Herr Dr. Seegers, wie beurteilen Sie die Ergebnisse und die Inhalte der Sektorstrategie Milch?
Zum ersten Mal hat die Branche stufenübergreifend eine Strategie erarbeitet. Natürlich gab es dabei Interessenunterschiede. Deshalb bin ich mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Wir haben viele Ansatzpunkte aufgezeigt, um die Branche für die Herausforderungen der nächsten zehn Jahre zu wappnen. Selbstverständlich gibt es weitere Maßnahmen. Für den ersten Aufschlag war aber nicht mehr möglich. Und das meine ich gar nicht negativ. Jetzt kommt es darauf an, die Punkte zügig umzusetzen. Dafür müssen alle Beteiligten eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Je besser das funktioniert, desto leichter lassen sich künftig weitere Maßnahmen verhandeln.
Harte, aber konstruktive Diskussionen
Es gab neun Arbeitsgruppen und ein Lenkungsgremium. Wie war die Arbeitsatmosphäre?
Ich habe an den Sitzungen des Lenkungsgremiums teilgenommen. Hier wurde konzentriert und konstruktiv diskutiert. Alle Beteiligten hielten die Strategie für notwendig und wollten sie 2019 zum Abschluss bringen. Aus den Arbeitsgruppen habe ich die Berichte erhalten. Auch hier waren die Diskussionen hart, aber konstruktiv. Manchmal fanden sich Teilnehmer in den Berichten zunächst nicht hinreichend wieder. Es ist aber immer gelungen, diese Differenzen auszuräumen und einen Kompromiss zu finden. Am Ende konnten alle Teilnehmer die jeweiligen Berichte mittragen – außer der BDM. Seine Vertreter haben zwar konstruktiv mitgearbeitet. Dennoch blieben bei einigen Positionen unüberbrückbare Unterschiede. Die Gruppe hat dem BDM deshalb angeboten, seine abweichenden Punkte gesondert festzuhalten.
Bei welchen Themen gab es eine zügige Übereinkunft, bei welchen die heftigsten Diskussionen?
Immer dann, wenn jemand Drittes gefordert war, waren sich die Teilnehmer schnell einig. Beispielsweise bei den Forderungen an das Bundeslandwirtschaftsministerium, wie die Anpassungen bei der einzelbetrieblichen Förderung, dem Veterinärwesen oder bei den Direktzahlungen. Schwieriger waren die Gespräche, wenn eine Stufe zusätzliche Kosten oder Aufgaben übernehmen sollte, alte Strukturen abbauen bzw. neue errichten sollte. Dazu zählen die Themen Branchenkommunikation, Standardsetzung und Lieferbeziehung. Ganz schwierig war es bei ordnungspolitischen Grundsatzfragen, wie Branchenverband oder Molkereistruktur. Hier waren keine Kompromisse möglich.
Sektorstrategie ohne BDM
Warum ist der BDM kurz vor der Unterschrift ausgeschert?
Es war und ist allen Beteiligten wichtig, auch den BDM dabei zu haben. Da er einige Sonderpositionen vertritt, durfte der BDM als einziger Verband eine Protokollerklärung abgeben. Die Forderung nach einem Freibrief, bei der gemeinsamen Pressekonferenz die Strategie aushebeln zu können, war dann aber nicht mehr akzeptabel. Denn was das bedeutet hätte, hat der BDM auf seiner Pressekonferenz zur Grünen Woche gezeigt. Ich zitiere: „Die Strategie diene dem Zugriff auf Bauerngeld, dem Anzapfen von EU-Geldern und der Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen in der Claire-Waldorf-Straße“, also dem Haus der Landwirtschaft in Berlin. So eine Aussage möchte ich nicht weiter kommentieren.
Im Übrigen zweifelt der BDM am Sinn einer stufenübergreifenden Strategie und fordert zentrale Markteingriffe in Krisenzeiten, was aber nicht mehrheitsfähig war. Trotzdem empfehle ich, dem BDM anzubieten, weiter mitzuarbeiten.
Finanzierungsmodell aufstellen
Ein Kernelement ist der Aufbau einer „Nationalen Branchenkommunikation“. Was muss jetzt passieren, damit das gelingt?
Damit die Botschaften ankommen, braucht es erfahrungsgemäß eine breite finanzielle Basis. Die Branche sollte sich deshalb jetzt zügig auf ein Finanzierungsmodell verständigen. Ich könnte mir vorstellen, dass man dabei stufenweise vorgeht. Denn es muss auch noch ein fachliches Konzept entstehen. Man könnte also bei der Finanzierung zunächst etwas kleiner anfangen und dann aufstocken. Zudem muss die nötige organisatorische Struktur noch wachsen. Zu allen Themen laufen in der Branche bereits Gespräche. Ich bin zuversichtlich, dass es noch in diesem Jahr konkrete Vereinbarungen gibt.
Wie soll es mit dem Thema „Lieferverträge“ weitergehen?
Neue Milchlieferbeziehungen sind aus Sicht der Politik ein Kernbestandteil einer Branchenstrategie. Darauf hat Bundesministerin Julia Klöckner immer wieder hingewiesen. Vorgaben auf der Grundlage von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung sind ein denkbarer Weg. Das wollen die Teilnehmer aber nicht. Sie setzen stattdessen auf freiwillige Vereinbarungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien. Inzwischen gibt es dazu viele Varianten. Milcherzeuger und Molkereien können wählen.
Produktionsstandards setzen
Und beim Thema „Standardsetzung“?
Bei der Standardsetzung laufen Gespräche bei QM-Milch. Die Milchwirtschaft will aus eigener Initiative Produktionsstandards setzen. Das ist klug, denn ich halte es für problematisch, wenn andere Akteure wie der Lebensmitteleinzelhandel oder Nichtregierungsorganisationen dies aufdrücken. Hier ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe gefragt. Ich könnte mir auch vorstellen, den Handel als Mitglied mit allen Rechten und Pflichten bei QM aufzunehmen. QM könnte einen Basisstandard vereinbaren, an den sich alle halten müssen und der vielleicht sogar in den Lieferverträgen vereinbart ist. Darüber hinaus könnte es Premiumstandards geben, für die es dann Preisaufschläge gibt. Diese Standards müssten auf den Produkten zu erkennen sein. Zudem müsste die Branchenkommunikation diesen Mehrwert zu Tierwohl und Umweltschutz an die Verbraucher herantragen.
Wird Bundesministerin Klöckner zufrieden sein?
Das müssen Sie sie schon selbst fragen. Ich habe den Eindruck, dass sie die Branche auf einem guten Weg sieht. Besonderen Handlungsbedarf sieht sie bei den Lieferbeziehungen. Hier muss die Branche belegen, dass es auch hier maßgebliche Fortschritte gibt.
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