Pferd weh."

Beim Besuch im Landgestüt habe sich das Ministerium mehrere Hengste - drunter auch einen aus dem besagten Training - in Dressur und Springen vorführen lassen. „Es gibt kein grundsätzliches Problem im Tierschutz. Wir haben gesehen, dass die Mitarbeiter professionell und vorbildlich arbeiten", betonte Sylvia Heesen. Sie lobte ausdrücklich die angehenden Pferdewirtschaftsmeister, die die Videos aufgenommen hatten. Es sei gut, dass sie den Mumm in den Knochen hatten zu sagen, so geht es nicht.

Bei den begutachteten Trainingssequenzen werde das Landgestüt seiner Vorbildfunktion hinsichtlich der dort angewandten Ausbildungsmethoden sowie der Behandlung der Pferde nicht gerecht. "Die im Landgestüt praktizierten Ausbildung sollen vorsorglich allgemein auf den Prüfstand gestellt werden, da zumindest zum Zeitpunkt der Videoaufzeichnungen Hinweise auf eine mangelnde Sensibilität im Umgang mit und in der Ausbildung von Pferden vorliegen", empfiehlt die Kommission. Zwar werden momentan davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden Ausbildungsmethoden nicht zum Curriculum des Landgestütes gehören und von den Mitarbeitenden so nicht vertreten werden, erklärt Ministerin Ursula Heinen-Esser. Dennoch will sie prüfen lassen, ob die Ausbildung am Landgestüt künftig von externen Experten zertifiziert werden soll, so wie es die Kommission vorschlägt. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung soll dabei möglicherweise einbezogen werden. Ziel ist es, künftig jederzeit sicher zu stellen, dass die Ausbildung von Hengsten im Landgestüt der Vorbildfunktioneiner öffentlichen Einrichtung insbesondere im Hinblick auf den Tierschutz vollumfänglich gerecht wird.

Kristina Ankerhold hatte noch vor dem Zusammentreten der internen Kommission des MULNV am 19. Mai aus eigener persönlicher Entscheidung um Versetzung aus dem Gestütsdienst gebeten. Ministerin Heinen-Esser plant, ihrer Bitte zu entsprechen, könne dies aber erst tun, wenn eine neue Stelle zur Verfügung stünde. Zu einem möglichen Disziplinarverfahren äußerte sich das Ministerium nicht, verwies jedoch auf das Beamtenrecht. Bevor die Stelle der Gestütsleitung neu ausgeschrieben werde, gelte es auch, die Strukturen im und um das Landgestüt herum genauer zu prüfen, zumal Kristina Ankerhold nach Susanne Schmitt-Rimkus die zweite Gestütsleiterin in Folge ist, die in der beinahe 200 Jahre traditionstreiche Einrichtung in der Reiterstadt für Schlagzeilen sorgt. Die kommissarische Leitung hat Staatssekretär Dr. Heinrich Bottermann übernommen.

Westfälische Pferdestammbuch fordert: Der angekündigte Führungswechsel beim nordrhein-westfälischen Landgestüt darf keine negativen Auswirkungen auf die Pferdezucht haben.

Neue Reithalle und Paddocks für mehr Tierwohl

Unabhängig von der Video-Affäre kündigte Heinen-Esser dem Ausschuss an, verschiedene Maßnahmen anzustoßen, um das Tierwohl, die Haltungsbedingungen und die Ausbildungsmöglichkeiten der Pferde im Landgestüt zu verbessern. Aktuell erstellt der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) eine neue Reithalle. Diese ist 68 m lang und 30 m breit sein wird. Dieser Ersatzbau für die 2016 abgebrannte alte Reithalle wird voraussichtlich im Sommer 2021 fertig sein. Außerdem wird eine neue Führanlage gebaut sowie elf Paddocks mit einer Gesamtfläche von zirka 1800 m². Ende dieses Jahres sollen die Maßnahmen fertiggestellt sein.

Mit Blick auf das 2026 anstehende 200-jährige Bestehen des Landgestüts hat das MULNV schon vergangenes Jahr den Prozess „Zukunftsperspektive Landgestüt“ angestoßen. Vertreterinnen und Vertretern verschiedenster Interessengruppen soll in diesem Prozess grundsätzliche Fragen zur zukünftigen Ausrichtung und Positionierung der Traditionseinrichtung klären. Über erste Ergebnisse will das Ministerium zum Jahresende berichten.

