Ruhrgebiet: „Segen und Fluch“



Zentrales Thema im Ruhrgebiet ist der anhaltende Flächenverbrauch: Durch Wohn- und Gewerbegebiete, Straßenbauten und andere Planungen sowie die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gehen den Bauern im Revier jährlich 1.000 ha verloren.

Größter „Flächensünder“ ist die Stadt Dortmund. Im Stadtgebiet gibt es rund 6.000 ha LN, jedes Jahr sind es 100 ha weniger. Es gibt nur noch 110 landwirtschaftliche Betriebe. Etwa 1.000 ha befinden sich im Besitz der Stadt. Sie verpachtet ihre Flächen überwiegend mit einjährigen Verträgen. Das schafft Probleme.

Einjährige Pachtverträge

Landwirt Friedrich Mertin baut auf 50 ha Sonderkulturen an und betreibt einen florierenden Hofladen. Fünf Vollarbeitskräfte sind auf dem Betrieb in Grevel im Norden Dortmunds angestellt, in der Saison beschäftigen er und seine Mutter zudem bis zu 250 Erntehelfer. Mertin bewirtschaftet heute etwa 140 ha Acker. In den vergangenen Jahren hat er rund 40 ha städtisches Pachtland verloren. Um seine Produktion halten zu können, ist er auf Ersatz angewiesen. „Wir bewirtschaften inzwischen Flächen bis in Schwelm, die 50 km entfernt sind“, berichtete Mertin bei einem Pressegespräch (siehe Kasten) auf seinem Betrieb.

Urbane Landwirtschaft
Das neue Internetportal www.urbane-landwirtschaft.org soll Einblick in die Landwirtschaft der Metropole Ruhr geben. Es wird betrieben von der Landwirtschaftskammer NRW und dem Regionalverband Ruhr.

Das Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt zeigt bislang kaum Bereitschaft, den Landwirten längerfristige Pachtverträge anzubieten. Das Amt will jederzeit auf eigene Flächen zurückgreifen können, wenn sich ein Industriebetrieb ansiedeln möchte.

Doch die Pächter können nicht planen. Mertin baut seit etwa fünf Jahren Äpfel an. Die Investitionskosten pro ha (Pflanzgut, Pfähle, Draht, Einzäunung) bewegen sich im mittleren fünfstelligen Bereich. Mertin: „Das Kern­obst ernten wir mindestens 20 Jahre. Das geht nur auf einer Eigentumsfläche oder mit einem langfristigen Pachtvertrag.“

Brachen nutzen statt besten Acker opfern

Die Bauern ärgern sich darüber, dass bis zu 50.000 ha stillgelegtes Zechengelände und andere Brachen derzeit im Ruhrgebiet nicht reaktiviert werden und zum Teil vergammeln. Auf der anderen Seite wird bester Acker etwa im Norden von Dortmund für Ausgleichs­pflanzungen herangezogen. Karola Geiß-Netthöfel vom Regionalverband Ruhr (RVR) versteht den Unmut. „Wir müssten die Brachen reaktivieren, doch das kostet viel Geld. Wir führen Gespräche in Berlin. Wir fordern EU- und Bundesmittel für die Sanierung der oft mit Altlasten belasteten Brachen.“

Unter den heutigen Bedingungen können Bauernfamilien im Ruhrgebiet wohl nur überleben, wenn sie in Richtung Direktvermarktung marschieren. Mertin baut auf 3 ha Äpfel, 0,5 ha Himbeeren und über 40 ha Erdbeeren (teils in Folientunneln) mit modernster Technik an. Die Erdbeeren erntet er von Mitte April bis Oktober. Er vermarktet die Früchte an zehn Verkaufsständen, im Hofladen, er beliefert Direktvermarkter und stellt aus den überschüssigen Früchten Marmelade und Apfelsaft her.

Mertin: „Unser Standort ist Segen und Fluch zugleich. Die Nähe zu den Kunden ist ein großer Vorteil. Andererseits verlieren wir ständig Flächen. Deshalb muss guter Acker im neuen Regionalplan besser geschützt werden.“ Armin Asbrand