Unser Interviewpartner Heinrich Kammacher ist Bürgermeister der Samtgemeinde Kirchdorf.
Wochenblatt: Die Samtgemeinde Kirchdorf liegt abseits großer Städte, zur nächsten Autobahn fährt man 50 Minuten, der nächste IC-Bahnhof ist 40 Minuten entfernt. Klingt erst einmal nach einem Nachteil?
Für Unternehmen und Familien ist die Samtgemeinde gerade interessant, weil wir zwischen Ballungsräumen liegen. Vor Ort können ausreichend Arbeitskräfte generiert werden. Wir können unseren Familien Grundstücke zu sehr günstigen Preisen anbieten.
Und: Bürger und Firmen engagieren sich unglaublich für ihren Ort. Hier gibt es keine Landflucht, sondern die Identifikation mit dem eigenen Ort, mit der eigenen Familie oder mit dem eigenen Betrieb ist groß. Hier finden die Menschen ein ganzheitliches Paket.
Und ausreichend Arbeitsplätze?
Die Samtgemeinde Kirchdorf ist wirtschaftlich außerordentlich gut aufgestellt. Wir gehören zu den wenigen Gemeinden in Niedersachsen, die Abundant sind. Heißt, wir müssen in die Umlage einzahlen, weil die Steuerkraft so hoch ist. Unsere Handwerks- und Industriebetriebe stellen mittlerweile mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung, als Kinder geboren werden. Es müssen von außerhalb junge Leute in unsere Region kommen, damit die Betriebe fortgeführt werden können. Gerade bei den Handwerksbetrieben bekommen wir den Generationenwechsel hin.
Wie schaffen Sie das?
Wir haben frühzeitig die Weichen gestellt. Es geht nicht darum, dass ich in jeder kleinen Gemeinde alles vorhalte, sondern da wo ich es vorhalte, Qualität zu bieten. Wir brauchen nicht „den“ zentralen Ort. Die Bürger identifizieren sich mit ihrer Gemeinde und bringen sich ehrenamtlich ein. Eingesetzte kommunale Mittel können sich durch dieses Engagement oft verdoppeln.
Wie sieht dieser Ansatz in der Praxis aus?
Wir haben frühzeitig den Mut gehabt, aus vier Grundschulen eine zu machen. Diese ist dreizügig und bietet ein gutes Ganztagesangebot. Ansonsten hätten wir wieder zwei Klassen in einem Klassenverband unterrichten müssen, hätten zu wenig Lehrer und keine Schulleiter gehabt.
Gleiches bei den Oberschulen. Dort haben wir zwei getrennte Standorte zusammengeführt. Das haben wir lange und frühzeitig mit den Eltern diskutiert. Und das war auch der Schlüssel dafür, dass wir das Projekt gut hinbekommen haben. Einige Schüler müssen nun beispielsweise 14 km bis zum neuen Schulstandort fahren. Wir haben zusammen mit dem Träger der Schülerbeförderung und den Eltern die Linienführung so geplant, dass kein Kind vor einer halben Stunde vor Schulstart an der Bushaltestelle sein muss.
Wie viel Vorlauf braucht so ein Prozess?
Etwa zwei Jahre. Es sind nachher Detailfragen, die über die Akzeptanz entscheiden. Insgesamt haben wir 43 Veranstaltungen durchgeführt. Wir haben alle Sitzungen, die danach kamen, einstimmig gehabt, insgesamt gab es nur einen Leserbrief. Man muss ins Detail gehen und sich für jede Frage Zeit nehmen.
Wie ist es außerhalb der Schülerbeförderung um die Mobilität bestellt?
Jeder Bürger der Samtgemeinde soll jeden Bereich erreichen können. Wir stellen das mit einem Anrufsammeltaxi sicher. Ich kann das Taxi von Montag bis Freitag anrufen. Das kommt dann zu einem von vielen vereinbarten Punkten, die im Vorfeld mit der Bevölkerung entwickelt wurden, und bringt mich punktgenau zum Zielort – für pauschale 4 €.
Dafür haben wir im Haushalt 60.000 € jährlich eingeplant, monatlich finden über 300 Fahrten statt. Unser örtliches Taxiunternehmen übernimmt diese Fahrten und wird so auch wieder gestärkt.
Gerade die medizinische Versorgung stellt Landgemeinden vor immense Herausforderungen. Sie auch?
Es ist uns in den vergangenen Jahren gelungen, vier Ärzte anzusiedeln. Wir haben jetzt insgesamt sechs Allgemeinmediziner in der Samtgemeinde. Es läuft richtig gut.
Was können andere Gemeinden hier von Ihnen lernen?
Eine Anzeige zu schalten, ein Schild aufzustellen oder schlicht das Portemonnaie zu öffnen, halte ich für nicht zielführend. Wir schnüren ein ganzheitliches Paket – das hat uns sehr geholfen. Sprich: Was hat der Partner für eine Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu bekommen? Wo gibt es eine geeignete Immobilie? Wo ist für die Kinder eine Schule?
Richtig ist auch der Ansatz des Landkreises Diepholz: Es werden über Stipendien junge angehende Mediziner unterstützt, um langfristig den einen oder die andere in der Fläche zu halten.
Vielerorts klagen Gemeinden über wegbrechendes Engagement. Merken Sie das auch?
Wir haben 85 Mandatsträger in den sechs Mitgliedsgemeinden und im Samtgemeinderat. Bei uns ist jeder 100. Bürger irgendwo in der politischen Entscheidungsfindung mit dabei. Dadurch haben wir relativ wenig Bürgerproteste.
Wir stellen aber auch fest, dass man Ehrenamt und ehrenamtliche Arbeit nicht überborden darf. Menschen engagieren sich zunehmend zeitlich befristet. Sie bleiben nicht mehr über Generationen in einem Verein. Das ist vorbei und ist auch eine Gefahr. Denn: Unsere Infrastruktur in der Samtgemeinde wird weitestgehend durch Ehrenamt getragen. Hier müssen wir genau hinschauen und uns womöglich auch von der einen oder anderen Infrastruktur verabschieden.
Was wäre das beispielsweise?
Schon jetzt werden nicht alle Sportplätze mehr genutzt. Wir haben einen Sportplatz schon aufgegeben. Da ist jetzt eine Blühwiese.
Wie kommt die Samtgemeinde durch die Corona-Zeit?
Bisher ganz gut. Derzeit sind wir Corona-frei. Wir haben sehr viele Saisonarbeitskräfte, da wir viele Sonderkulturbetriebe haben. Wir haben mit dem Landkreis zusammen die Betriebe aufgesucht und uns die Hygienekonzepte angeschaut. Hier gilt es, genau hinzuschauen.
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