Häufig streiten der Verkäufer und Käufer eines Reitpferdes darüber, ob das verkaufte Tier die versprochene Rittigkeit aufweist oder der Verkäufer den Käufer womöglich getäuscht hat. Am 27. Mai 2020 hat der für Pferdekaufrecht zuständige 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass der Käufer eines Reitpferdes Rittigkeitsprobleme nicht zum Anlass nehmen kann, vom Kaufvertrag zurückzutreten oder Preisminderung zu verlangen. Zwar überrascht die aktuelle Entscheidung in ihrer Klarheit, sie hatte sich aber schon im BGH-Urteil vom 7. Februar 2007 (Az. VIII ZR 266/06) angedeutet.
Abweichungen von der Norm?
Die Eignung eines klinisch unauffälligen Pferdes für die gewöhnliche oder die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd, so der BGH damals, sei nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen von der „physiologischen Norm“ eine lediglich geringe Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln werde, die seiner Verwendung als Reitpferd entgegenstünden. Der BGH in Karlsruhe hat das Urteil nun fortentwickelt und festgestellt:
Die genannten Grundsätze würden nicht nur für physiologische Abweichungen vom Idealzustand, sondern auch für ein vom Idealzustand abweichendes Verhalten, wie etwa „Rittigkeitsprobleme“, gelten, wenn das Pferd nicht oder nicht optimal mit dem Reiter harmoniere und Widersetzlichkeiten zeige.
BGH: Pferde sind Lebewesen ...
Wörtlich heißt es im Urteil: „Entspricht die Rittigkeit eines Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiert sich für den Käufer – wenn nicht klinische Auswirkungen hinzukommen – daher grundsätzlich lediglich der Umstand, dass es sich bei dem erworbenen Pferd um ein Lebewesen handelt, das – anders als Sachen – mit individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend mit sich daraus ergebenden unterschiedlichen Risiken behaftet ist.“
Die BGH-Richter weisen in ihrer Entscheidung darauf hin, dass bestimmte Formen der Widersetzlichkeit lediglich Ausdruck des natürlichen Verhaltens des Pferdes als Fluchttier seien. Wörtlich: „Folgt ein Pferd dem Reiter nicht, sondern widersetzt sich ihm, kann – auch bei qualifizierten Reitern – nicht ausgeschlossen werden, dass dies weder auf klinischen Symptomen des Pferdes noch dem Reitstil oder der sonstigen Handhabung des Pferdes durch den Reiter beruht, sondern auf einem natürlichen Risiko, etwa auf einer Disharmonie bzw. einer unzureichenden Verständigung zwischen Pferd und Reiter.“
Beweisregelung und "Vermutungswirkung"
Die überragende Bedeutung des BGH-Urteils vor allem für unternehmerische Pferdeverkäufer liegt vor allem in der „Beweisregelung“ in § 477 BGB. Denn nach Auffassung der Richter stellen Rittigkeitsprobleme beim Reitpferd, etwa in Form von Widersetzlichkeiten, keine Mangelerscheinung dar, sodass sie die „Vermutungswirkung“ des § 477 BGB mit strenger Entlastungspflicht des Käufers (§ 292 ZPO) nicht auslösen. Folge: Es handelt sich demnach nicht um eine Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit, sondern um ein natürliches Risiko, das grundsätzlich der Käufer eines Pferdes tragen muss (BGH, Az. VIII ZR 315/18).
Viel „Futter“ für Juristen
Nach Ansicht von Prof. Dr. Burkhard Oexmann wird die BGH-Entscheidung weiter „viel Futter für Juristen“ liefern. Denn ob die behaupteten Rittigkeitsprobleme im Sinne von Widersetzlichkeiten frei von pathoanatomischen/pathophysiologischen Ursachen sind, könne letztlich nur ein forensisch erfahrener Sachverständiger aus dem Bereich der Pferdekrankheiten klären. Der Rechtsanwalt aus Lippetal prophezeit: „Aufgrund des BGH-Urteils werden auch künftig noch heftiger Käufer und Verkäufer miteinander streiten.“