Ferkelkastration

Der "vierte Weg" wird kurvenreich

Die lokale Betäubung schafft eine Schmerzreduktion bei der Ferkelkastration, aber keine Schmerzausschaltung – dieses aktuelle Versuchsergebnis stellte Dr. Susanne Zöls von der Universität München beim „Brennpunkt Kastration“ auf Haus Düsse vor.

Weit über 250 Besucher, der Saal proppenvoll – das Thema Ferkelkastration brennt Landwirten, Tierärzte, Beratern und Industrie auf den Nägeln. Denn bisher ist nicht einmal die Fristverschiebung um zwei Jahre für das Verbot der betäubungslosen Kastration in trockenen Tüchern. Deshalb traf Dr. Albert Hortmann-Scholten mit seinem Appell auf offene Ohren beim „Brennpunkt Kastration“ auf Haus Düsse: „Jeder Schweinehalter muss jetzt direkt und persönlich seinen Bundestagsabgeordneten darüber aufklären, wie wichtig die Entscheidung für die Zukunft von 10.000 Ferkelerzeugern ist!“

Das wird eine sehr knappe Entscheidung, so die Einschätzung des Marktexperten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. „Wenn wir keine Lösung herbeiführen, wird der Selbstversorgungsgrad für Ferkel in Deutschland von 70 auf 50 % sinken – ein Strukturbruch wie bei den Legehennen nach Verbot der Käfighaltung“, so die düstere Prognose von Hortmann-Scholten. Er plädierte für den Vierten Weg, die Lokalanästhesie, um wettbewerbsfähig gegenüber den Dänen und Holländern zu bleiben. Diese stehen schon in den Startlöchern, um die Ferkellücke zu füllen.

"Nicht der Königsweg"

Doch der vierte Weg ist nicht der „Königsweg“ für Dr. Katharina Kluge, zuständige Referatsleiterin für Tierschutz im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL). Sie bekam Rückenwind durch die neuesten Forschungsergebnisse der Universität München, die Dr. Susanne Zöls vorstellte. Getestet wurden die Lokalanästhetika Procain und Lidocain, in unterschiedlicher Konzentration und mit verschiedenen Applikationsarten. Das Abwehrverhalten der Ferkel und die Kortisolkonzentration im Blut zeigten, dass der Schmerz durch die örtliche Betäubung reduziert, aber nicht ausgeschaltet wurde. Das Tierschutzgesetz verlangt eine „wirksame“ Schmerzausschaltung.

Weiteres Hemmnis für den vierten Weg ist, dass bislang keine Firma einen Zulassungsantrag für ein Lokalanästhetikum gestellt hat, das zur Ferkelkastration eingesetzt werden darf. Da kann ein weiterer Versuch Vorarbeit leisten, den das BMEL in Auftrag gegeben hat. Der ist so angelegt, dass die Ergebnisse später von einem Pharmaunternehmen für das Zulassungsverfahren eines Lokalanästhetikums genutzt werden könnten. Mit Ergebnissen aber ist in den nächsten zwei Jahren nicht zu rechnen.

Empfehlung: Narkose mit Isofluran

Daher empfahl Dr. Katharina Kluge allen Ferkelerzeugern, die weiterhin kastrieren wollen, die Narkose mit dem Inhalationsmittel Isofluran. Das soll noch in diesem Jahr eine Zulassung bekommen. Zudem schiebt das Ministerium eine Verordnung an, die Landwirten nach entsprechender Schulung die Narkose ohne Tierarzt ermöglichen soll. Durch ein Förderprogramm sollen die Narkosegeräte erschwinglich auch für kleinere Betriebe werden. Als weitere Alternative sieht Katharina Kluge die Ebermast, mit oder ohne Immunokastration. Dafür will das BMEL Akzeptanz schaffen und Absatzkanäle öffnen.

Die Sicht der Schlachtbetriebe und des Handel

Auch die Firma Tönnies will die Ebermast weiter ausbauen. Das zeigt sich schon an den Zahlen des laufenden Jahres, die Dr. Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vorstellte. Er rechnet mit 3,1 Mio. Schlachtungen von Jungebern bei Tönnies, ein Plus von 50 % gegenüber 2017. Diese Steigerung geht allerdings auf Kosten der Rentabilität für den Mäster, da das Unternehmen die Preismaske für Eber im September um rund 3 €/Tier verschlechtert hat. Im aktuellen Jahr rechnet Marktexperte Hortmann-Scholten mit einem Marktanteil der Jungeber von 12 bis 13 % der männlichen Tiere.

Auch Westfleisch will die Eberschlachtung ausbauen. Doch sind die Vermarktungsmöglichkeiten eingeschränkt im Vergleich zu Fleisch von weiblichen Tieren oder von Kastraten. Das betonte Heribert Qualbrink, Einkaufsleiter der Westfleisch.

Für die Immunokastration warb Markus Pfeuffer, der bei Rewe den Bereich Nachhaltige Waren leitet: „Rewe akzeptiert Fleisch von geimpften und ungeimpften Jungebern und von narkotisiert kastrierten Schweinen.“ Fleisch von immunokastrierten Ebern bekommt Rewe seit zwei Jahren von Öko-Landwirten, die sich dem Naturland-Verband angeschlossen haben. Bislang habe sich kein Journalist über das Verfahren aufgeregt, keine Negativschlagzeile sei die Folge gewesen. Er zeigte sich überzeugt, dass das auch nicht anders sei bei Fleisch von konventionell gemästeten Ebern, die mit Improvac kastriert würden.

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von Nachrichtendienst Agra-Europe

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