"Viele meiner Berufskollegen ärgern sich über den Prüfdienst. Doch sie befürchten neue Nachteile, wenn sie die Landwirtschaftskammer kritisieren.“ Das sagt Dirk Tönges. Der Nebenerwerbslandwirt hat Bundes- und Landespolitiker sowie Kammerdirektor Dr. Martin Berges um Hilfe gebeten. „Die überzogenen Kontrollen führen doch nur dazu, dass wir einzelne Flächen in Zukunft nicht mehr bewirtschaften. Dann wächst eben alles zu.“
Der Hintergrund
Sandra und Dirk Tönges bewirtschaften in Bad Berleburg-Girkhausen einen Hof mit 70 ha im Nebenerwerb. Vor 15 Jahren stellten die Eheleute, die früher auch einen Gasthof mit Ferienwohnungen betrieben, um auf biologische Wirtschaftsweise. Sie bauten einen Laufstall (60 Plätze) nach Öko-Kriterien. Seit 2014 mästet Tönges nur noch Biorinder (Limousin, Fleckvieh) mit Grassilage und Heu.
Dirk Tönges, 52, ist Elektromeister. Er arbeitet hauptberuflich beim Stromnetzbetreiber Westnetz. Ihren Hof haben die Eheleute (zwei erwachsene Töchter) so organisiert, dass sie die Arbeit schaffen und zweitens Geld verdienen. Das ist in dieser benachteiligten Region nicht einfach. Tönges: „Wir bewirtschaften 80 Schläge in einer Höhe von 550 bis 800 m, teils in engen, schiefen Tälern.“
Ein Betrieb in dieser Lage kann ohne Milchvieh nur existieren, wenn eine Familie die vom Staat angebotenen Prämien optimal nutzt. Als Biobetrieb erhält Tönges derzeit Prämien aus fünf Fördertöpfen: die EU-Direktzahlungen (etwa 300 €/ha), die Ausgleichszulage (benachteiligtes Gebiet) sowie die Öko-Flächenprämie (220 €/ha). Rund ein Viertel seiner Fläche hat Tönges zudem bei den Kulturlandschaftsprogrammen der Kreise Siegen-Wittgenstein und Hochsauerlandkreis angemeldet (KULAP-Flächen). Zusätzlich bewirtschaftet er Grünland extensiv bei Winterberg, das nach dem LIFE-Programm gefördert wird.
Tönges achtet penibel auf die Auflagen, die er als Biobauer und beim Vertragsnaturschutz einhalten muss: erste Mahd ab 1. Juli, Beweidung mit maximal zwei Großvieheinheiten je Hektar, kein Mineraldünger usw. „Wir arbeiten vertrauensvoll mit den Mitarbeitern der Unteren Naturschutzbehörden und Biostationen und der Kreisstelle der LWK in Meschede zusammen. Es hat noch nie Ärger gegeben“, erzählt der 52-Jährige.
Mängelliste der Prüfer
Am Montag, 2. September 2019, meldete sich ein LWK-Mitarbeiter bei der Familie. „Sie wurden zu einer Vor-Ort-Kontrolle ausgelost. Wir kommen morgen.“ Tönges schluckte: „Schon wieder unser Betrieb? Warum sind wir denn jedes Jahr dran?“ Zum angekündigten Termin hatte der Landwirt keine Zeit. „Dann eben ohne mich. Bei der Abschlussbesprechung will ich aber dabei sein“, teilte der Biobauer den Prüfern mit.
Das Abschlussgespräch fand dann, nachdem die zwei Prüfer alle Flächen des Hofes per GPS-Tracker nachgemessen hatten, am Freitag, dem 13. September, im Wohnzimmer der Familie statt. Dabei ging es „frostig“ zu. Denn Tönges war mit einigen Feststellungen der Prüfer aus dem Kreis Coesfeld nicht einverstanden: Von den 70 ha hatten die Prüfer 2,3 ha bzw. 3,2 % von der beihilfefähigen Fläche abgezogen. Folge: Ab 3 % Abzug droht eine Sanktion. Statt 3,2 % werden dann 6,4 % von der Prämie einbehalten.
