Vorweg sei gesagt: Die allermeisten Kommentatoren der regionalen und überregionalen Zeitungen bringen viel Verständnis für den Unmut der Landwirte auf. Für Unterschiede in der Bewertung sorgt vor allem die Frage nach Lösungsvorschlägen.
Verbreitete Doppelmoral
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt zu den Demonstrationen in NRW und Berlin: „Die Bauern leiden an der weit verbreiteten Doppelmoral. Die Vorstellung vieler Städter von der Lebensmittelproduktion auf dem Land entspricht dem Idyll aus Bauernhof-Kinderbüchern, nicht aber der Wirklichkeit. Mit dieser konfrontiert, fordern viele ein Ende von industrieller Fleischproduktion und großflächigem Einsatz von Pflanzenvernichtungsmitteln. Aber nur wenige sind bereit, selbst einen Beitrag zu leisten – etwa indem sie weniger Fleisch essen oder mehr Geld für Lebensmittel ausgeben.“
Was Bauern eigentlich tun
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erläutert: „Landwirte bilden in manchen Orten schon Selbsthilfegruppen, um zu erklären, was sie eigentlich tun – und dass sie keine Verbrecher sind. Ganz offensichtlich ist der Alltag vieler Höfe nicht mehr das, was Parteien, Verbände und insgesamt die Gesellschaft dafür halten. Konventionell wirtschaftende Bauern sehen sich zu Tätern gestempelt, die ,Agrargift‘ ausbringen und Tierquälerei betreiben. Das Wort ,Chemie‘ reicht, um Fachleute zu denunzieren. Dagegen wird eine Welt verherrlicht, in der alles regional, genügsam, neutral und ursprünglich ist. Ausgeblendet werden dabei Preisdruck, Globalisierung und die Chancen von Innovation.“
Auf dem Land habe sich „ein explosiver Stimmungsmix“ zusammengebraut, meint „Die Welt“ und fährt fort: „Existenzangst, immer neue Regeln und Einschränkungen, Bürokratie und Respektlosigkeit sind seine Bestandteile. Da werden Tierzüchter zu Tierquälern gestempelt, und wer sein Feld konventionell bearbeitet, muss sich Vorwürfen erwehren, er vergifte Natur und Grundwasser. Es ist ein Zerrbild der Landwirte, die durchweg verantwortungsvoll mit Flächen und Tieren umgehen – schon aus Eigeninteresse. Es sind schließlich ihre Produktionsmittel. Mehr Respekt für die Bauern bitte! Sie haben ihn verdient.“
Mehr Wertschätzung für die Bauern bedeute aber nicht, sich der Probleme zu verweigern, so die „Welt“ weiter: „Seit Jahren ist zu viel Nitrat im Grundwasser, da hilft Wegschauen nicht. Dauerhafte Grünstreifen für Insekten und andere Kleintiere als Oasen in immer perfekter gestylten Agrarsteppen wären gut für alle, die die Natur lieben – Bauern eingeschlossen.“
„Falsche Forderungen“
Die „Süddeutsche Zeitung“ spricht von einer „beeindruckenden Demonstration“ und wertet sie als Zeichen, dass sich viel Frust aufgestaut habe. Allerdings, so die „SZ“, seien die Bauern mit den falschen Forderungen nach Berlin gezogen:„Anstatt mehr Geld für umwelt- und klimafreundliches Wirtschaften auf Äckern, Feldern und in Tierställen zu fordern, beharren sie darauf, dass möglichst alles so bleibt, wie es ist. Nicht sie selbst sehen sich in der Pflicht zu handeln und sich anzupassen, sondern vor allem Politik, Verbraucher und Handel. Nach echter Dialogbereitschaft sieht das nicht aus.
