Eine Handvoll Landwirte in Werl-Hilbeck und der angrenzenden Stadt Hamm sowie die Kommanditisten des Bürgerwindparkes Heidewind GmbH könnensich über ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk freuen. Nicht so die Gegner des Windparkes, die sich in einer Bürgerinitiative organisiert haben. Am 20. Dezember wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster die Klage von Elke L. gegen den Kreis Soest zurück. Bereits am 17. Oktober 2017 hat das Verwaltungsgericht Arnsberg ihre Klage abgewiesen.
Der Hintergrund
Mitte 2014 hatte der Kreis Soest der Heidewind GmbH die Genehmigung zum Bau und Betrieb von drei Senvion 3.0 (je 3 Megawatt Leistung, 200 m Gesamthöhe) erteilt. Anfang Mai 2015 wurden die drei Anlagen, Gesamtkosten etwa 15 Mio. €, ans Stromnetz der Stadtwerke Werl angeschlossen.
Doch viele Bürger in Hilbeck fühlten sich von den Bauherren und ihrer Stadt übergangen. Sie wollten keine neuen Windanlagen (WEA) am westlichen Ortsrand, es wäre doch sinnvoller, die schon vorhandenen sechs WEA im Osten von Hilbeck zu "repowern", also auf einen technisch besserem Stand nachzurüsten. Sie stehen auf einer Fläche, wo einst eine Giftmülldeponie geplant war.
Etwa 80 Hausbesitzer gründeten eine Bürgerinitiative und sammelten Geld für den Rechtsstreit. Elke L., deren Wohnhaus im Wohngebiet 1280 m von der ersten Anlage in Westhilbeck steht, reichte Klage ein und war zunächst erfolgreich. Der Kreis hatte die Anlagen nach Baurecht, also ohne Vorprüfung zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), genehmigt. Mit Blick auf den Artenschutz („Roter Milan“), war das nicht in Ordnung, stellte das OVG Mitte 2015 fest.
Artenschutz als Feigenblatt
Zwei Monate nach Inbetriebnahme mussten die Bauern um Geschäftsführer Thomas Eckey die drei Anlagen auf Anordnung des Kreises abschalten. Es drohten Millionenverluste. Milchviehhalter Detlev Altena lud Josef Tumbrinck, Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) NRW, auf seinen Hof am Hammer Stadtrand ein. „Der Artenschutz dient als Feigenblatt, um missliebige Windkraftanlagen abzuschalten und uns zu ruinieren“, hieß es seinerzeit im Wochenblatt (Ausgabe 37/2015).
Nach diesem Desaster holte die GmbH die UV-Prüfung mit allen Gutachten nach. Am 20. April 2016 genehmigte der Kreis den BImSch-Antrag für die drei Anlagen, nach dem zuvor die Öffentlichkeit an dem Verfahren beteiligt war. Doch wie erwartet klagte erneut Elke L., unterstützt von der Bürgerinitiative.
Darf die Umweltverträglichkeitsprüfung nachgeholt werden?
Vor dem OVG Münster ging es im Kern um die Frage: Kann eine Betreibergesellschaft die UVP-Prüfung nachholen, wenn die Windanlagen schon gebaut sind?
Ja - so lautet nun die klare Antwort des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Seibert. Zwar sei eine UVP grundsätzlich vor Errichtung der Anlagen durchzuführen. Sie habe hier aber rechtmäßig nachgeholt werden können. Insbesondere sei einer unzulässigen Umgehung der UVP-Vorschriften dadurch wirksam vorgebeugt worden, dass die ersten Genehmigungen aufgehoben und die Anlagen stillgelegt worden seien. Der Richter wörtlich: „Es wäre doch absurd, die drei gebauten Anlagen abzureißen, wenn im Nachhinein festgestellt wird, dass sie die UVP-Prüfung bestehen.“
Auch die weiteren vom Rechtsanwalt der Klägerin, Hendrik Kaldewei, vorgetragenen Mängel wies der Richter im voll besetzten Gerichtssaal zurück:
- Die Klägerin kann keine inhaltlichen Fehler an der UVP rügen, weil sie im Rahmen der öffentlichen Beteiligung alle Gutachten (etwa Lärm, Lichtreflexe) einsehen und dazu Stellung nehmen konnte. Auf artenschutzrechtliche Mängel könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie insoweit nicht in eigenen Rechten verletzt sei.
- Bei einem Abstand von 1280 m zum Wohnhaus der Klägerin werden die Grenzwerte der TA-Lärm deutlich unterschritten (hier 39,8 dBA). Das Wohnhaus der Klägerin liegt am Rande eines Wohngebietes zum Außenbereich. Im Wohngebiet sind nachts 40 dBA, im Außenbereich nachts 45 dBA zulässig. Bei dieser Gemengelage, so der Richter, müsse man einen Mindestwert von 42 bis 43 dBA annehmen. „Es gibt kein Recht auf absolute Stille “, sagte der Richter.
- Von den drei Anlagen geht auch keine „optisch bedrängende Wirkung“ aus. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des OVG NRW nur dann vor, wenn der Abstand eines Wohnhauses zu einer Windanlage deren dreifache Höhe unterschreitet. Das wären im vorliegenden Fall 600 m (3 x 200 m).
Streitpunkt "Infraschall"
Prof. Seibert ging abschließend auf die hitzig geführten Diskussionen zum sogenannten Infraschall ein. Damit gemeint sind Geräusche von 0 bis 20 Hertz, die das menschliche Ohr nicht hört. „Es gibt derzeit keine wissenschaftlich belegbaren Beweise, dass der von den Rotoren ausgehende Infraschall bei den vorgeschriebenen Abständen einen Gesundheitsgefahr für die Menschen darstellt“, so der Richter. Er bezog sich dabei unter anderem auf eine umfassende Studie aus Frankreich.
Anwalt Kaldewei hatte angeregt, ein Forschungsprojekt zum Infraschall durchführen zu lassen. Wer aber soll das bezahlen, fragte der Richter. Die Mitglieder der Bürgerinitiative winkten jedenfalls noch im Gerichtsaal ab. Sie haben bis heute nach eigenen Angaben eine mittlere fünfstellige Summe für den Rechtsstreit ausgegeben. „Genug ist genug“, hieß es.
Revision gegen das Urteil hat das OVG nicht zugelassen. Dagegen kann die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erheben (Az. 8 A 2971/17; Verwaltungsgericht Arnsberg: Az. 4 K 2130/16).