An markigen Aussagen und Sprüchen mangelte es am Montagabend dieser Woche auf dem Kreisverbandstag des Altkreises Minden in Porta Westfalica nicht. „Das größte Problem in Deutschland ist ein gewisser Jochen Flasbarth im Bundesumweltministerium“, machte Albert Deß, bis April 2019 Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Sprecher der EVP-Fraktion im Agrarausschuss, zur anstehenden Verschärfung der Düngeverordnung klar.
„Zu wenig Phosphat“
Deutschland habe es versäumt, die Nitratrichtlinie frühzeitig umzusetzen. Deß Einschätzung nach sind die Nitratmessstellen in Deutschland nicht objektiv, es gebe beispielsweise zu Österreich gravierende Unterschiede. Deshalb sei es jetzt entscheidend, die Richtlinie in der EU einheitlich umzusetzen. Dass Deutschland ein Problem mit der Eutrophierung, also der Nährstoffanreicherung in Gewässern hat, glaubt der Bayer nicht: „98 % unserer Gewässer sind badeseetauglich. Und die Bodensee-Fischer jammern schon, dass sie zu wenig Phosphat haben.“
Die deutsche Landwirtschaft sei noch nie so umweltfreundlich gewesen wie heute, machte Deß deutlich. Trotzdem sei sie der Sündenbock für zum Beispiel den Artenrückgang. Die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland bzw. Europa habe in den letzten 30 Jahren im Vergleich zu anderen Regionen wie Asien nur gering zugelegt. „Wer die Agrarproduktion aus Deutschland vertreibt, versündigt sich im Tierwohl und Umweltschutz“, wetterte der gelernte Landwirt unter dem Applaus der mehr als 200 Teilnehmer. Deutlich machte er, dass der höhere Wohlstand der deutschen Bevölkerung vor allem der Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft zu verdanken sei.
Gras essen oder rauchen
Das gehe oft unter, zum Teil auch bewusst. Einige Nichtregierungsorganisationen (NGO) bezeichnete Deß als „verlogen“. Sie seien „Spendensammelvereine“, würden sich aber keineswegs für mehr Umweltschutz einsetzen, teilweise würden sie diesen sogar konterkarieren. Das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ nannte Deß „Volksverdummungs-Begehren“.
Unwissenheit gebe es auch bei anderen Gruppierungen, beispielsweise den Veganern. Sie würden völlig verkennen, dass rund 75 % der weltweiten Agrarflächen Gras bzw. Grünland seien und somit für die menschliche Ernährung nicht nutzbar. „Zumindest habe ich noch keinen Veganer Gras essen sehen, vielleicht raucht der ein oder andere Gras“, meinte Deß.
Auch bei der Einschätzung zur Industrie nahm der ehemalige Agrarpolitiker kein Blatt vor den Mund. Ihn wundere es, dass es bei den Diskussionen um ein Glyphosatverbot keinen parlamentarischen Abend oder sonstige Informationen aus der Industrie gegeben hätte, um die Politiker wohlwollend zu stimmen. Seine Hypothese: Möglicherweise hat die Industrie die Kampagne gegen Glyphosat selbst angestoßen, um neue und deutlich teurere Ersatzmittel auf den Markt zu bringen. „In den 1960er- Jahren hat es so etwas Ähnliches schon einmal gegeben“, sagte Deß.
Weniger klar war der Bayer bei der künftigen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Er ist zuversichtlich, dass die Trilogverhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) noch dieses Jahr starten und 2021 die Schlussabstimmung des Trilogergebnisses im Plenum erfolgt. Bei der Höhe des Agrarbudgets blieb er vage, verdeutlichte aber, dass die Landwirtschaft mit 10,8 Mio. Betrieben sowie 45 Mio. Beschäftigten der bedeutendste Wirtschaftszweig sei und täglich 500 Mio. Menschen mit günstigen Essen versorge.
„New Delivery Model“
Ein Element der GAP-Reform ist das sogenannte New Delivery Model. Demnach sollen die EU-Mitgliedstaaten die Umweltauflagen national ausgestalten. Ziel ist unter anderem mehr Klimaschutz. Deß findet das nicht praxisgerecht, „weil Deutschland sicherlich das komplizierteste System der ganzen EU erstellt.“ Der europäische Grean Deal soll ebenfalls für weniger CO2, weniger Pflanzenschutzmittel und eine nachhaltige Bewirtschaftung sorgen.
Die neue GAP soll künftig „grüner“ werden und sich auch einer Basisprämie mit erweiterter Konditionalität – also Zahlungen für das Erfüllen von Auflagen – sowie mindestens 20 % Ökoregelungen (Eco Schemes) der Ersten Säule sowie Agrarumweltmaßnahmen der Zweiten Säule zusammensetzen. Zur erweiterten Konditionalität gehören zum Teil auch schon heute gängige Greeningmaßnahmen wie Pflugverbot auf Dauergrünland.
Klar machte Deß aber, dass es in Brüssel extrem schwierig sei, Mehrheiten zu generieren. Und selbst wenn der Agrarausschuss positive Entscheidungen für die Landwirtschaft getroffen hätte, könnten die Mitgliedstaaten diese wieder kassieren. Aufgrund der Koalitionsstreit in Berlin habe sich Deutschland schon öfters bei solchen Entscheidungen enthalten. Deß: „Das ist bei so einem bedeutenden Mitglied wie Deutschland fatal. Berlin muss sich auf eine Linie verständigen und die Stimmenthaltung gehört abgeschafft!“