Kommentare der Presse

Tönnies: „Wenn wieder einer auf den anderen zeigt“

Pressestimmen zu den Corona-Infektionen im Schlachtunternehmen Tönnies und den Folgen

Der massenhafte Corona-Ausbruch im Fleischkonzern Tönnies schlägt sich selbstverständlich auch in den Kommentarspalten der Tageszeitungen nieder. Hier sind einige Pressestimmen der zurückliegenden Tage zusammengestellt:

Westfälischen Nachrichten (Münster)
„Die Leiharbeiter aus Osteuropa ­arbeiten dort, ebenso wie auch in ­anderen Großschlachtereien unter Bedingungen, die der Ausbreitung des Virus Tür und Tor öffnen. Hinzu kommt die Unterbringung in Sammelunterkünften, in denen sich der Einzelne gar nicht schützen kann. Eine Situation, vor der alle – Geschäftsleitung, Behörden und Politik – viel zu lange die Augen verschlossen haben.“

Südwestpresse (Ulm)
„Dass es in der Schlachtbranche massive Probleme gibt, ist seit Jahren bekannt. Viele Arbeiter aus Osteuropa schuften wie moderne Sklaven unter inakzeptablen Bedingungen. So recht anpacken wollte die Politik das Thema nicht. Gerade in Ländern wie NRW und Niedersachsen mit den großen Standorten war die Lobby sehr erfolgreich. Das rächt sich jetzt. Unternehmer scheinen nicht zu lernen, dass sie sich mit schlechten Arbeitsbedingungen nur selbst das Grab schaufeln.“

Neue Ruhr-Zeitung (Essen)
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zum Wohle der Allgemeinheit dienen. So einfach, so glasklar steht es im Grundgesetz. Clemens Tönnies, Milliardär, Großwildjäger, Bußgeld-Trickser und Chef eines Unternehmens, in dem Menschen zu Dumpinglöhnen Tiere schlachten, entbeinen und zerlegen, schert sich offenbar einen feuchten Kehricht um die Verpflichtungen, die ihm das Grundgesetz auferlegt. Er ist der Typus eines Feudal-Unternehmers, dem es nur um eines geht: die Vermehrung seines Reichtums, koste es was es wolle. Im konkreten Fall: die Gesundheit seiner Beschäftigten und möglicherweise auch die der Menschen im Kreis Gütersloh.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (Frankfurt)
„Hochmut kommt vor dem Fall: Das Tönnies-Stammwerk in Rheda-Wiedenbrück wurde zum bisher größten Hotspot in Deutschland. Nun gibt sich Tönnies zerknirscht, verantwortungsbewusst – und hat zwei Augenblicke später die Chuzpe, den Anspruch zu erheben, weiter mit über die Spielregeln zu bestimmen: ‚Wir werden diese Branche verändern, das steht fest.‘ Im Gegenteil. Es muss ohne ihn und Leute seines Schlages passieren.“

Rheinische Post (Düsseldorf)
„Erneut zeigt sich, wie schlecht es ums Krisenmanagement im Land bestellt ist. Zu spät, zu zögerlich, zu kraftlos agiert die Landesregierung. Was jetzt verkündet wurde, soll die Bevölkerung beruhigen, sorgt aber eher für Verunsicherung. Laschet hält sich wieder einmal alles offen. Bei dem sprunghaften Anstieg der Infektionen ist der Lockdown aber überfällig. Je länger die Landesregierung abwartet, desto größer ist die Gefahr, dass die Verbreitung der gefährlichen Lungenkrankheit kaum noch eingedämmt werden kann.“

WDR (Köln)
„Die Landesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie nicht schon früher eingegriffen hat, um die Missstände zu beseitigen. NRW-Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann von der CDU ist schon lange ein scharfer Kritiker der Zustände in der Fleischwirtschaft. Umso mehr wundert es, dass auch er sich zu lange auf Zusagen verlassen hat. Er hätte gewarntsein müssen. Die Fleischindustrie braucht ordentliche Arbeitsbedingungen und scharfe Kontrollen. Nicht nur in Corona-Zeiten.“

Neue Zürcher Zeitung (Zürich)
„Bisher hatten die Volksparteien bei Dumpingpreisen lieber weggeschaut, denn Billigfleisch erfreut sich in Deutschland großer Beliebtheit. Die Konsumenten haben sich daran gewöhnt, dass Fleisch oftmals weniger kostet als Gemüse. Die Bereitschaft, mehr Geld für Lebensmittel aus-zugeben, ist eher geringer als inden europäischen Nachbarländern. Nach Umfragen ist fast allen Deutschen artgerechte Tierhaltung zwar wichtig, in den Supermärkten greifen sie dann aber doch zum Billigfleisch.“

Süddeutsche Zeitung (München)
„Jeder in dieser Wertschöpfungskette hat aus seiner Sicht Gründe, um sein Verhalten nicht zu ändern. Über die Jahre hinweg haben alle zusammen und zum eigenen Schaden das Produkt Fleisch entwertet und zur Billigware gemacht. Um den Druck aus der Kette zu nehmen, müssen sich alle ändern. Verbraucher müssen bereit sein, mehr Geld für Fleisch zu zahlen, auch wenn das bedeutet, dass es seltener auf den Tisch kommt. Händler müssen höhere Erzeugerpreise akzeptieren. Fleisch muss mehr Wert haben. Die Fleischfabrikanten müssen dem Wohl von Mensch und Tier gerecht werden. Inakzeptabel wäre es, wenn nach dem jüngsten Skandal wieder einer auf den anderen zeigt. Dann bleibt alles, wie es ist, wie schon so oft.“