Wochenblatt: Herr Thier, BBWind ist 100%ige Tochter des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV). Seit Mai 2012 hat BBWind über 100 Bürgerwindprojekte beraten und größtenteils realisiert. 2019 jedoch wurden zwischen Rhein und Weser kaum noch neue Anlagen geplant und gebaut.
Thier: Schuld an der Misere sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen und öffentlichen Diskussionen, regional aber auch Akzeptanzprobleme vor Ort. Mangelnde Akzeptanz stellen wir im Münsterland jedoch weniger fest. Dies liegt daran, dass hier die meisten Windprojekte in bäuerlicher Hand bleiben und Bürger mit einbeziehen. In anderen Regionen, wo diese Beteiligung nicht stattfand und Projekte durch fremde Projektierer entwickelt wurden, haben wir teils massive Akzeptanzprobleme.
Die Landesregierung NRW und die Bundesregierung haben auf die Proteste reagiert. Der neue Landesentwicklungsplan gibt einen Abstand von 1500 m von Windenergieanlagen (WEA) zur Wohnbebauung in Form eines weichen, unverbindlichen Planungsgrundsatzes vor. Und die Bundesregierung will im neuen Bundesbaugesetz (BauGB) einen Mindestabstand von 1000 m zu reinen und allgemeinen Wohngebieten sowie zu „signifikanter Wohnbebauung in dörflichen Strukturen“ festschreiben. Das Ganze soll dann auch noch rückwirkend für ältere Windzonen (vor 2015 festgesetzt) gelten.
Sollten die geplanten Änderungen tatsächlich so im Gesetzesblatt stehen, verlieren wir allein in NRW über 50 % aller möglichen Standorte. Mit diesen völlig überzogenen Einschränkungen werden Bund und Land NRW ihre selbst gesteckten Klimaziele nicht erreichen.
Wochenblatt: SPD-Politiker und Bundeskanzlerin Angela Merkel schlagen vor, dass Bürger, die Windräder in ihrer Nachbarschaft akzeptieren, einen Ausgleich erhalten sollten…
Solinski: Was Politiker jetzt fordern, wird von uns, der BBWind, bereits seit Jahren praktiziert. Wir planen im Auftrag der Grundstückseigentümer vor Ort Bürgerprojekte, wobei wir möglichst alle Anwohner durch eine frühzeitige Information einbinden. Die Bürger können sich am Windpark finanziell beteiligen, die direkten Anwohner erhalten Nachbarschaftsgelder für etwaige Beeinträchtigungen durch Schall und Schatten.
Mit unserer Philosophie „Wir planen, Bauern und Bürger profitieren“ sind wir sehr erfolgreich unterwegs. Im Kreis Borken etwa haben wir bislang 16 Bürgerwindprojekte mit 44 WEA realisiert. Das hat Investitionen von 220 Mio. € ausgelöst. Über die Stromerlöse fließen rund 660 Mio. € in dem 20-jährigen Einspeisezeitraum in den Kreis zurück; über Grundstückspachten, Ausschüttungen an die Kapitalgeber, Gewerbesteuern für Kommunen usw. Das ist eine erhebliche regionale Wertschöpfungskette. Sie führt automatisch auch zu mehr Akzeptanz, da die Bürger die Vorteile der Windenergie spüren.
Wochenblatt: Doch dieses Einvernehmen gibt es nicht überall. Firmen versprechen Flächeneigentümern in Anzeigen bis zu 70.000 € pro Standort und Jahr.
Thier: Das sind Lockangebote. Sie sollen den Grundstückseigentümer verleiten, zügig einen Nutzungsvertrag zu unterschreiben. Später jedoch sieht der Flächeneigentümer oft keinen Cent, weil man auf einer einzelnen Fläche in der Regel gar keinen Windpark planen und bauen kann. Es sind Abstände zu Nachbarflächen einzuhalten, zudem muss die Gemeinde eine Windzone ausweisen. Unterschreibt ein Grundstückseigentümer einen solch unseriösen Vertrag, löst das Streit und Missgunst in den Dörfern aus. Die Nachbarn und oft auch die Gemeinde stellen sich gegen die Planung, es drohen jahrelange Gerichtsprozesse.
Nicht zuletzt hat dieses unsolidarische Verhalten Einzelner dazu geführt, dass die Akzeptanz für die Windkraft auf dem Lande allgemein abgenommen hat.nBBWind schlägt jetzt ein „Luftraummodell“ zur Lösung der Akzeptanzprobleme vor.
Thier: Unser Modell knüpft an das seit Jahrhunderten geltende Bergrecht für Bodenschätze. Die Nutzung des Luftraumes durch die Windenergie wird vom Grund- stück entkoppelt. Ausgehend vom Grundsatz, dass Wind ein Allgemeingut ist, vergibt die Kommune für den genutzten Luftraum eine Konzession. Der WEA-Standort gehört dem Grundbesitzer. Um eine Anlage auf einem Grundstückbauen zu können, benötigt der Antragsteller neben dem Nutzungsvertrag für das Grundstück zusätzlich eine Luftraum-Konzession der Gemeinde. Mit diesem Luftraummodell wollen wir die hohe Akzeptanz aus dem Münsterland auf ganz Deutschland übertragen und verankert wissen.
Wochenblatt: Nach welchen Kriterien sollen die Kommunen solche Konzessionen vergeben?
Thier: Die Kommune kann die Kriterien für die Vergabe innerhalb eines festzulegenden Rahmens selbst bestimmen. Möglich wäre zum Beispiel, dass mindestens 50 % der Anlagen in einem Windpark durch Landwirte und Bürger vor Ort betrieben werden und dass der Betreiber ein bestimmtes Pacht- und Anwohnermodell umsetzt. Die direkten Anwohner könnten ein Nachbarschaftsgeld erhalten. Uns ist wichtig, dass ein möglichst großer Teil der Wertschöpfung vor Ort bleibt. Unter den genannten Vorgaben können sich Projektentwickler dann um eine Konzession bewerben, die Gemeinde kann sich dann für das beste lokale Konzept entscheiden.
Wochenblatt: Wo sehen Sie die Vorteile Ihres Luftraummodelles? Gibt es auch Nachteile?
Solinski: Der größte Vorteil wäre, dass in Zukunft nicht mehr einzelne externe Projektierer entscheiden, wie ein Projekt ausgestaltet wird, sondern die Kommune hat den Hut nicht nur planungsrechtlich auf. Der Rat vergibt die Konzession und bestimmt, wie viel Windgeld in den Taschen der Dorfbewohner verbleibt. Es wird keine überhöhten Grundstückspachten und keine exorbitant hohen Abschöpfungen der Projektierer mehr geben. Kurz: Nicht einige wenige verdienen, sondern möglichst viele Bürger. Die lokale Wertschöpfung steigt und damit die Akzeptanz in den Dörfern und Bauerschaften.
Und die Nachteile? Gesetzlich muss sichergestellt werden, dass Kommunen in diesem Modell keine neue Einnahmequelle entdecken und Gebühren für die Konzession berechnen. Auch muss die Konzessionsvergabe deutschlandweit einheitlich, fair und nachvollziehbar ablaufen, hierfür würde sich ein verbindlicher Leitfaden mit flankierender Gesetzgebung für die kommunalen Entscheidungsträger anbieten. Nicht zuletzt müsste auch sichergestellt werden, dass der Zwang zur „substanziellen Raumausweisung“ für Windenergie durch die Gemeinden nicht infrage gestellt wird.
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