Stimmen aus dem Umweltausschuss

Neben einem wahren Shitstorm in zahlreichen Sozialen Medien hatte die Video-Affäre schnell die politische Ebene erreicht. Mehrere agrarpolitische Sprecher der Regierungsfraktion im Düsseldorfer Landtag forderten eine schnelle Aufklärung des Sachverhaltes. Sie und Vertreter anderer Parteien meldeten sich im Rahmen der Sitzung des Umweltausschusses zu Wort.

Annette Watermann-Krass, Landesabgeordnete der SPD, Sendenhorst, vermisse klare Aussagen zur weiteren Prüfung des Vorfalls und den Kontakt zu den Zeugen vor Ort. "Die neu einberufene Kommission des Landwirtschaftsministeriums hat nun mehrere Wochen damit verbracht, das Videomaterial zu prüfen. Dabei waren in der Reithalle zahlreiche Fachleute, nämlich Berufsreiter zugegen, die den Vorfall sehr gut einschätzen können. Dennoch wurden bisher keine Zeugenaussagen angefragt. Verwunderlich sei zudem, dass das Ministerium die FN an der Arbeit der Untersuchungskommission nicht beteiligt habe, obgleich deren Sachverstand essenziell gewesen wäre.

Markus Diekhoff, Sprecher für Umwelt, Landwirtschaft, Naturschutz und Jagd der FDP, Drensteinfurt, fordert „personelle Konsequenzen“, falls sich der Vorwurf der tierschutzwidrigen Trainingsmethoden erhärte. Dass Staatssekretär Dr. Heinrich Bottermann die Leitung kommissarisch übernommen habe, sei ein wichtiges Signal der Landesregierung. Das Landgestüt sei eine wichtige Institution für die Region.

Bianca Winkelmann, umweltpolitische Sprecherin der CDU, Altkreis Lübbecke, Hille und Petershagen begrüßt das Einsetzen der Untersuchungskommission und fordert die Aufklärung der Frage, warum die Gestütsleiterin die Ausbildung der Hengste übernommen habe, was nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehöre. Heinen-Esser beantwortete diese Frage mit der Begründung: Nachdem der verantwortliche Ausbilder im Herbst in Elternzeit gegangen war, übernahm Kristina Ankerhold diese Aufgabe. Ob es weitere Motive gebe, wisse sie nicht. Es gelte, die Strukturen im und um das Landgestüt herum genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu gehöre auch das, im Umfeld aus Züchtern und dem Markt hinzusehen.

Norwich Rüße aus Steinfurt, Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Umweltausschuss des Nordrhein-Westfälischen Landtages, betonte: Dieses Kleinod ländlicher Kultur, in das Fördermittel fließen, sei ein Vorzeigebetrieb. Er sagte: Dieses Landgestüt ist nicht so einfach. Und sprach weniger über die aktuelle Videoaffäre als über eine "ältere" Angelegenheit, die für Schlagzeilen sorgte. Es geht um die Zusammenarbeit mit Dressurreiter, Pferdewirtschaftsmeister und Unternehmer Andreas Helgstrand aus Dänemark. Für ihn Rüße - sei die unter der Leitung von Kristina Ankerhold angestrebte Kooperation mit dem Dressur-und Verkaufsstall Helgstrand Dressage "befremdend". "Ich finde es mehr als verwunderlich, dass man ausgerechnet mit einem der umstrittensten Reiter der Szene eine Zusammenarbeit angestrebt hat." Die 2018 geplante Kooperation kam aber letztlich nicht zustande. Andreas Helgstrand war wegen "Rollkuren" wiederholt in der Kritik. Heinen-Esser kündigte an, dass Staatssekretät Bottermann die Angelenheit aufarbeitet.

Die Video-Affäre am Landgestüt:

NRW-Landgestüt & Video-Affäre

Video-Affäre-Update: NRW-Gestütsleiterin - Einstieg in den Ausstieg?

von Thomas Hartwig/rk

Update Video-Affäre am NRW-Landgestüt in Warendorf: Gestütsleiterin Kristina Ankerhold unter Druck. FN und Ministerium eingeschaltet. Berufsreiter distanzieren sich. Anzeige gegen Ankerhold.

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