In lockerem T-Shirt mit der Aufschrift „Troxel Dairy“ führt mich LuAnn Troxel über den in Nordwest-Indiana gelegenen Betrieb. „Es tut mir so leid, dass ich dir jetzt keine Kühe zeigen kann“, sagt sie wehmütig. Denn Kühe und Technik wurden im Oktober 2016 auf einer Auktion direkt auf dem Hof verkauft. Übergeblieben sind die Nachzucht sowie einige Bullen, die sie nun nach und nach verkaufen. „Danach ist Schluss“, sagt die Landwirtin. Zunächst haben sie darüber nachgedacht, die Ställe mit Jungvieh zu füllen. „Aber die Besitzer wollten zu wenig zahlen“, begründet sie die endgültige Entscheidung.
Ein schwerer Schritt
„Ist es euch schwer gefallen, die Milchviehhaltung aufzugeben?“, frage ich. „Ja, sehr schwer“, antwortet LuAnn nachdenklich. „Milchviehhaltung ist mehr als nur ein Job. Das ist eine Lebenseinstellung. Der ganze Tag ist nach den Tieren ausgerichtet. Mir fehlt das sehr.“ Sie erklärt mir in den Stallungen, wie die täglichen Arbeitsabläufe vonstattengingen. „Eigentlich müssten hier überall Kühe stehen“, sagt sie zwischendurch immer wieder. „Das alles hier ist so still.“ LuAnn vermisst am meisten den Trubel, den ein Milchviehbetrieb mit sich bringt. „Es kamen immer so viele Leute vorbei. Nachbarn, die geholfen haben, Futtermittelvertreter und viele andere.“
Zwei Stunden zuvor: Es ist ein warmer, sonniger Morgen, als ich auf dem Weg zum Ehepaar Troxel bin. Sie leben etwa 1,5 Stunden Autofahrt südöstlich von Chicago entfernt. Die beiden haben mich zum Frühstück auf ihre Farm eingeladen.
Den Kontakt stellte ich bereits in Deutschland her. Ich war auf der Suche nach Milchviehbetrieben, die ich während meines Amerika-Aufenthaltes besuchen kann. Ein Freund empfahl mir den Betrieb. Per Facebook schrieb ich: „Hey, ich bin Kirsten und ich würde gerne bei Ihnen vorbeikommen, um zu sehen, wie amerikanische Milchviehhalter leben und arbeiten.“ Die Rückmeldung von LuAnn kam schnell, war jedoch anders als erwartet: Sie antwortete, dass sie seit Oktober 2016 keine Kühe mehr haben, mir aber trotzdem gerne alles zeigen würden. Alternativ könnte sie Kontakt zu „wirklich interessanten Betrieben mit Kühen“ herstellen. Ich überlegte nicht lange und entschied mich, die Einladung anzunehmen. Denn 2016 gaben auch in Deutschland viele Milchviehhalter auf. Warum also nicht auch die amerikanischen Beweggründe für eine solche Entscheidung kennenlernen?
Kühe mit Herzblut
Die Hofstelle ist schon von Weitem zu sehen. Eine amerikanische Flagge weht im Wind, darunter weist ein Schild auf eine Tierarztpraxis hin. Ich bin erst verwundert, lese aber den Namen Troxel – hier muss ich richtig sein.
Barfuß, mit einem lockeren Dutt und einem breiten Lächeln öffnet mir LuAnn die Tür: „Herzlich willkommen, schön, dass du da bist.“ Ich trete von der Veranda in die Wohnstube ein. Die Einrichtung ist rustikal. An den Wänden hängen zahlreiche gemalte Kuhbilder. In der Küche begrüßt mich Dr. Thomas Troxel – er stellt sich mir als Tom vor. Auch hier: Kühe, so weit das Auge reicht. Als Porzellan-Milchausgießer im Schrank, als Figur auf der Fensterbank oder in gemalter Form an der Wand. Die Leidenschaft für die Schwarzbunten ist nur schwer zu verkennen.
Das Ehepaar führt die Farm in zweiter Generation. LuAnn ist 57 Jahre alt, Tom 62. Sie haben vier Kinder, die mittlerweile alle nicht mehr auf der Farm wohnen. „Unsere Kinder leben alle mit ihren Partnern zusammen. Sie haben gute Jobs“, erzählen sie mir.
Toms Eltern gründeten den Betrieb 1950 mit 24 Kühen. Als Tom noch zur Schule ging, erlitt sein Vater einen schweren Schlaganfall. Tom änderte seinen Stundenplan, sodass er Hofarbeit und Schule vereinbaren konnte. Zusätzlich kehrte sein älterer Bruder auf die Farm zurück. Nach der Schule begann Tom sein Tiermedizinstudium, das er 1981 mit Doktortitel abschloss. Er kam zurück auf den Betrieb, baute sich dort seine Tierarztpraxis auf und kaufte die Farm 1989. In Amerika ist es üblich, dass Betriebe nicht an die nächste Generation übergeben, sondern verkauft werden. Gemeinsam mit seiner Frau LuAnn und einigen Mitarbeitern stockten sie den Bestand von 24 auf zum Schluss 150 Kühe auf. Tom arbeitete zusätzlich die ganzen Jahre in Vollzeit als Tierarzt.
