Die Beberbecker Pferde sind zurück und zwar dank eines Zuchtprojekts im Tierpark Sababurg und dem Ort Beberbeck, Nordhessen. Ziel ist die Wiederansiedlung der fast ausgestorbenen und für die westfälische Pferdezucht bedeutenden Pferderasse. Die Züchtung der Rasse sichern drei Stuten. Sie wurden im europäischen Ausland erworben und lassen sich lückenlos auf Beberbecker Abstammung zurückführen. Hier ist ein Einblick in die spannende Geschichte der vergessenen Schlangenpferde.
Wer waren die Beberbecker?
Erste Erwähnung der Zapfenburg (Sababurg) und eines Wildgestüts sind urkundlich bereits vor fast 700 Jahren dokumentiert. Im 17. Jahrhundert findet man Hinweise auf ein Wildgehege mit 70 Stuten, in einem von einer bis zu 3 m hohen Steinmauer circa 130 ha großen Areal; die Einfriedung ist heute noch in großen Teilen erhalten. 1724 wurde nach Beberbeck umgezogen. 1828 machte der hessische Kurfürst Wilhelm II. daraus eine „Musteranstalt für die Landespferdezucht“; 300 Pferde fanden Platz in Ständen.
Beberbeck wird Hauptgestüt
Nach der Annektierung von Kurhessen durch Preußen machte die Preußische Gestütsverwaltung 1876 daraus ein Hauptgestüt. Das heißt, beste Stuten brachten in Verbindung mit besten Hengsten, den sogenannten Hauptbeschälern, Nachkommen für allerhöchste Ansprüche. Aus den geborenen Hengstfohlen wurden bei entsprechender Qualität Landbeschäler in den deutschen Landgestüten, Stutfohlen ergänzten bei entsprechender Qualität den Bestand an Zuchtstuten im Hauptgestüt. Der „Überschuss“ bei Hengsten bzw. Stuten gingen in den Bestand der Militärs oder wurden über Auktionen vor Ort meistbietend versteigert.
Stuten aus der Senne und Trakehnen
Die Stuten für die Ersteinrichtung durch Preußen kamen unter anderem aus der Senne, aus Trakehnen und aus dem Friedrich-Wilhelm-Gestüt Neustadt-Dosse. Bereits 1895 meldete der damalige Landstallmeister von Oettingen in die Reichshauptstadt Berlin: „Die Beberbecker haben sich in kurzer Zeit beim Heer einen so guten Ruf erworben wie kaum ein anderes Halbblutgestüt!“
Der letzte Landstallmeister
Der letzte Landstallmeister von Beberbeck war Paul von Nagel, ein Westfale, aus der Nähe von Warendorf. Er führte von 1916 bis 1929 das Hauptgestüt zu weiterer Blüte. Jedoch war das damalige Deutsche Reich aufgrund des verlorenen Ersten Weltkrieges, der Versailler Verträge und der Weltwirtschaftskrise in große Bedrängnis und löste unter diesem enormen Druck das Hauptgestüt Beberbeck auf.
Die Stuten wurden für 1 Mio. Goldmark an den polnischen Staat veräußert, der darin einen enormen züchterischen Wert für ihre Landespferdezucht erkannte. Paul von Nagel, dessen Kinder in Beberbeck aufwuchsen, wurde zum Preußischen Landgestüt nach Warendorf versetzt. Sein ältester Sohn, Clemens von Nagel, geboren 1908, hatte umfangreiche Kenntnisse über die Beberbecker Pferde.
1939 wurde Clemens von Nagel als Kavallerie-Offizier militärischer Leiter des Gestüts Racot in West-Polen und führte das noch vorhandene Beberbecker Zuchtmaterial an diesem Ort weitestgehend wieder zusammen. Am Ende des Krieges verschwanden die Stuten hinter dem „Eisernen Vorhang“.
Leistungspferde für Sport
Nach dem Krieg baute Clemens von Nagel, inzwischen Schlossherr auf Vornholz, in Ostenfelde ein Gestüt auf, welches stark durch Beberbecker Genetik beeinflusst, Leistungspferde für den Sport und die Zucht erzeugte – dies zu einer Zeit, als kaum jemand an die Zukunft der Pferde glaubte!
Der Plan ging auf. Von Nagel stattete die gesamte deutsche Dressurequipe bei den Olympischen Spielen in Helsinki 1952 mit von ihm gezüchteten Pferden aus und brachte Spitzenprodukte für die Zucht wie Radetzky (Landbeschäler Warendorf). Die sich aus den Nagel’schen Stuten Finnländerin und Trendelburg stammende Stutenfamilie entwickelte über die Jahre eine Dynamik, die bis heute weltweite Bedeutung hat.
Die Dressurlegende Don Schufro
Die Dressurlegende Don Schufro gehört genauso dazu wie Rio Negro oder der Weltcup-Qualifikationssieger Cornet. Einen Riesenbeitrag in den frühen Jahren des Vornholzer Gestüts leistete der Beberbecker Oxyd.
Das westfälische Zuchtgebiet hat seit Bestehen des Hauptgestütes Beberbeck über das Landgestüt Warendorf (beides Einrichtungen der Preußischen Gestütsverwaltung) laufend Beberbecker Hengste überwiesen bekommen. Allein von 1871 bis 1953 waren es in Warendorf 38 eingesetzte Beberbecker Hengste. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Westfalen in dieser Zeitspanne keine Zuchtregion war, die für Edelpferde bekannt war. Häufig waren die Gastspiele der Beberbecker nur kurz. Es gibt aber auch Beispiele für einen längeren Einsatz:
- Der Landbeschäler Ambrosius, der in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf verschiedenen westfälischen Landgestüts-Stationen u. a. in Herzfeld wirkte.
