Flächenfraß

NRW verliert täglich 23 ha Agrarland

Der Flächenfraß geht unaufhaltsam weiter, verschiebt sich aber: Mehr Flächen für Gehölze, weniger ­Flächen für Siedlung und Verkehr.

Im Schnitt verlor der Agrarsektor in NRW im Jahr 2018 täglich 23 ha land- und gartenbauliche Nutzfläche. Dies entspricht der Fläche eines landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebes oder vergleichsweise der von 32 Fußballfeldern. Seit 2014 belief sich der durchschnittliche tägliche Flächenfraß auf mehr als 20 ha, dagegen waren es von 2009 bis 2013 „nur“ etwa 13 ha. Markant ist die seit 2014 deutliche Zunahme der Gehölzflächen, die im letzten Jahr um fast 17 ha täglich zulegten. Siedlungs- und Verkehrsflächen breiteten sich mit etwa 6 ha täglich aus.

Entwicklung der Flächen in NRW. (Bildquelle: Landesbetrieb Information und Technik NRW)

Die Vergleichbarkeit mit früheren Zahlen ist eingeschränkt, da sich ab 2016 die Zuordnung der Flächenkategorien geändert hat. Zur Darstellung mehrjähriger Entwicklungen hat die Landwirtschaftskammer aber die Landwirtschafts- und Waldfläche früherer Erhebungen nach neuer Systematik umgerechnet.

47 % für die grüne Branche

Die Bodenfläche NRWs unterteilt sich in vier Hauptnutzungsarten: Siedlungs-, Verkehrs-, Vegetations- und Gewässerflächen. Das Bundesland hat 3,4 Mio. ha Boden, davon sind etwa drei Viertel als Vegetationsfläche und etwa 24 % als Siedlungs- und Verkehrsfläche ausgewiesen. Der tatsächlich „nutzbare“ land- und gartenbauliche Boden ist als Landwirtschaftsfläche der Vegetation zugeordnet.

Mit 1,6 Mio. ha nimmt die Landwirtschaftsfläche knapp die Hälfte (47%) des NRW-Bodens ein. Darin enthalten sind Acker- und Grünland, Gartenland, Wein- und Obstbauflächen sowie Brache. Nach „alter“ Systematik (bis 2015) umfassten land- und gartenbaulich genutzte Böden etwa 98% der Landwirtschaftsfläche, was nach Erfahrungswerten auch aktuell noch zutrifft. Im Durchschnitt der letzten fünf Jahre reduzierte sich die Landwirtschaftsfläche um täglich 20,6 ha.

Bei Übertragung dieses Flächenschwundes auf die Zukunft stünde in etwa 215 Jahren kein Grund und Boden mehr als Ernährungsgrundlage in NRW zur Verfügung. Legte man den beschleunigten Flächenfraß aus 2017 und 2018 zugrunde, wäre die nutzbare Fläche bereits in deutlich weniger als zwei Jahrhunderten zugunsten einer anderweitigen Nutzung verschwunden. Vergleichsweise verminderte sich die land- und gartenbauliche Fläche bundesweit 2017 um täglich 126 ha. Nach Thüringen (täglich 42 ha!) lag NRW mit knapp 24 ha Verlust ganz weit vorne.

Unland und vegetationslose Fläche beanspruchte als Teil der Landwirtschaftsfläche in NRW 2018 zwar lediglich 0,5% der Landesfläche, legte jedoch täglich um fast 5 ha zu. Gewässer beanspruchten 1,8% des Landes, sie verminderten sich jeden Tag um 2,5 ha.

Gehölze auf dem Vormarsch

Die in der Statistik nicht dem Wald zugehörigen Gehölze sind der Vegetationsfläche zugeordnet. Gehölze umfassen Naturräume, die mit einzelnen Bäumen, Hecken und Sträuchern bepflanzt sind. Im Wesentlichen zählen hierzu Aufforstungs- und Ausgleichsmaßnahmen, die in den letzten zehn Jahren rasant zunahmen.

Während die Gehölzfläche NRWs 2008 bei 21.560 ha lag, betrug sie am 31. Dezember 2018 etwa 54.600 ha. Sie legte in zehn Jahren um 153% zu. Ihr Anteil an der Landesfläche NRWs ist mit 1,6% zwar vergleichsweise gering, ihre Zunahme jedoch sehr auffällig.

Einen deutlich höheren Anteil von etwa einem Viertel der NRW-Fläche machte der Wald mit etwa 850.000 ha aus. Hierzu gehören Laub-, Nadelhölzer sowie der Misch­wald. In den letzten drei Jahren nahm deren Gesamtumfang hierzulande etwas ab, dagegen in den früheren Jahren 2009 bis

2012 deutlich zu, was saldiert zu einem Plus von etwa 7% in zehn Jahren führte.

