Am Ende seiner Begrüßungsrede nahm Hubertus Paetow das Fazit der Tagung vorweg: „Für jeden Standort und Betriebstyp wird es einen erfolgreichen Weg in die Zukunft geben, es ist nur nicht für alle derselbe. Vom Ökolandbau mit Direktvermarktung bis zur Getreideproduktion für den nordafrikanischen Markt wird es alle Konzepte geben, und diese erfordern unterschiedliche Entwicklungspfade“, sagte der Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) auf der Wintertagung am Mittwoch in Münster.
Drei Optionen
Paetow analysierte, was die drei Optionen „Marktausstieg, Weltmarkt, Premiummarkt“ für den Agrarstandort Deutschland bedeuten:
- Marktausstieg: Was es für ein Land heißt, eine eigene Agrarproduktion nicht als prioritäres Ziel zu haben, zeige sich am Beispiel Großbritannien: Der Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln betrage 60 %, bei der Landtechnik und vielen anderen Bereichen seien die Briten nicht mehr an der Spitze des Fortschritts. Um den Bedarf zu decken, importiert Großbritannien Lebensmittel. Hierbei haben sie es selbst nicht mehr in der Hand, unter welchen Bedingungen die Lebensmittel produziert werden, die sie verbrauchen. Paetow sieht in Teilsegmenten der deutschen Landwirtschaft ähnliche Tendenzen, beispielsweise der Ferkelkastration: Schon jetzt kommen nur noch 60 % der hier gemästeten Ferkel aus Deutschland. Entfällt die chirurgische Kastration, sinkt der Anteil noch weiter. So müsste Deutschland noch mehr Ferkel aus Ländern importieren, in denen die Kastration weiter erlaubt ist.
- Weltmarkt: Als Kommissar McSharry 1992 in der Agrarreform die Preisstützung und den Außenschutz herunterfuhr, sahen viele das Ende der Landwirtschaft in Deutschland und Europa kommen. Es kam anders: Heute sind deutsche Landwirte bei vielen Agrarprodukten international wettbewerbsfähig, obwohl es nur Subventionen auf den Faktor Boden gibt. Allerdings gelingt Weltmarktproduktion nur, wenn die Rahmenbedingungen ähnlich sind – und vor allem das ist gerade eine Gefahr für Deutschland. Als Beispiele nannte Paetow die Einschränkungen bei Düngung, Pflanzenschutz und Züchtungsmethoden.
- Premiummarkt: Den Premiummarkt halten viele in der Gesellschaft für einen zukunftsfähigen Weg für die Landwirtschaft. Doch der DLG-Präsident sieht das lediglich als Zwischenstufe. Denn es gebe nur sehr wenige Verbraucher die tatsächlich bereit sind, für Premiumprodukte auch Premiumpreise zu zahlen. Auch beim Ökolandbau wachse die Nachfrage nicht in den Himmel.
Abschließend hielt der DLG-Präsident fest: „Die Perspektive für den Agrarstandort Deutschland hängt wesentlich von der Kreativität, Innovationsfreude und Engagement der Branche ab – wir haben es also in der Hand.“
Geld für Gemeinwohlleistungen
Dem stimmte Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität Berlin voll zu. Er munterte die Branche ebenfalls auf, jetzt zügig selbst Zukunftskonzepte vorzulegen.
Deutlich machte Grethe das aktuelle Marktversagen und die Untätigkeit der Politik. Das Dilemma: Die Landwirte bekommen die von der Gesellschaft gewünschten Leistungen nicht über den Markt bezahlt. Jeder Mensch sei Bürger und Verbraucher. Als Bürger stelle er hohe Ansprüche an Tier- und Umweltschutz, als Verbraucher handele er aber anders und greife zum günstigsten Produkt.
Auch über das Ordnungsrecht lassen sich die hohen Standards kaum vergüten. Vielmehr treibe Ordnungsrecht ohne Förderpolitik die Produktion ins Ausland. „Weil es Lebensmittelhandel egal ist, woher die Waren kommen“, sagte Grethe.
Er schlägt deshalb vor, diese Leistungen einzukaufen bzw. zu honorieren, beispielsweise über Prämien. Diese Gemeinwohlleistungen müssten ein Einkommensstandbein auf den Betrieben werden. „Als Unternehmer sollten Sie doch gucken, wo es eine Nachfrage gibt, und dann dafür produzieren. Das sollten Sie nicht liegen lassen, sonst wird es eng“, sagte der Wissenschaftler.
Seiner Einschätzung nach seien diese Gemeinwohlleistungen „keine Peanuts“. Er schätzt, dass sie etwa 30 bis 35 % des gesamten Produktionswertes der deutschen Landwirtschaft von 55 Mrd. € ausmachen. Das wären zwischen 16 und 20 Mrd. €.
Deutliche Kritik äußerte Grethe an der Agrarpolitik, diese fahre vor die Wand. Die Politik sei Getriebener von Volksbegehren, Gerichtsurteilen und Normenkontrollklagen. Die Vorschläge der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland sieht Grethe als Durchbruch, aber auch als letzte Chance. Jetzt komme es auf die Förderpolitik an. Es müsse gelingen, den Landwirten die höheren Leistungen zu honorieren und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu erhalten.