Inakzeptabel ist, wie die Wortführer des Netzwerks ,Land schafft Verbindung‘, die den Auftritt in Berlin organisiert haben, die gewaltigen Herausforderungen der Zukunft verharmlosen. Was die Erzeuger brauchen, ist mehr finanzielle Unterstützung für umweltschonende Leistungen. Ihnen ist nicht damit geholfen, wenn umstrittene Düngeregeln aufgeweicht und ein hoher Pestizideinsatz aufrechterhalten wird. Wer weniger Gülle auf Felder schüttet und weniger Tiere hält, die dafür aber mehr Lebensraum bekommen, muss dafür entlohnt werden.“
Was bringen die Aktionen?
Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ fragt skeptisch: „Was bringen die Aktionen? Außer imposanten Bildern von Treckerfuhrparks recht wenig. Und das wird sich kaum ändern. Denn die Politik, Hauptadressat des Unmuts, hat keinen Bewegungsspielraum: Beim Grundwasser hat Berlin die Regelwächter der EU im Nacken, beim Umbau der Schweinehaltung die Gerichte. Die Branche selbst ist über die weitere Ausrichtung tief gespalten. In Berlin hieß es zwar: alle für einen. Aber zurück auf den Höfen gilt wieder: jeder gegen jeden. Die Landwirtschaft müsste aus sich heraus eine Idee entwickeln, wie es weitergehen soll.“
„Die Bauern“ als homogene Gruppe gebe es nicht, meint auch der Deutschlandfunk. „Die wirtschaftliche Lage ist von Hof zu Hof völlig unterschiedlich. In Berlin fuhren kleine und mittelgroße Bauern genauso auf wie durchindustrialisierte Agrarunternehmer. Die meisten erhalten pro Jahr nur ein paar Tausend Euro aus Brüssel. Die Größeren können auf mehrere Zehntausend, manche auf 100.000, 200.000, 300.000 € oder mehr zählen.
Möglich macht es ein System, in dem die Höhe der Subventionen von der Hektarzahl des Betriebes abhängt – ohne dass diese an besondere Umweltauflagen gebunden wären. Ob dieses System weitergeführt oder umgebaut wird, gar mit Obergrenzen für die Großempfänger: Diese Entscheidung steht im Europäischen Parlament und zwischen den EU-Regierungen an. Ein Umbau hin zu mehr Schutz der Natur, des Grundwassers, der Stalltiere und des Klimaschutzes würde dieses Fördersystem zukunftsfähig machen. Im Interesse der Mehrheit der deutschen Landwirte wäre er allemal.“
Geht das „ins Abseits“?
Die „tageszeitung“ (taz) aus Berlin hat offenbar keine guten Erfahrungen mit den Organisatoren der Demonstration gesammelt: „Journalisten stellen kritische Fragen. Damit haben die Initiatoren von ,Land schafft Verbindung‘ offenbar ein Problem. Wie lässt sich sonst erklären, dass sie für ein Interview mit der ,taz‘ ,keine Zeit‘ haben, aber sehr wohl für einen stundenlangen Dreh des staatlichen Propagandasenders ,Russia Today‘, der mehrmals durch eklatante Falschmeldungen aufgefallen ist? ,Land schafft Verbindung‘ läuft ins Abseits. Im Bundestag werden ihre Forderungen in ihrer Gesamtheit nicht einmal mehr von den traditionellen Bauernparteien CDU/CSU unterstützt, sondern nur noch von der AfD. Diese Radikalität könnte die Landwirte teuer zu stehen kommen. Es gibt nur noch 270.000 von ihnen – Tendenz: fallend.“
Auch der „Merkur“ aus München blickt kritisch auf das Verhältnis von Landwirten und Politik: „Gerade von der CSU, ihrer einstigen Schutzmacht, fühlen sich die Landwirte im Stich gelassen, seit die Staatspartei im Ringen mit den Grünen vorwiegend die hippen städtischen Milieus umwirbt. Es stimmt: Dort sind viele Wählerstimmen zu holen. Doch was, wenn sich die Bauern, wofür es Anzeichen gibt, anderen Parteien zuwenden? So wie Polizisten und Soldaten und auch immer mehr Mittelständler? Die Union hat schon zu viele wichtige Gruppen verloren. Zusammen sind auch sie eine Macht.“
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