Ferkelkastration

Kämpfen ums Überleben

Mehr als 1000 Bäuerinnen und Bauern demonstrierten am Donnerstag vor der Agrarministerkonferenz in Bad Sassendorf für den Erhalt der deutschen Ferkelproduktion

Bad Sassendorf im Ausnahmezustand: Am Donnerstag stand die Stadt im Kreis Soest komplett im Zeichen der Land- und Forstwirtschaft. Aus Anlass der Agrarministerkonferenz (AMK) waren mehr als 1000 Bäuerinnen und Bauern dorthin gekommen und verlangten Gehör – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den Ministerinnen und Ministern von Bund und Land für Landwirtschaft. Die Demonstranten kamen nicht nur aus Westfalen-Lippe, sondern auch aus dem Rheinland, aus Niedersachsen und Hessen.

„Wir brauchen eine Lösung“

Hauptthema des Protestzuges und der Kundgebung in der Nähe des AMK-Tagungshotels war das drohende Verbot der Ferkelkastration ohne Betäubung zu Beginn des kommenden Jahres. WLV-Präsident Johannes Röring brachte es sehr schnell auf den Punkt: „Unser Ziel ist nicht die Verlängerung der bisherigen Regelung, unser Ziel ist eine Lösung!“ Während zum Beispiel in Skandinavien die Landwirte selbst eine örtliche Betäubung vornehmen dürfen und dies auch von Tierschutzorganisationen als ausreichend angesehen wird, soll dieser sogenannte vierte Weg in Deutschland nicht gangbar sein. „Wir nehmen das nicht kampflos hin“, kündigte Röring an.

WLV-Präsident Johannes Röring

Sein Präsidentenkollege aus dem Rheinland, Bernhard Conzen, erhob schwere Vorwürfe gegenüber der Politik: „Hier wird eine Minderheit benutzt, um von anderen Problemen abzulenken und gleichzeitig die Tierhaltung in Deutschland zurückzufahren“. Er forderte die Politiker auf, nicht erst zum Jahreswechsel zu handeln, sondern schon jetzt. Vor allem aber dürften keine emotional geprägten Entscheidungen gegen die Landwirtschaft getroffen werden.

Albert Schulte to Brinke, Präsident des Landvolkverbandes Niedersachsen, ging im Detail auf die angeblich vorhandenen Alternativen für die Ferkelerzeuger ein: Der Verzicht auf die Kastration ist mit einem geschätzten Marktpotenzial von weniger als 10 % für Eberfleisch nur für eine kleine Gruppe von Ferkelerzeugern machbar. Für die Immunokastration mittels eines Impfstoffs gilt prinzipiell dasselbe. Auch das so erzeugte Fleisch bedient eine Marktnische. Die Vollnarkose mittels Injektion durch den Tierarzt scheitert an deren Kapazitäten und birgt für die Ferkel das Risiko des lebensbedrohlichen Auskühlens vor dem Aufwachen. Und Isofluran als Narkosegas ist in der Praxis nicht zugelassen. Was bleibt also?, fragte Schulte to Brinke, und gab selbst die Antwort: nichts!

Albert Schulte to Brinke

Klares Fazit aller bäuerlichen Fachleute: Wenn den Ferkelerzeugern nicht schnell ein Ausweg eröffnet wird, dass werden viele Sauenhalter binnen kurzer Frist das Handtuch werfen und die Produktion einstellen. Das führt dann dazu, dass die Schweinemäster vermehrt oder ausschließlich Ferkel aus den Niederlanden oder Dänemark beziehen. Und diese Tiere sind in ihren Herkunftsländern zulässigerweise so kastriert worden, wie es in Deutschland auch 2019 nicht erlaubt sein soll.

Der Bundestag ist gefragt

Ursula Heinen-Esser, Landwirtschaftsministerin in Düsseldorf, und ihre sachsen-anhaltinische Ministerkollegin Prof. Dr. Claudia Dalbert wagten sich auf die Bühne vor die zum Teil aufgebrachten und vor allem lärmenden Bauern. Heinen-Esser bedauerte ausdrücklich, dass der Bundesrat den auch von NRW unterstützten Antrag, die geltende Ausnahmeregelung für die Kastration noch einmal zu verlängern, nicht angenommen hat. „Wir werden weiter daran arbeiten“, versprach die Politikerin, und weiter: „NRW steht an Ihrer Seite!“. Jetzt sieht die CDU-Frau den Bundestag bzw. die Bundesregierung in der Pflicht, den Landwirten dabei zu helfen, die Wünsche der Verbraucherinnne und Verbraucher zu erfüllen.

Ursula Heinen-Esser: NRW steht hinter Ihnen!

Claudia Dalbert von den Grünen schlug einen anderen Ton an, sehr zum Missvergnügen der Bauern. „Verlässlichkeit ist wichtig“, betonte die Magdeburger Ministerin, „und Sie wussten seit Jahren, was auf Sie zukommt. Es wird keine Verlängerung geben!“, stellte Dalbert unter lautem Protest der Landwirte fest. Sie verfolgt also weiter eine unnachgiebige Linie, so wie ihre Kollegen und Kolleginnen in anderen Bundesländern auch.

Claudia Dalbert zeigte sich unerbittlich.

Schwarzer-Peter-Spiel

Bemerkenswert auch die Beiträge anderer Landwirte bei der Kundgebung: Paul Hegemann, Vorsitzender des Bundesverbandes Rind und Schwein (BRS), forderte die Politiker auf, ihr Schwarzer-Peter-Spiel auf Kosten der Bauern zu beenden. „Das Setzen einer Frist bedeutet nicht, dass eine Lösung gefunden ist“, stellte Hegemann fest. „Warum wird angesichts der Faktenlage die Gelegenheit nicht genutzt, den vierten Weg möglich zu machen? Die Verbraucher wollen sicher lieber Ferkel aus Deutschland in den Ställen sehen als importierte. Da muss die Politik dann auch einmal Farbe bekennen!“.

Carsten Spieker, der für die Ferkelerzeuger im WLV sprach, sieht die Lage ähnlich: „Die Politik hat nicht den Mut, gegen den Mainstream vernünftige Lösungen zu ermöglichen.“ Verbittert stellte er außerdem fest, dass selbst im Bundeslandwirtschaftsministerium maßgebliche Fachkräfte offenbar für fachliche Argumente nicht zugänglich sind.

Die Botschaft ist unmissverständlich.

Auch Johannes Röring wandte sich noch einmal eindringlich gegen das „Märchen, dass wir fünf Jahre nichts unternommen hätten“. Die Lösung müsse vonseiten der Politik geschaffen werden, die Bauern seien längst bereit, einen praktikablen Weg mitzugehen. Röring, der selbst für die CDU im Berliner Parlament sitzt, forderte alle Berufskollegen auf, vor Ort ihre Bundestagsabgeordneten anzusprechen und nachdrücklich eine Lösung zu verlangen.

Ganz Bad Sassendorf in der Hand von Bauern