Weniger Fläche für Verkehr

Siedlungs- und Verkehrsflächen umfassen im Wesentlichen bebaute, öffentlich genutzte Flächen (beispielsweise Sport-, Freizeit- und Erholungsflächen) sowie den für Straßenverkehr genutzten Boden. Sie nahmen im letzten Jahr um 5,7 ha täglich zu. Zum Vergleich: 2017 war das tägliche Plus mit 6,4 ha etwas höher, demnach ist aktuell eine leicht sinkende Tendenz erkennbar.

Den höchsten Bedarf von Boden in der Siedlungs- und Verkehrsfläche stellten die Katasterämter bei den Sport-, Freizeit- und Erholungsflächen (täglich 5,5 ha) fest.

Die Siedlungsfläche umfasste Ende letzten Jahres etwa 565  800 ha und nahm 16,6% der Landesfläche ein. 43% dieser Siedlungsflächen beansprucht der Wohnungsbau, dessen Flächenbedarf wie im Vorjahr um täglich 1,4 ha wuchs.

Die Verkehrsflächen umfassten 7% der Bodenfläche NRWs und sanken täglich um 1,4 ha. Diese Abnahme ergibt sich aus einem moderat abnehmenden Bodenbedarf für Straßenflächen insgesamt, Verkehrsplätze sowie Bahn-, Flug- und Schiffsverkehr. Der Straßenverkehr und sonstige Wege machten fast 90 % der Verkehrsfläche aus. Insgesamt betrachtet handelt es sich bei Siedlungs- und Verkehrsflächen keineswegs um eine ausschließliche Flächenversiegelung, da beispielsweise auch Gärten und Erholungsflächen darin enthalten sind.

Regional einheitlicher Trend

Die Abnahme nutzbarer Böden für Landwirtschaft und Gartenbau, ­eine im Rheinland stagnierende bzw. leicht abnehmende Waldfläche in Westfalen, eine deutliche Zunahme der Gehölze und die Ausweitung der Siedlungs- und Verkehrsflächen skizzieren die Entwicklung in den Landesteilen. Fast zwei Drittel der 2018 schrumpfenden Nutzfläche entfielen auf die Region Westfalen-Lippe. In den rheinischen Regierungsbezirken betrug die Landwirtschaftsfläche jeweils etwa 44% des Bodens, während die Anteile im westfälischen Münster (60%) und Detmold (55%) höher ausfielen.

Dagegen zeichnete die Arnsberger Landwirtschaftsfläche lediglich einen 35%igen Anteil an der Gesamtfläche dieser Region. Hier fällt auf, dass die Wald- und Gehölzflächen die landwirtschaftliche Nutzfläche um mehr als 63.200 ha übersteigen. Im westfälischen Steinfurt nahm die Landwirtschaftsfläche um 5200 ha innerhalb der letzten zehn Jahre am stärksten ab, was ­einem täglichen Verlust von 1,4 ha entsprach. Es folgt der rheinische Kreis Wesel mit 1 ha täglich (–3570 ha innerhalb von zehn Jahren) sowie das westfälische Gütersloh mit knapp 1 ha täglich (–3320 ha). Mit einem moderateren Verlust von weniger als 300 ha Landwirtschaftsfläche kamen die Westfalenkreise Olpe, Ennepe-Ruhr und Siegen-Wittgenstein davon.

Verlust in Westfalen-Lippe (Bildquelle: Landesbetrieb Information und Technik NRW)

Flächenfraß eindämmen!

Landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betrieben wird in einem rasanten Tempo der essenzielle Produktionsfaktor Boden und somit die Existenz entzogen. Die ­Unternehmen sind jedoch infolge einer verschärften Düngeverordnung insbesondere in Inten­siv­regionen so stark wie niemals zuvor auf nutzbare Acker- und Grünlandflächen angewiesen.

Scheinbar tummeln sich verstärkt außerlandwirtschaftliche Interessenten auf den Bodenmärkten, die in dem knappen Gut in Zeiten extrem niedriger bzw. fehlender Zinsen eine sichere Anlagemöglichkeit sehen. Durch die Konkurrenz um Land nehmen Pacht- und Kaufpreise Ausmaße an, die mit Ackerbau und Viehhaltung kaum noch zu erwirtschaften sind. Auch von politischer Seite gab es im neuen Landesentwicklungsplan NRW mit Aufgabe des 5-ha-Zieles beim Flächenverbrauch einen Dämpfer.

Projiziert man den aktuellen Flächenverbrauch auf die Zukunft, wird der Agrarbranche in NRW nach etwa drei bis vier weiteren Generationen kein Land mehr für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen. Ein weiterer, unaufhaltsamer Flächenverbrauch bedeutet zudem ­einen unumkehrbaren Verlust wichtiger Ökosysteme. Die verantwortlichen Akteure unserer Gesellschaft sind im Sinne der aktiven Landbewirtschafter mehr denn je gefragt, intelligente Lösungen zur Eindämmung des Flächenfraßes herbeizuführen.

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