Er ist einer der erfolgreichsten Springreiter der Welt. Umso schwerer wiegen die aktuellen Vorwürfe: Laut Bericht des TV-Magazins „RTL Extra“, ausgestrahlt am späten Dienstagabend vergangener Woche, sollen auf der Reitanlage von Ludger Beerbaum in Riesenbeck unerlaubte Trainingsmethoden angewandt worden sein. Auf den Videoaufnahmen einer „Insiderin“ und engen Vertrauten Beerbaums ist zu sehen, wie ein Reiter (laut Bericht: Ludger Beerbaum) mit einem Pferd über ein Hindernis springt, während eine andere, zunächst hinter dem Hindernisständer verborgene Person mit einer Stange an die Vorderbeine des Tieres schlägt, zum Teil hörbar. Der in dem Bericht geäußerte Vorwurf lautet: hier wird „gebarrt“.
Tierschutzwidrige Methode
Beim „Barren“ handelt es sich um eine tierschutzwidrige Trainingsmethode, die zu erheblichen Schmerzen führt und laut Statuten der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) verboten ist. „Ziel beim Barren ist die Erhöhung der Sensibilität im Bereich der Gliedmaßnahmen“, heißt es dazu erläuternd in den vom Bundeslandwirtschaftsministerium veröffentlichten Leitlinien „Tierschutz im Pferdesport“. „Dies kann aktiv erfolgen durch Anheben der obersten Hindernisstange oder durch Anschlagen mit einem Gegenstand während des Sprungs“, heißt es dort weiter.
Laut TV-Bericht hat dann auch eine „undercover“ als Praktikantin im Marketing eingeschleuste Extra-Reporterin auf der Anlage von Beerbaum die verbotenen Trainingsmethoden selbst gesehen – und neben mehrkantigen Holzstangen, die laut der Insiderin bei dem tierschutzwidrigen Training eingesetzt wurden, auch verbotene Hindernisstangen mit Stacheln entdeckt.
Das sagt die FN ...
Bereits rund zwei Stunden nach der Ausstrahlung bezog die FN Stellung zu den Vorwürfen. Man nehme diese sehr ernst und werde das Filmmaterial sorgfältig analysieren und entsprechende Schlüsse zum weiteren Vorgehen ziehen. „Bereits jetzt, unabhängig von dem gezeigten Beitrag, können wir klar sagen, dass der Gebrauch von Vierkantstangen sowie genopptem oder gestacheltem Stangenmaterial inakzeptabel ist und nicht im Einklang steht mit den Grundsätzen des fairen Pferdesports“, so FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach. Das Problem: Im Regelwerk existiert ein Graubereich, zwischen dem laut Richtlinien zulässigen Touchieren („fachgerechtes Sensibilisieren des Pferdes durch gezieltes Berühren der Pferdebeine im Sprungablauf“) und dem gemäß Tierschutz-Leitlinien verbotenen Barren. „Die Grenzen sind fließend“, räumte der Generalsekretär ein.
... und Ludger Beerbaum
Beerbaum selbst bezog auf seiner Internetseite Stellung zu den Vorwürfen. Der Beitrag sei „in vielen Punkten nachweislich falsch, verleumderisch und ehrverletzend“, heißt es dort. „Natürlich werden wir juristische Schritte dagegen einleiten. Und weiter: „Es ist nicht hinzunehmen, dass heimlich auf meinem privaten Grund und Boden gefilmt wurde.“
Weiter heißt es in der Stellungnahme des 58-Jährigen: „Die im Beitrag gezeigten Szenen auf dem Reitplatz haben mit Barren nichts zu tun. Es handelt sich dabei um erlaubtes Touchieren, das von einem erfahrenen, routinierten Pferdefachmann durchgeführt wurde. Der im Video zu sehene Gegenstand erfüllte die Vorgaben der Deutschen Reiterlichen Vereinigung für ein zulässiges Touchieren: nicht länger als 3 m, maximal 2 kg schwer.“
Gezielt dort hingelegt?
Bei den in der Scheune von der angeblichen Praktikantin vorgefundenen „Mehrkantstangen“ handele es sich um Holzstangen, die ausschließlich für den Bau und die Reparatur der Weidezäune benutzt würden. „Sobald behauptet wird, dass diese zum Barren von Pferden eingesetzt werden, ist dies unzutreffend“, so Beerbaum. Gleiches gelte auch für die sich auf dem Dachboden befindlichen Stangen mit den „Noppen“. Diese würden seit Jahren dort liegen und aus einem gekauften Bestand von Hindernissen stammen, aus denen sie aussortiert worden seien, „damit sie nicht benutzt werden.“ „Wie jetzt eines dieser Teile, blank geputzt und sauber, zwischen die gebräuchlichen Hindernisstangen kommt, kann ich nur mutmaßen. Für mich ist es naheliegend, dass explizit für den Beitrag eine dieser Stangen dorthin gelegt wurde. Hierzu werden wir weitere Nachforschungen anstellen“, teilte Beerbaum mit.
Bereits im Juli 2020 war die RTL-Redaktion mit einer Anfrage zum Einsatz von eventuell tierschutzwidrigen Methoden im Pferdesport an die FN herangetreten. Diese habe daraufhin mehrfach den Privatsender aufgefordert, das vollständige Videomaterial für eine fachliche Prüfung zur Verfügung zu stellen sowie die beteiligten Personen zu benennen. „Den Bitten und Aufforderungen ist RTL bis heute nicht nachgekommen“, so Lauterbach. Der Sender werde erneut aufgefordert, der FN das gesamte Video- und Beweismaterial zur Verfügung zu stellen. Außerdem werde die Staatsanwaltschaft über den RTL-Beitrag informiert. Klar positionierte sich der Weltreiterverband (FEI): Die in dem Video gezeigten Trainingsmethoden seien insgesamt inakzeptabel und verstößen gegen die Regularien der FEI.
Nur Spitze des Eisberges?
Wird im Reitsport bei mutmaßlichen Verstößen gegen das Tierwohl insgesamt nicht hart genug durchgegriffen, auch im Amateurbereich? Auch dies wurde in dem Filmbeitrag kritisch angesprochen. Dazu der FN-Generalsekretär: „Wir setzen mit unserem Ausbildungssystem, den Richtlinien und Regelwerken darauf, den Menschen zu erklären, was richtig ist und was nicht. (...) Dass es bei rund 3500 Turnieren und mehr als 1 Mio. Starts im Jahr auch Fälle gibt, die nicht geahndet werden, ist kaum zu verhindern.“ Die Turnierfachleute seien aber sehr gut geschult und hätten alle Werkzeuge in der Hand, um bei Regelverstößen zu reagieren und konsequent dagegen vorzugehen.
"Ist Beerbaum möglicherweise kein Einzelfall, sondern nur die sichtbar gewordene Spitze eines Eisbergs?“, mutmaßte der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Der Fall beweise, wie notwendig es sei, genauer hinzuschauen – nicht nur auf Turnieren, sondern auch in den Ställen und beim Training. Zudem müsse endlich eine grundsätzliche Debatte über die Methoden im Reitsport geführt werden.
Die Tierschutzorganisation PETA kündigte an, bei der Staatsanwaltschaft Münster Strafanzeige gegen Beerbaum und eine weitere, derzeit noch unbekannte Person zu erstatten. PETA fordert von der Bundesregierung zudem Maßnahmen, „um die Ausbeutung von Pferden für den ,Reitsport‘ zu beenden.“
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