- Der Hengst, der mit einem hohen Beberbecker Blutanteil eine der drei Säulen der westfälischen Zucht bildete, war neben Herrscher und Burggraf der Warendorfer Landbeschäler Collino; der Enkel des großen Beberbeckers Colorado aus einer Nordhäuser Stute kam aus dem hannoverschen Zuchtgebiet nach Westfalen und wirkte 22 Jahre vornehmlich auf Stationen im Münsterland. Der leistungsgeprüfte Braune (Gewinner Zugleistungsprüfung und Galopprennen im Rahmen der Warendorfer Tage 1906) vererbte vor allem Trockenheit, Nerv, Härte und Zähigkeit.
Seine Nachkommen waren Reitpferde, die man in der Zeit der sich entwickelnden Reiterei gut vermarkten konnte. - Der Hengst mit dem höchsten Bekanntheitsgrad unter den Original-Beberbeckern war unstrittig der Hengst Gallas, der zum Obelisk-Zweig der Odoardo-Linie gehörte. Der imposante Fuchshengst wurde 1915 im Hauptgestüt geboren und 1918 von Landstallmeister Paul von Nagel nach Warendorf überwiesen. Er zeichnete sich vor allem durch viel Gang aus. In seiner 21-jährigen Tätigkeit hinterließ er vor allem im Zuchtgebiet um Varl an der Grenze zum hannoverschen Zuchtgebiet sowie in Roxel und Kump viel Gutes. In die Periode „Deutscher Bauer auf selbstgezüchtetem Pferd“ passte er hervorragend, denn seine Nachkommen waren ausgezeichnete Turnierpferde. Gallas hinterließ zwei Söhne. In einigen westfälischen Stutenstämmen findet man Gallas-Blut, z. B. bei Landbeschäler Popcorn.
- Von 1930 bis 1939 deckte der Beberbecker Hauptbeschäler Meleager (Mutter Meerkatze) als Warendorfer Landbeschäler u. a. in Roxel, Nordwalde und Grille bei Minden, bevor er 1940 nach Racot überwiesen wurde. In Westfalen hinterließ er seine Nachkommen – „drahtige, nervige und harte Pferde“.
Ein Hengst mit starker Beberbecker Blutführung und Bedeutung bis in die heutige Zeit ist der Meleager-Urenkel Meldeschein, der in den 40er-Jahren als Privatbeschäler bei August Spitthöver in Enniger aufgestellt war. Wie sein Vater Menelik und sein Großvater Meteor war Meldeschein als „Damenschneider“ bekannt. Er ist unter anderem Vater der kleinen, drahtigen Mieze, die den Ursprung der Erfolgsfamilie der Zuchtstätte de Baey bei Lemgo darstellt. Deren bekannteste Nachkommen sind die Olympiapferde Ahlerich (Rainer Klimke), Amon (Annemarie Sanders-Keyzer) und Rembrandt (Nicole Uphoff) sowie des Starvererber Rubinstein. - Bei den beiden letztgenannten Ausnahmepferden fügte der Züchter Herbert de Baey seinem Beberbecker-Blut führenden Mutterstamm R-Blut hinzu, welches auf den oben genannten westfälischen Linienbegründer Radetzky zurückgeht. Radetzkys Mutter Malta ist eine Tochter der Meerfahrt, die vom oben genannten Meleager abstammt.
Dass Beberbecker auch „olympisch konnten“, belegt der Olympiasieger 1936 in der Military, Nurmi, der vom Beberbecker Hengst Merkur abstammte. Merkur ist wie der für Westfalen so bedeutend gewordene oben genannte Meleager Sohn von Meerkatze.
Warum Schlangenpferde?
Und warum heißen diese Pferde nun Schlangenpferde? Als 1876 Stuten aus Neustadt-Dosse nach Beberbeck kamen, brachten sie ein Brandzeichen gleich mit, es bestand aus einem senkrechten Pfeil mit Schlange.
Wiederherstellung der Rasse
Anfang 2020 förderte der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) den Tierpark Sababurg mit 1,1 Mio. € u. a. für die Außenanlagen mit ihren Gehegen und Volieren, um Wildtiere wie Luchse und Rentiere zu beobachten. Die Wiederherstellung der „Beberbecker Pferde“ ist Teil dieses Projekts. Das Zuchtprogramm mit dem Ziel Erhaltung und Weiterzüchtung dieser für die Region einst so bedeutsamen Rasse wurde im September 2019 von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen als Landesbeauftragter genehmigt. Das Zuchtbuch für die Beberbecker führt der Zuchtverband der Senner Pferde in Borgholzhausen. Zuchtleiter ist Karl-Ludwig Lackner.
Ab dem nächsten Jahr sind die ersten Beberbecker Pferde im Tierpark Sababurg zu sehen. Der alte Stutenstall im Vorwerk der Sababurg und ein neuer Stall sind ihre Herberge. Und was das 5 km entfernte Schloss Beberbeck betrifft, befindet sich hier heute ein Altenheim, weitere Gebäudeteile des ehemaligen Hauptgestüts werden durch die „Hessische Staatsdomäne Beberbeck“ genutzt, die insgesamt fast 900 ha landwirtschaftliche Flächen bewirtschaftet.