Er machte keinen Hehl daraus: „43,7 Mio. € sind ein schrecklich hoher Betrag“, sagte Agravis-Konzernchef Dr. Dirk Köckler am vergangenen Donnerstag vergangener Woche gegenüber Journalisten. Aber nur mit der Zahlung dieses Bußgeldes an das Kartellamt sei eine außergerichtliche, einvernehmliche Beendigung des Verfahrens möglich gewesen, ein sogenanntes „Settlement“. Wie kam es dazu?
„Grüne Liste“ verboten
Im Jahr 2015 gab es eine anonyme Anzeige. Vorwurf: Beim Handel mit Pflanzenschutzmitteln gibt es wettbewerbswidrige Preisabsprachen. Seitdem untersucht das Bundeskartellamt 13 private und genossenschaftliche Organisationen von Pflanzenschutzmitteln, auch Agravis.
Die Wettbewerbshüter nahmen vor allem die Produktliste Pflanzenschutz, auch als „grüne Liste“ bekannt, in den Fokus. Diese hat der Großhandel gemeinsam erstellt. Sie enthielt zu allen erhältlichen Pflanzenschutzmitteln Angaben zu Wirkstoffen, Anwendungsgebieten, Wirkungsgrad, Gebindegrößen – und eine Preisangabe. „
Die grüne Liste gibt es seit den 1970er-Jahren und diente Landwirten, Beratern und Behörden als Orientierungshilfe“, so Dr. Köckler. Die tatsächlichen Preise der Pflanzenschutzmittel hätten aber immer Käufer und Verkäufer ausgehandelt. Diese seien von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise der Menge oder Verfügbarkeit. Zudem gebe es einen scharfen Wettbewerb in der Branche. „Wir gehen deshalb davon aus, dass keinem Landwirt Schaden entstanden ist“, sagt Köckler.
Das sieht das Kartellamt offenbar anders. Sie haben diese Praxis für den Zeitraum 1998 bis 2015 beanstandet. Das Bußgeld von 43,7 Mio. € errechnet sich dabei nach einem festen Schlüssel aus Umsatz, Laufzeit usw. „Wir haben akzeptiert, dass Agravis nach Auffassung des Bundeskartellamtes gegen Wettbewerbsregeln verstoßen hat. Durch das Settlement konnten wir weitere Nachteile abwenden“, sagte Dr. Köckler. Denn: Würde das Unternehmen vor Gericht ziehen und verlieren, könnte die Strafe mit bis zu 10 % des Konzernumsatzes deutlich höher ausfallen – das wären mehr als 600 Mio. €.
Ergebnis 2019 im Minus
Schon mit der jetzigen Strafe rutscht das Ergebnis 2019 in die roten Zahlen. Der Gewinn nach Steuern liege aktuell noch bei etwa 10 Mio. €. Zwar habe das Unternehmen Rücklagen für allgemeine Risiken gebildet, diese seien aber deutlich niedriger als die Strafe von 43,7 Mio. €. Das Ergebnis 2019 rutsche ins Minus. Dr. Köckler betonte, dass Agravis das verkraften könne, auch, weil die Eigenkapitalquote mit rund 30 % weiter hoch sei. Zudem bleibe die Aktie mit 61,50 € werthaltig, eine Dividende für 2019 gebe es aber nicht.Für das laufende Jahr peilt Agravis einen Gewinn von 30 Mio. € an, was einer Umsatzrendite von 0,5 % entspricht. In Rücksprache mit den Wettbewerbshütern gebe es eine neue, kartellrechtskonforme „grüne Liste“, die ausschließlich für Agravis gelte.
Am Montag teilte das Kartellamt mit, dass sechs weitere Unternehmen Bußgelder zahlen. In Summe sind es 154,6 Mio. €. Die Beiselen GmbH, Ulm, ist befreit, da sie als Erste mit dem Bundeskartellamt kooperierte. Gegen zwei Unternehmen laufen noch Ermittlungen, die Verfahren gegen drei Unternehmen und zwei Verbände sind eingestellt. Dr. Köckler geht davon aus, dass einzelne Unternehmen durch die Strafe ins Wackeln geraten und sich der Strukturwandel erhöht. Das Kartellverfahren zu Neumaschinen gegen Agravis ist nach Köcklers Angaben beendet.
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