Auf einer Weide hatten die Prüfer eine feuchte Mulde herausgemessen („nicht förderfähig“). In der Mulde, direkt am Bach gelegen, wuchsen neben Gras auch Brennnesseln und das Japanische Springkraut. Tönges: „Die Fläche ist nicht befahrbar. Nach der ersten Beweidung hatte ich sie mit der Motorsense ausgemäht. Bei der Kontrolle im September war sie wieder zugewachsen. Wie soll ich als Biobauer Brennnesseln und ein fremdländisches Gewächs wirksam bekämpfen?“ Die Prüfer wussten keine Antwort.
In einer anderen KULAP-Fläche befand sich ein Graben. Darin wuchsen verschiedene Kräuter, die für die Feuchtwiesen in dieser Höhenregion typisch sind. Darunter waren auch Binsen. „Das ist kein Grünland, es wächst zu wenig bzw. gar kein Gras“, meinten die Prüfer und strichen die Fläche. Doch im Nachbarort war gerade ein junges Rind durch Blitzschlag getötet worden. Bei der Untersuchung in der Tierkörperbeseitigungsanstalt in Lünen stellten die Tierärzte fest, dass sich in dessen Vormägen teils Binsengras befand.
Bei einer anderen Weide monierten die Prüfer fehlendes Gras am Rand unter Fichten. Wildschweine durchwühlen regelmäßig diese und andere Bereiche. Tönges: „Es ist richtig, dass hier nach zwei Jahren Trockenheit kaum Gras wächst, was mich selbst ärgert. Fällt normaler Regen, sind die Ränder und Böschungen grün und mit Gras bewachsen.“
Auf der Bergwiese in Winterberg zogen die Prüfer Kahlflächen ab. Es handelt sich um eine Waldumwandlung (LIFE-Projekt), auf der eine spezielle Grasmischung ausgesät worden war. Weil es im Sommer 2019 kaum geregnet hatte, war der Samen nicht aufgegangen. Tönges: „Jetzt dreht uns der Prüfdienst auch noch wegen der Witterung einen Strick.
Geht’s noch ...?“
Mit Pkw auf den Flächen Aber noch etwas brachte den Biobauern in Rage. Bei ihrer Kontrolle befuhren die Prüfer zahlreiche Flächen des Landwirtes mit ihrem Dienstwagen ab. Tönges: „Anfang September war es noch einmal gewachsen. Hätten die Prüfer bei der Futterknappheit die Flächen nicht zu Fuß abgehen können?“
Nach dem Abschlussgespräch am 13. September wartete Tönges auf den schriftlichen Abschlussbericht des Prüfdienstes. Der aber kam und kam nicht. Deshalb wandte er sich am 6. Oktober 2019 per E-Mail an Kammerdirektor Dr. Martin Berges. Darin fordert er mehr Fachkompetenz und Fingerspitzengefühl der Prüfer. Zumal der NE-Landwirt in der Zwischenzeit Rückendeckung von der Biostation Siegen-Wittgenstein, der LWK-Kreisstelle in Meschede, der Unteren Naturschutzbehörde des Hochsauerlandkreises und seinem WLV-Kreisverband erhalten hatte.
„Wir können nicht nachvollziehen, warum der Prüfdienst den Dauergrünlandstatus bestimmter Flächen aberkannt hat“, heißt es in einer Stellungnahme von Sabine Portig und Michael Frede von der Biostation. Erst 19 Tage später, am 25. Oktober, wies LWK-Bereichsleiter Burkhard Ulonska die Beschwerden des Biobauern zurück. Der Kammerexperte riet Tönges, die Problematik erneut mit der LWK-Kreisstelle in Meschede zu besprechen. Marcus Cramer von der Kreisstelle tat die Option auf, zwei kleine Flächen des Landwirtes in Medebach und Girkhausen im Beihilfeantrag umzucodieren, und zwar von 459 (Dauergrünland) in Code 583. Damit würde Tönges wieder unter die 3%-Grenze rutschen, womit zumindest die Sanktionierung (doppelter Abzug) weg wäre.
Prüfer aus der Region
Der Biobauer ist damit jedoch nicht zufrieden. Er fordert grundsätzliche Änderungen bei den Vor-Ort-Kontrollen: „Die Prüfer sollten aus unserer Gegend kommen, wie dies vor Jahren bereits der Fall war. Sie kennen die Verhältnisse vor Ort am besten. Dann wäre dieser Streit erst gar nicht entstanden.“
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