Die rechtspopulistische, in Teilen rechtsextremistische AfD hat den ländlichen Raum als Wählerreservoir entdeckt. Ein internes Strategiepapier ruft Funktionäre und Anhänger zum „Marsch durch die Organisationen“ auf. Unserer Beispiele aus Schützenwesen und Landfrauen zeigen: Der Marsch hat längst begonnen.
Unterwanderung im Sauerland
In den vergangenen Wochen wurden nach Aussage des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) einzelnen Schützenbruderschaften hohe Geldspenden angeboten. Der BHDS habe, so heißt es in einem internen Schreiben von Anfang Februar, die Annahme verweigert, weil „nach eigenen Recherchen hier offensichtlich über AfD-Kanäle ein für den BHDS kompromittierender Sachverhalt konstruiert werden sollte“.
Keine drei Wochen, nachdem der BHDS mit diesem Schreiben alle Bruderschaften zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen hatte, klingelte bei Björn Sip das Telefon. Sip ist 1. Vorsitzender der Neuenrader Schützengesellschaft im Sauerland. Er sagt: „Ich habe keine endgültigen Belege, dass die AfD hinter dem Anruf steckt. Es war aber haargenau so, wie im BHDS-Schreiben angekündigt.“
„Haargenau“ meint im Fall von Björn Sip Folgendes: Unter einer bayerischen Telefonnummer meldete sich eine Frau bei Björn Sip. Ihr Verein, so die Anruferin, fördere seit über 40 Jahren Vereine und Verbände in ganz Deutschland und wolle auch der Neuenrader Schützengesellschaft eine Spende von mindestens 525 € zukommen lassen. Die Schützen hätten sogar die einmalige Chance, bis zu 2500 € zu erhalten. Zur konkreten Verwendung wolle man sich unverbindlich mit dem Vorstand zusammensetzen und das weitere Vorgehen besprechen.
Sip wurde hellhörig und fragte nach: „Wie genau war der Name des Vereins, für den Sie anrufen?“ Die Antwort wurde vernuschelt. Er fragte weiter: „Ist Ihnen bewusst, dass die Schützenbruderschaften jüngst genau vor solchen Anrufen mit Verweis auf AfD-Nähe gewarnt wurden?“ Die Anruferin wurde ungehalten, sprach von einer „Unverschämtheit“, drohte mit juristischen Konsequenzen und beendete das Gespräch unverzüglich.
Warum sich die Anruferin gerade an die Neuenrader Schützengesellschaft gewandt hat, kann Sip nur vermuten: „In Neuenrade ist der Bau einer großen Moschee geplant. Eine Bürgerinitiative engagiert sich gegen den Neubau – auch mit Unterstützung von Pegida-Aktivisten.“ Mögliche Adressaten für eine Einflussnahme seien demnach vorhanden. Die Schützen vor Ort sollten, so zumindest die Vermutung, als eine Art legitimes Sprachrohr für den Protest der Moschee-Gegner herhalten.Doch die Spenden waren nicht der erste Vereinnahmungsversuch seitens der AfD.
Bereits Ende vergangenen Jahres hatte die AfD in der Debatte um das neue Waffenrecht den christlichen Schützenbund und seine Bruderschaften zielgerichtet angeschrieben. In einem Flugblatt positionierte sich die AfD gegen die geplante Verschärfung des Waffengesetzes und inszenierte sich als Partner der deutschen Schützentradition. An die Bruderschaften im Sauerland allerdings habe sich die AfD damals laut Björn Sip nicht herangetraut: „Die Sauerländer Bundestagsmitglieder hatten sich für das Thema bereits stark eingesetzt. Für die AfD wurde es uninteressant, weil es schon besetzt war.“
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Überrumpelte Landfrauen
Die Landfrauen positionieren sich in jüngster Zeit stark gegen Rechts – der Westfälisch-Lippische Landfrauenverband verabschiedete erst vor einem Monat ein Positionspapier gegen rechtsextremes und frauenfeindliches Gedankengut. Die Gründe erläutert Petra Bentkämper, die Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes. „Wir werden an verschiedenen Stellen mit rechtsextremen Gesinnungen konfrontiert“, so die Bielefelderin. Mal geschehe dies offen und direkt, mal unsichtbar und schleichend. „Auf diese Angriffe müssen wir überall Antworten parat halten“, sagt Bentkämper und stellt klar: „Das ist kein ostdeutsches Problem.“
So haben Landfrauen auf einer Demonstration gegen die Schließung von Geburtsstationen eine Podiumsdiskussion organisiert. Eine Vertreterin der AfD war dazu nicht geladen, verschaffte sich aber Gehör, indem sie die Bühne erklomm und zu reden begann. „Die Frauen waren mit der Situation völlig überfordert“, sagt Petra Bentkämper. Einen Vorwurf macht sie den überrumpelten Frauen nicht. „Ich selbst war auf der diesjährigen Grünen Woche in einer ähnlichen Situation“, erzählt sie. „Ohne Vorwarnung wurde ich von einem Standbetreiber auf das Wüsteste beschimpft, weil ich mich für die Rechte von Frauen stark mache – und war erst einmal ziemlich baff.“
Auch ihre eigene Sprachlosigkeit nahm Bentkämper zum Anlass, das Thema Rechtsextremismus – das oft Hand in Hand mit Frauenfeindlichkeit einhergeht – stärker zu behandeln. Sie ist betroffen über den Wunsch der Frauen, den Vorfall bei der Podiumsdiskussion möglichst nicht öffentlich zu machen. „Verbände wie der Landfrauenverband sind Lernorte der Demokratie. Wir müssen mutig und vorbildhaft vorangehen“, ist die Präsidentin überzeugt. Dazu gehöre auch, Probleme aufzudecken, um gemeinsam Antworten zu finden.
Dringend erscheint dieser Appell auch im Hinblick auf die Situation in einigen Landesverbänden: „Wir haben schon Hinweise darauf erhalten, dass AfD-nahe Frauen Mitglieder geworden sind – und das deutschlandweit“, berichtet Bentkämper. „Wir müssen lernen, damit genauso wie mit direkten und persönlichen Angriffen entschieden und konsequent umzugehen.“ Seitens des Bundesverbandes will die Präsidentin den Mitgliedern mit einem Handlungs- und Argumentationsleitfaden Hilfestellungen bieten und Mut machen. Veranstaltungen auf Bundesebene mit verschiedenen Zielgruppen greifen das Thema in diesem Jahr verstärkt auf und bieten Unterstützung. Zudem empfiehlt sie den Kreis- und Landesverbänden, sich vor Ort Verbündete zu suchen, um gemeinsam klare Kante zu zeigen.
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