Hofnachfolger will nicht
Der große Küchentisch ist mit Tomaten aus dem eigenen Garten, süßem Toast, gebratenen Eiern mit Kartoffeln und Käse sowie selbst gemachtem Nachtisch gedeckt. Bei der zweiten Tasse Kaffee stelle ich die Frage, die mir unter den Nägeln brennt: „Und niemand wollte den Betrieb weiterführen?“, frage ich. „Doch. Unser Sohn Rudy hat Landwirtschaft in Kombination mit Pädagogik studiert. Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre in Mexiko, wo er seine heutige Lebensgefährtin kennenlernte. Die zwei haben vier Kinder.“ Rudy kehrte vor rund zehn Jahren gemeinsam mit seiner Frau zurück in die USA und unterrichtete in Teilzeit Spanisch und Landwirtschaft. Zusätzlich arbeitete er auf der Farm zu Hause. Nach drei Jahren entschloss er sich, in Vollzeit in den Betrieb einzusteigen. „Unsere Herde verbesserte sich, es lief gut“, erinnert sich LuAnn.
Nach vier Jahren nahmen die Dinge allerdings eine Wendung: Auch die amerikanischen Farmer hatten 2016 mit schlechten Milchpreisen zu kämpfen.
Niedrige Milchpreise
Die Molkerei zahlte ihnen zuletzt 29 Cent/kg Milch aus. „Das Arbeitspensum, die mangelnde Zeit für die Familie und die ungerechte Entlohnung brachten unseren Sohn letztlich zu der Entscheidung, einen Job bei einer Zuchtorganisation in Wisconsin anzunehmen“, erzählt LuAnn. „Für Tom und mich stand schnell fest, dass wir den Betrieb nicht weiterführen können und möchten, wenn es keinen Hofnachfolger gibt“, erinnert sie sich. Zu groß wäre die Arbeitsbelastung gewesen und das ohne eine realistische Zukunftsvision.
Tom arbeitet nach wie vor als Rinder-Tierarzt. Bis zu dem Tag, als die Kühe verkauft wurden, half er noch jeden Morgen im Stall mit, bevor er sich seinen Arztkittel überzog. „Unser Sohn konnte es nicht sehen, dass sein Vater immer noch so viel arbeitet. Auch das war ein Grund für ihn, nach Wisconsin zu gehen“, erklärt LuAnn. Die Bewirtschaftung der Flächen gaben sie komplett an einen Lohnunternehmer ab. „Obwohl die Entscheidung, die Milchviehhaltung aufzugeben, schwerfiel, können wir Rudy verstehen“, sind sich beide einig. „Es erfordert viel Einsatz, einen Milchviehbetrieb zu führen und die Bedingungen werden nicht einfacher.“
Während wir bei Kaffee und Saft beisammensitzen, klopft es an der Hintertür. Ein Herdenmanager ist gekommen, um Medikamente für seine Kühe zu holen. LuAnn und Tom verschwinden mit ihm im Keller. Ich folge den Dreien. Hier befinden sich das Medikamentenlager und das Büro des Veterinärs. Zahlreiche Auszeichnungen für Milchqualität und Milchleistung zieren die Wände – auch Bilder von Tom und LuAnn gemeinsam mit ihren Kühen. Die mittlere Milchleistung betrug 36 kg/Kuh und Tag. Der Herdenschnitt lag bei mehr als 13 000 kg.
„Hier unten sieht es immer sehr chaotisch aus“, sagt Tom entschuldigend. Jeden Tag nach dem Frühstück fährt er los zu Betriebsbesuchen. „LuAnn übernimmt die wichtigen Sachen. Sie packt die Utensilien für meine Tour zusammen und kümmert sich um die Büroarbeit“, erklärt er und fügt mit verschmitztem Lächeln in Richtung seiner Frau hinzu: „Stimmt’s, Honey?“
Die zwei sind ein eingespieltes Team. Der Nachbar ist mit Medikamenten versorgt und Toms Equipment im Pick-up verstaut. Während Tom als Tierarzt unterwegs ist, vertreibt sich LuAnn derweil anders die Zeit: „Ich habe angefangen, überall wo es geht, Blumen hinzupflanzen.“ Zusätzlich ist sie noch ehrenamtlich in einem Gremium für Frauen von Milchviehbetrieben aktiv.
Wie genau es mit dem Betrieb weitergeht, steht für das Ehepaar noch nicht fest. So wie es aktuell aussieht, wird von den Kindern in nächster Zeit niemand auf den Hof zurückkehren. Vorerst wird es wohl still bleiben auf Troxels Dairy Farm.
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