Wissenschaftler rätseln über Insektensterben

Forscher haben einen massiven Rückgang der Insektenpopulation in Deutschland seit 1989 festgestellt und rätseln: Veränderungen des Wetters, der Lebensräume oder der Landnutzung "können diesen umfassenden Rückgang nicht erklären".

Ein internationales Forscherteam hat einen massiven Rückgang der Insektenpopulation in Deutschland seit 1989 festgestellt und rätselt über die Gründe: Veränderungen des Wetters, der natürlichen Lebensräume oder auch der Landnutzung "können diesen umfassenden Rückgang nicht erklären".


Nach den Untersuchungen des zwölfköpfigen deutsch-niederländisch-britischen Autorenteams kam es seit Beginn der Messungen im Jahr 1989 zu einen Biomasseverlust bei den Fluginsekten zwischen 76 % und 81 %. Die Angaben stützen sich auf Erhebungen an 63 Standorten in verschiedenen Schutzgebieten überwiegend in Nordwestdeutschland.

In der Fachwelt wird bereits seit längerem über ein Insektensterben diskutiert. Bisher angeführte Zahlen stützten sich dabei vornehmlich auf Untersuchungen des Entomologenvereins Krefeld. Er hatte an zwei Messtationen im Krefelder Naturschutzgebiet "Orbroicher Bruch" einen dramatischen Rückgang der Insektenpopulation in den vergangenen Jahrzehnten nachgewiesen. Dieses Ergebnis aus zwei Messpunkten könne nicht auf ganz Deutschland hochgerechnet werden, hatten Kritiker wiederholt bemängelt.

Wer sind die Autoren?

NABU: Die Ursache ist klar
Nach Auffassung des Präsidenten des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Olaf Tschimpke, kann ein Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und Insektensterben hergestellt werden. Allein die Tatsache, dass es sich bei allen Untersuchungsflächen um verinselte Standorte innerhalb von Schutzgebieten handle, in deren Umfeld zu mehr als 90 % eine konventionelle Agrarnutzung stattfinde, lege einen negativen Einfluss durch die Landwirtschaft nahe, so Tschimpke. Er rief die zukünftige Bundesregierung dazu auf, sich auf EU-Ebene für einen Kurswechsel in der Agrarpolitik einzusetzen sowie einen Schwerpunkt auf die Erforschung und den Schutz der biologischen Vielfalt zu legen. Der NABU fordert ein wissenschaftliches Zentrum für Biodiversitäts-Monitoring sowie den zügigen Aufbau eines bundesweiten Insekten-Monitorings. Als Vorbild könne NRW dienen, wo in diesem Jahr die Beprobung auf 100 Standorten angelaufen sei. AgE

Auch die nun vorgelegte Studie gründet im Wesentlichen auf Datenmaterial des Krefelder Entomologenvereins. Sechs seiner Mitglieder gehören zum zwölfköpfigen Autorenteam der nun erschienenen Studie, die in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Plos one" veröffentlicht worden ist. Weitere Autoren stammen von der Radboud University in Nijmegen/Niederlande und der University of Sussex in Brighton/Großbritannien.

Die Datengrundlage

Entgegen einigen aktuellen Medienberichten stützt sich die nun vorgelegte Studie nicht flächendeckend auf Ergebnisse für Mitteleuropa. Vielmehr verteilen sich die 63 untersuchten Standorte auf Rheinland-Pfalz (1), Brandenburg (5) und Nordrhein-Westfalen (57), hier vor allem im Köln-Bonner Raum.

Überdies weist das Forscherteam darauf hin, dass die untersuchten 63 Stationen nicht kontinuierlich seit 1989 beobachtet und ausgewertet worden sind. Vielmehr wurden jährlich die Ergebnisse von einer bis maximal acht Stationen zusammengetragen. 2014 wurden einmalig 23 Stationen beobachtet, in denen insgesamt 348 Proben ausgewertet wurden. In den anderen Jahren schwankt die Zahl der Proben erheblich: zwischen 4 (im Jahr 2011) und 162 (1989). Wie belastbar diese Datengrundlage ist, dürfte in den kommenden Wochen Gegenstand der fachwissenschaftlichen und auch (umwelt-)politischen Diskussionen über diese Veröffentlichung werden.

Versuchsanordnung "subobtimal"

Der Wissenschaftler Johannes Steidle von der Universität Hohenheim sagte gegenüber dem Nachrichtenportal "Spiegel online", es spiele für die Belastbarkeit der Daten keine Rolle, dass an einigen Probestellen nur einmal Proben genommen worden seien. Eine Teilanalyse der mehrfach beprobten Standorte komme zum selben Ergebnis wie die Hauptanalyse mit allen Probestellen.

Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hingegen bezeichnete die Versuchsanordnung als "suboptimal". Datenlücken mit statistischen Rechenmodellen auszugleichen führe zu Unsicherheiten. Außerdem, so Klein gegenüber "Spiegel online", sei das Gewicht der Proben nicht als Trockengewicht bestimmt worden, was ebenfalls nicht optimal sei. Auch sei nicht geklärt, ob die Zahl einzelner Arten möglicherweise sogar gewachsen sei.

Suche nach einer Erklärung

Zurückhaltend hat das zwölfköpfige Autoren-Team die nun präsentierten Daten kommentiert. Die Insektenverluste könnten weder durch Veränderungen des Klimas, der natürlichen Lebensräume oder der Landnutzung erklärt werden, heißt es in der Studie.

Die Intensivierung der Landwirtschaft etwa durch Einsatz von Chemie und Düngemitteln oder ganzjähriger Bodenbearbeitung könne "einen plausiblen Grund" darstellen, mutmaßen die Forscher. Alle Naturschutzgebiete, in denen die Beobachtungsstationen stünden, seien von agrarisch genutzten Flächen umgeben. Dieser Vermutung gehen die Wissenschaftler aber mangels Datengrundlage nicht weiter nach. Str.