Diskussion um Tierwohllabel nimmt Fahrt auf

Nachdem Lidl einen "Haltungskompass" für Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken angekündigt hat, hat auch die Diskussion um das staatliche Tierwohllabel wieder Fahrt aufgenommen. Die einzelnen Parteien sind sich dabei alles andere als einig.

Die Diskussion um eine Haltungskennzeichnung für tierische Erzeugnisse ist erneut hochgekocht. Den Anlass dafür bot die Ankündigung des Lebensmitteldiscounters Lidl, Frischfleischprodukte seiner Eigenmarken jetzt mit einem mehrstufigen „Haltungskompass“ auszuzeichnen. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner warnte davor, die Verbraucher zu überfordern.

Parteienstreit

„Ich will ein staatliches Tierwohllabel einführen, das Verbrauchern eine klare Orientierung gibt“, erklärte die Ministerin gegenüber Agra-Europe. Sie wolle die Verbraucher informieren, unter welchen Bedingungen Tiere gehalten worden sind. Verbrauchern sei es wichtig zu wissen, wo ihr Fleisch und ihre Wurst herkommen. Sie entschieden an der Kasse mit, was ihnen Tierwohl wert sei. „Das staatliche Label muss klar, wahr und verlässlich sein“, betonte Klöckner.

Während die CDU-Politikerin offenbar weiter auf ein freiwilliges Label setzt, geht der Koalitionspartner weiter. „Wir brauchen jetzt dringend eine einheitliche und verpflichtende Kennzeichnung für Fleisch aus artgerechter Tierhaltung“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Matthias Miersch. Man dürfe die Kennzeichnung nicht dem Markt und somit „dem freien Spiel der Kräfte“ überlassen. Grünen-Fraktionschef Dr. Anton Hofreiter warf der Koalition vor, sich lediglich auf ein „Wischi­waschi-Label“ zu verständigen. Hofreiter befürchtet einen Label­dschungel, „wenn jetzt jede Supermarktkette ihre eigene Kenn­zeichnung aus dem Boden stampft“.

Vier Stufen

Nach dem vierstufigen Lidl-Konzept entspricht die Stufe 1 – „Stallhaltung“ – den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Fleisch der Stufe 2 – „Stallhaltung Plus“ – korrespondiert in etwa mit den Vorgaben der Initiative Tierwohl. Den Tieren soll mehr Platz als vorgeschrieben gewährt werden und ­Beschäftigungsmaterial zur Verfügung stehen. Mit Stufe 3 – „Auslauf“ – verbindet Lidl weiter­gehende Anforderungen. So soll den Tieren noch mehr Platz zur Verfügung stehen und sie sollen Zugang zu Außenklimabereichen haben. Zusätzlich sollen die ­Futtermittel ohne Gentechnik erzeugt worden sein. Schließlich will Lidl Biofleisch mit der Stufe 4 „Bio“ kennzeichnen. Gekennzeichnet werden soll ausschließlich deutsche Rohware. An der Preisgestaltung soll sich zunächst nichts ändern.

Gegenüber Agra-Europe bezeichnete der Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH, Dr. Hermann-Josef Nienhoff, die Lidl-Initiative als mutig. Möglich sei der Ansatz aber nur durch die Initiative Tierwohl (ITW), betonte er. Die Initiative Tierwohl biete die Voraussetzung für eine gesicherte Umsetzung der Stufe 2, einschließlich Finanzierung, vertraglicher Regelung und Kontrolle. Für die Stufe 3 stehe der Deutsche Tierschutzbund mit seinem Label Pate. Damit diese Art der Haltungs- und Tierwohlkennzeichnung funktionieren kann, hält es Nienhoff für dringend erforderlich, in der gesamten Kette eine einheitliche Vorgehensweise zu vereinbaren. Andernfalls drohe ein Flickenteppich von Kennzeichnungen, „der die Verbraucher irritiert und für die Land- und Fleischwirtschaft nicht umsetzbar ist“. Falls die Wertschöpfungskette sich einig werde, müsse der Verbraucher für seine Tierwohlvorstellungen „das Portemonnaie öffnen“.

Produktkennzeichnung

Die Initiative Tierwohl unternimmt unterdessen den ersten Schritt in die Kennzeichnung ihrer Produkte. Jetzt wird unverarbeitetes Hähnchen- und Putenfleisch in den beteiligten Einzelhandelsunternehmen mit einem neuen Produktsiegel ausgezeichnet.

Lesen Sie zum Vorstoß des Discounter Lidl auch einen Kommentar des Wochenblatt Chefredakteurs Anselm Richard:

Lidl prescht vor: Während das staatliche Tierwohllabel auf sich warten lässt, schafft der Discounter mit eigenem Zahlencode und ehrgeizigen Zielen zu Haltebedingungen Fakten.