Historikerkommission

Unbequeme Wahrheiten: Die braunen Schatten des Landwirtschaftministeriums

Kein Bundesministerium war so stark von ehemaligen NSDAP-Leuten durchsetzt wie das Landwirtschaftsministerium. Das ist nur eines der Ergebnisse einer Historikerkommission, deren Bericht heute in Berlin vorgestellt wurde.

Es war der Tag vieler unbequemer Wahrheiten: Am heutigen Mittwoch nahm Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner aus den Händen des Historikers Horst Möller einen mehr als 800 Druckseiten umfassenden Bericht zur Geschichte des Hauses entgegen, insbesondere zu seinen Kontinuitäten vor, während und nach der NS-Zeit. Prof. Dr. Horst Möller, langjähriger Direktor des renommierten Instituts für Zeitgeschichte in München, hatte die hochkarätig besetzte siebenköpfige Historikerkommission geleitet, die in dreieinhalb Jahren die bis dahin nur wenig durchleuchtete und wenig rühmliche Geschichte des Bundeslandwirtschaftsministeriums erforscht hat.

Die nun vorliegende Studie, die in der kommenden Woche im Buchhandel erscheinen wird, reiht sich in das gute Dutzend ähnlicher Forschungsarbeiten ein, die seit 2005 die Kontinuitäten bundesdeutscher Ministerialbehörden zum "Dritten Reich" durchleuchten. Nach dem Auftakt, den vieldiskutierten Forschungen zum Auswärtigen Amt in der NS-Zeit, sind zahlreiche weitere Untersuchungen etwa zu den Bundesministerien für Justiz, für Arbeit, der Finanzen oder des Innern erarbeitet worden. Die Forschungen zu den Kontinuitäten im Kanzleramtes laufen derzeit, die über das Bundespräsidialamt wurden kürzlich aufgenommen.

Vom Ersten Weltkrieg bis zum Mauerfall

Zur Rolle des Landwirtschaftsministeriums in der NS-Zeit hatte bereits 2011 der Bamberger Historiker Andreas Dornheim ein erstes Gutachten vorgelegt. Die siebenköpfige Kommission, vom früheren Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt eingesetzt, hat nun einen inhaltlich wie zeitlich deutlich umfangreicheren Bogen geschlagen: von den Anfängen im Ersten Weltkrieg bis zum Mauerfall und zur Vereinigung 1989/90.

Über die eigentliche Kernfrage nach den NS-Kontinuitäten in der Ministerialbürokratie haben die Forscher unter anderem auch auf Themen geblickt wie

  • den Kampf gegen Hunger in Kriegs- und Krisenzeiten,
  • den Konflikt zwischen Marktlenkung und Liberalisierung sowie auf
  • die massive Prägung der NS-Agrarpolitik durch Blut-und Boden- sowie Rasse-Ideologie.

Klöcker zählte diese überaus starke ideologische Durchdringung und deren Folgen zu den „unbequemen Wahrheiten“, die die Studie offenlege. So sei das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft in der Zeit des NS-Regimes „eng eingebunden“ gewesen in die verbrecherische Siedlungspolitik im Osten und die Ausbeutung und Aushungerung besetzter Gebiete.

Hoher Anteil ehemaliger NSDAP- und SS-Mitglieder

Zu den unbequemen Wahrheiten zählte Klöckner auch, dass in den Nachkriegsjahren der Anteil ehemaliger Partei- und SS-Mitglieder im Vergleich zu anderen Ministerien der Bundesregierung sehr hoch gewesen ist. Nach Auswertung der Personalakten und anderer interner Dokumente kommen die Forscher zu dem Schluss, dass in der Zeit der Regierung Adenauer der Anteil der NS-belasteten leitenden Beamten stark gestiegen ist. 1950 war nur einer der fünf Abteilungsleiter in der NSDAP gewesen.* Acht Jahre später hatte sich das ins Gegenteil verkehrt: „Nun war einer von den nun sieben amtierenden Abteilungsleitern nicht der NSDAP beigetreten, und dabei blieb es bis 1970“, heißt es in der Studie.

Ein weiteres Ergebnis: Die Führungspositionen des Ministeriums vom Referatsleiter aufwärts, waren 1959 zu vier Fünfteln mit ehemaligen NS-Parteigenossen besetzt – in keinem anderen Bundesministerium war ihr Anteil so hoch wie im Landwirtschaftsministerium. Aber wirkte deshalb auch die "Blut- und Boden-Politik" weiter? Oder in den Worten des Historikers Horst Möller: „Agierten diese Beamten unter den fundamental veränderten Bedingungen des demokratischen Rechtsstaats und der parteienstaatlichen parlamentarischen Demokratie weiterhin nach den gleichen agrarpolitischen Prinzipien wie vor 1945?“

Die Historiker unterschieden unter anderem nach „funktionalen NS-Mitgliedern“, deren Fachwissen weiterhin dringend benötigt wurde, und nach ehemals hochrangigen Amtsträgern aus SS, SA oder Reichssicherheitshauptamt. Auch sie, so ergaben die Forschungen, konnten im Bundeslandwirtschaftsministerium erneut hohe und höchste Ränge einnehmen. Ein Beispiel: Noch Anfang der 1970er Jahre hat die Zentralabteilung des Bundeslandwirtschaftsministeriums in der Hand Hermann Martinstetters gelegen , vormals hochrangiges Mitglied der Allgemeinen SS. Wegen seiner NS-Vergangenheit hatte seinerzeit sogar das Innenministerium interveniert, trotzdem sei er befördert worden – „heute vollkommen undenkbar“, kommentierte die Ministerin Klöckner den Vorgang.

Ehemaliger SS-Mann wurde noch 1984 Staatssekretär

Ein anderes unrühmliches Beispiel verbindet sich mit dem Namen von Walther Florian: Das ehemalige Mitglied der allgemeinen SS wurde mit einem gefälschten Lebenslauf noch 1984, in der Zeit von Bundeskanzler Kohl und Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle, zum Staatsekretär berufen. Florian, so erläuterte Klöckner vor der Presse, habe seinerzeit nicht in die USA reisen dürfen, weil er als hochrangiger ehemaliger NS-Täter auf der Beobachtungsliste der USA gestanden habe.

Friedrich Kießling, Historiker an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, erinnerte bei der Vorstellung der Studie an eine weitere „unbequeme Wahrheit“: Demnach zählte das Bundeslandwirtschaftsministerium in den 1950er und 1960er Jahren zu den entschiedenen Gegnern der europäischen Einigung und der transnationalen Agrarpolitik. Klöckner kündigte indessen an, dass ihr Haus über geeignete Möglichkeiten nachdenken werde, die zentralen Ergebnisse der Forschungen einem größeren Publikum zu vermitteln.


* Die mit diesem Satz beginnende Passage enthielt in der ursprünglichen Fassung einen Wiedergabefehler und wurde nachträglich korrigiert.

Titelseite des Abschlussberichtes. (Bildquelle: De Gruyter Verlag)


Am kommenden Montag, 22. Juni 2020, erscheint der Abschlussbericht im Buchhandel unter dem Titel:

Agrarpolitik im 20. Jahrhundert - Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und seine Vorgänger. Herausgegeben von Horst Möller, Joachim Bitterlich, Gustavo Corni, Friedrich Kießling, Daniela Münkel und Ulrich Schlie. Verlag De Gruyter Oldenbourg, ISBN 978-3-11-065116-4, 818 Seiten, 80 Abbildungen, 39,95 €.

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