Wochenblatt: Frau Klöckner, die Corona-Krise hat die agrarpolitischen Debatten befeuert. Zum 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Ein guter Zeitpunkt?
Der Zeitpunkt steht schon lange fest. Aber ja: Angesichts der Corona-Pandemie müssen wir die anstehende Ratspräsidentschaft neu denken: Die Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig es für die Bürgerinnen und Bürger ist zu wissen, dass es genug Nahrungsmittel gibt. Daher gibt es die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Es geht jetzt darum, wie wir uns hinsichtlich der europäischen Ernährungssicherung noch robuster aufstellen. Mehr denn je brauchen wir eine regionale Vor-Ort-Landwirtschaft.
Wir brauchen ebenso aber gestärkte Lieferketten innerhalb Europas und einen starken Binnenmarkt. Und schließlich muss der Agrar- und Ernährungsbereich bei dem von der EU angekündigten Konjunkturpaket ausreichend berücksichtigt werden.
Knackpunkt ist das Geld: Der Mehrjährige Finanzrahmen ist noch offen und somit auch das Agrarbudget. Wie will Deutschland in der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen?
Klar ist: Je früher das Budget bekannt ist, umso leichter wird es sein, voranzukommen. Sich hier zu einigen, ist Aufgabe der europäischen Staats- und Regierungschefs. Corona hat uns dabei gelehrt, dass wir in Europa die Eigenversorgung und die heimische Produktion nicht vernachlässigen dürfen. Dazu brauchen wir ein starkes Agrarbudget, das die Bauern in die Lage versetzt, Ernten sicher einzubringen und zugleich zusätzliche Umweltauflagen erfüllen zu können. Es muss sich für sie rechnen, wenn sie zusätzliche Anforderungen erfüllen. Wunschkonzerte von der Umweltseite bei begrenztem Budget und einseitig zulasten der Landwirte – die mache ich nicht mit.
Gelingt es auch, die Gespräche über die künftige Gemeinsame Agrarpolitik abzuschließen?
Was wir anstreben ist ein schnellstmöglicher Abschluss. Klar ist aber: Die Pandemie hat zu Verzögerungen geführt. Und die Kapazitäten in Brüssel sind weiter eingeschränkt. Eine abschließende Entscheidung über die GAP-Vorschläge noch dieses Jahr ist daher nicht realistisch. Umso wichtiger, nun eine gute Übergangslösung zu finden, damit Bauern verlässlich planen können und Sicherheit haben.
Ich setze mich hier für einen Zeitraum von zwei Jahren ein. Nur so kann gesichert werden, dass die Direktzahlungen weiterlaufen und die Förderprogramme. Unser Ziel für die Ratspräsidentschaft ist, eine allgemeine Ausrichtung der Legislativvorschläge zur GAP nach 2020 zu erreichen und erste Triloggespräche mit dem Europäischen Parlament zu führen.
Worauf sollten sich die Landwirte einstellen?
Trotz Corona-Pandemie müssen wir die Kernziele der GAP im Fokus behalten: Ernährungssicherung, Einkommensstabilisierung, Umwelt- und Klimaschutz sowie die Entwicklung der ländlichen Räume. Für mich ist dabei klar: Die Ernährungssicherung muss neben Umwelt- und Klimaschutz eine größere Rolle in der europäischen Agrarpolitik spielen. Zu oft werden Anforderungen und Erwartungen an die Landwirtschaft formuliert, ohne den Sektor mitzunehmen – und auch ohne zu benennen, wie die Maßnahmen finanziert werden sollen oder welche Anreize gesetzt werden. Das muss alles tragfähig sein für die europäische Landwirtschaft. Auch um zu verhindern, dass sich Produktion ins außereuropäische Ausland verlagert und wir in Europa dann keinen Einfluss auf die Umwelt- oder die Tierschutzstandards haben.
Die Ziele des Green Deals mit der Farm-to-Fork- sowie Biodiversitätsstrategie bezeichnen Sie als ambitioniert – und fordern zusätzliches Geld für die Landwirte. Wie wollen Sie das umsetzen?
Das sind ambitionierte Strategien – ja. Was bei den Diskussionen aber oft in den Hintergrund gerät: Der Agrarsektor ist nicht das Problem, sondern ein Schlüssel. Wichtig ist mir deshalb, dass die Maßnahmen und die finanzielle Unterlegung klug verzahnt sind. Green Deal, die GAP und das Budget – also eine ausreichende Finanzierung – müssen Hand in Hand gehen. Wünsche für Klima- und Umweltauflagen sind schnell auf Papier formuliert: Aber sie müssen in der Praxis umsetzbar und tragbar sein.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass in den gesellschaftlichen Debatten vergessen wird, was die Kernaufgabe unserer Landwirtschaft ist: Nahrungsmittel zu produzieren, nicht Landschaftspflege zu betreiben. Ohne „farm“, kein „fork“. Lose Sammlungen von Anforderungen aber, die sich doppeln oder gar widersprechen, bieten den Landwirten keine Orientierung – im Gegenteil.
Und wie passt das mit den Vorgaben auf Bundesebene zusammen, wie Aktionsplan Insektenschutz oder Ackerbaustrategie?
Wir haben ja mit dem Aktionsplan Insektenschutz und der Ackerbaustrategie in Deutschland bereits vorgelegt, eine gute Grundlage geschaffen. Es geht darum, die Böden gesund zu erhalten und die Artenvielfalt zu sichern. Nur so halten wir die Landwirtschaft zukunftsfähig. Denn nur ein gesunder Boden liefert unsere Nahrungs- und Futtermittel und sichert das Einkommen der Landwirte.
Uns geht es darüber hinaus um mehr Vielfalt auf den Äckern, Pflanzenzüchtungen, die robust sind gegen den Klimawandel und das Voranbringen der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Das findet sich auch zum Teil in den europäischen Strategien wieder: zum Beispiel der Hinweis auf neue Züchtungstechnologien, um Zielkonflikte zu lösen. Das ist gut und richtig.
Welches Fazit möchten Sie Silvester ziehen?
Ein Fazit ziehen wir nach, nicht vor den sechs Monaten Präsidentschaft. Dabei dürfen wir nicht vergessen, welche Rolle Deutschland in der EU-Ratspräsidentschaft hat: Es geht darum, die 27 Akteure zusammenzubringen und zu moderieren. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch, dass wir dem gerecht werden. Thematisch haben wir uns viel vorgenommen. Es gibt einige Punkte, die bis Ende 2020 behandelt werden müssen. Das sind vor allem die GAP-Übergangsregelungen, die Weiterentwicklung der GAP nach 2020 und die Fischerei – Fangquoten für 2021 – zum Beispiel.
Daneben will ich weitere Themen voranbringen, die mir politisch wichtig sind. Etwa ein europaweit einheitliches Tierwohlkennzeichen. Ich halte das für einen wichtigen Beitrag für mehr Tierwohl.
Mehr zum Thema: