In den vergangenen Jahren hat die Landwirtschaft einen starken Wandel erlebt. Während den Verbrauchern früher vor allem die Qualität und Sicherheit der Lebensmittel wichtig war, wird heute die Art und Weise der Erzeugung viel stärker hinterfragt. Die Anforderungen an das Tierwohl sowie den Umwelt- und Klimaschutz sind enorm gestiegen, die Erzeugerpreise in der Regel nicht.
Wechsel nach 29 Jahren
Insofern waren die zurückliegenden Jahre arbeitsreich und spannend. Die bevorstehenden Zeiten bergen aber mindestens ebenso viele Herausforderungen. Da sind sich Fritz Schäfer aus Vöhl-Basdorf und Martin Vollbracht aus Diemelsee-Giebringhausen einig. Schäfer war von 1990 bis Ende 2019 Kreislandwirt von Waldeck-Frankenberg. Am 1. Januar hat der 66-Jährige das Amt an seinen bisherigen Stellvertreter Vollbracht (55) übergeben, der mit seiner Familie einen Milchviehbetrieb mit rund 80 Kühen bewirtschaftet. Neuer stellvertretender Kreislandwirt ist der 22-jährige Marcel Löwer aus Gemünden-Herbelhausen, der mit seiner Familie rund 150 Kühe melkt. Damit sind Jugend und Erfahrung gleichermaßen im Ehrenamt vertreten.
Um die zahlreichen Aufgaben und Termine des Kreislandwirts bewältigen zu können, muss die Familie mitziehen, wissen Martin Vollbracht und Marcel Löwer. Sie sind deshalb dankbar für die Unterstützung ihrer Angehörigen. Schließlich haben sie in den vergangenen Wochen gemerkt, wie viel Zeit der Job verschlingt. Zurzeit sind die beiden auf „Vorstellungstour“ in der Region und erläutern den verschiedenen Organisationen, Verbänden, Gremien und (politischen) Gruppen, was die Bauern umtreibt und Sorgen bereitet.
Diese konstruktiven Gespräche sind enorm wichtig, weiß Fritz Schäfer aus langjähriger Erfahrung: Ohne Verständnis beim Großteil der Bevölkerung wird es schwierig für die Bauernfamilien. Der Kreislandwirt fungiert hier als Brückenbauer. „Das Ehrenamt erfordert viel Zeit und Engagement, aber ich habe die Arbeit immer gern gemacht“, zieht er ein positives Fazit: Außerdem sitze das Ehrenamt informationstechnisch stets in der „ersten Reihe“. Das beinhalte eine besondere Verantwortung, mache die Aufgabe aber auch spannend und interessant.
Bewegte Zeiten
An Positiv-Entwicklungen fällt ihm die starke Milchviehhaltung ein, die das Landschaftsbild des Landkreises prägt: Von Mitte der 1980er-Jahre bis heute wurden in Waldeck-Frankenberg rund 250 moderne Boxenlaufställe gebaut. Zudem ist das Interesse der Jugend nach wie vor groß, freut sich Schäfer über kreisweit jährlich rund 15 neue Landwirtschafts-Azubis.
Es gab und gibt aber auch weniger schöne Erlebnisse, räumt Schäfer ein, der weiterhin das Amt des Kreisbeigeordneten und Dezernenten für Direktvermarktung und Verbraucherschutz bekleidet. Da war unter anderem die Schließung der Landwirtschaftsschulen in Frankenberg und Korbach sowie das Ende der Zuchtviehauktionen in der Kreisstadt. Viel Aufregung verursachte auch die BSE-Krise 2000/01, die das Vertrauen der Verbraucher in die heimischen Erzeugnisse schwer belastete.
Ton wird rauer
Damals begannen die Diskussionen um die „Agrarwende“, um Düngung, Pflanzenschutz und Tierhaltung. „Die Themen von heute sind also nicht neu“, erklärt Fritz Schäfer: Vielleicht sei ein Großteil der Verbraucher aber mittlerweile noch weiter weg von der realen Landwirtschaft. „Viele Mitbürger übertragen beispielsweise menschliche Bedürfnisse auf die Tiere“, hat Marcel Löwer bemerkt. Das führt unweigerlich zu Zielkonflikten. „Der Ton ist jedenfalls deutlich rauer geworden“, bedauert Martin Vollbracht, der hier mit einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit gegenhalten möchte. Man müsse wieder miteinander sprechen, nicht übereinander. Dann lassen sich für viele Dinge akzeptable Lösungen finden.
Die Landwirte seien grundsätzlich zu Veränderungen bereit. Bei der Umsetzung müsse den Bauern aber die notwendige Zeit eingeräumt werden und sie bräuchten die finanziellen Möglichkeiten für die Umgestaltung. „Wer Familienbetriebe will, muss auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen und nicht ständig strengere Regeln und Vorgaben aufstellen“, spricht der neue Kreislandwirt Klartext. Wenn auf Dauer gute heimische Erzeugnisse in den Regalen zu finden sein sollen, muss die Arbeit auf den Höfen zu schaffen sein und neben dem Tier-, Umwelt- und Klimaschutz muss auch die Betriebswirtschaft berücksichtigt werden. Auf welchem Weg das am besten zu erreichen ist, darüber könne man gerne diskutieren, auch wenn es vermutlich keine „einfachen Lösungen“ gibt.
Kreislandwirt als Bindeglied
Anders als in NRW mit seinem System der Landwirtschaftskammer ist der Kreislandwirt in Hessen Vorsitzender des Gebietsagrarausschusses (GAA). Dieser setzt sich vor allem aus Vertretern landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Organisationen zusammen. Der GAA beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Berufsausbildung, der Förderung und mit flächenbezogenen Planungen. Der Kreislandwirt wird für fünf Jahre an die Spitze des GAA gewählt. Er ist dann gewissermaßen das Bindeglied zwischen dem landwirtschaftlichen Berufsstand und der kommunalen Agrarverwaltung, dem Fachdienst Landwirtschaft. Dieser nimmt beispielsweise die EU-Flächenanträge an, kümmert sich um die Agrarinvestitionsförderung und nimmt Stellung bei landwirtschaftlichen Grundstücksgeschäften. Die Geschäftsführung des GAA liegt beim Leiter des Fachdienstes Landwirtschaft. In Waldeck-Frankenberg ist das seit 2016 Karlfried Kukuck. Zur Einordnung: Im gesamten Landkreis gibt es heute noch rund 2000 aktive Betriebe, von denen rund 500 überwiegend von der Landwirtschaft leben. 1990, beim Amtsantritt Schäfers, waren es noch 3300 Betriebe, von denen mehr als 1000 im Vollerwerb bewirtschaftet wurden.
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