Die Dimensionen im niedersächsischen Kirchdorf sind beachtlich: Auf 500 ha baut die Familie Thiermann Spargel an, auf 46 ha werden Erdbeeren, auf 250 ha Heidelbeeren geerntet. Auf weiteren 60 ha wachsen Bohnen. Auch 15.000 Schweinemastplätze, Biogasanlagen mit einer Leistung von 2,5 MW, Photovoltaik-Anlagen auf den meisten Hallen (300 kW), ein Hofladen sowie ein hofeigenes gastronomisches Angebot gehören zu Thiermanns Produktpalette.
Spargel auf Umwegen
Angefangen hat alles eine Nummer kleiner. Vor etwa 50 Jahren übernahm Senior-Chef Heinrich Thiermann (78) den Betrieb mit 30 ha, einigen Mastschweinen, Kühen und Ackerbau von seinem Vater. Zu den Sonderkulturen kam er über Umwege.
„Mein Vater wurde damals von einer Bekannten angesprochen, ob er nicht das Spargelfeld ihres verunglückten Mannes übernehmen wolle“, berichtet Insa Thiermann (30). „Er hat dann das Feld gepachtet und sich in die Kulturführung reingearbeitet.“
Nachdem mit Spargel der Grundstein für die Sonderkulturen gelegt war, kam vor 30 Jahren die Heidelbeere dazu. Parallel wurde die Schweinemast ausgebaut. Heute macht der Betrieb in den Sonderkulturen etwa die Hälfte des Umsatzes über Spargel, 40% über Heidelbeeren und die verbliebenen 10% über Erdbeeren, Buschbohnen und Mairübchen.
Neben dem Standort in Kirchdorf führt die Familie einen Betrieb in Martfeld bei Bremen sowie seit 2001 einen Pachtbetrieb im brandenburgischen Havelland. Auf zusätzlichen 500 ha wird dort Spargel angebaut, zudem Beeren und Mairübchen. „Die Diversifikation zeichnet uns aus“, sagt Tochter Insa.
Der Betrieb Thiermann verarbeitet seine Produkte komplett selbst und hat sukzessive den Convenience-Bereich ausgebaut. „Seit etwa zehn Jahren bieten wir Spargel auch in geschälter Form an“, berichtet Insa Thiermann. „Mittlerweile in einem Standard, der auch die Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) möglich macht.“
Der Großteil des Spargels wird über den LEH abgesetzt. Auch bei den Heidelbeeren spielt der LEH eine herausragende Rolle.
Blaue Beeren
Auf Heidelbeeren setzt Familie Thiermann vor allem aufgrund der guten Standortbedingungen: „Heidelbeeren brauchen einen sonnigen Standort mit saurem Boden und guter Wasserversorgung“, erklärt Insa Thiermann. „Unsere moorigen Standorte sind dafür optimal.“
Als die Kultur vor etwa 30 Jahren aus den USA nach Europa kam und bekannter wurde, konnten Thiermanns bereits ackerbaulich genutzte Moorflächen erwerben. Um einen guten Ertrag ernten zu können – bei Vollertragsanlagen im Mittel etwa 8 t pro ha – werden die Büsche im Frühjahr vor dem Austreiben geschnitten. Die frostempfindlichen Blüten werden im April und Mai in kalten Nächten zum Frostschutz beregnet und von 500 Bienenvölkern, die auf den Plantagen stehen, bestäubt.
Aufwendige Ernte
Die Ernte der blauen Beeren beginnt Anfang Juli, in den Tunnelanlagen bis zu vier Wochen früher. Geerntet wird fast ausschließlich per Hand. In Nicht-Corona-Zeiten sind 700 Pflücker mit der Heidelbeer-Ernte beschäftigt, in diesem Jahr kann aufgrund der Hygiene- und Abstandsregelungen nur etwa die Hälfte der Saisonarbeitskräfte untergebracht werden.
Sind die Beeren vom Strauch, geht es relativ schnell: Spätestens alle zwei bis drei Stunden werden die empfindlichen Früchte vom Feld geholt und zum Runterkühlen in große Hallen gebracht. Nachdem unreife oder zu kleine Beeren, Blätter und Stiele aussortiert wurden, werden die Beeren in kleine Schalen gefüllt und gehen bundesweit in den LEH.
Um die Beeren lagerfähiger und damit auch flexibler vermarktbar zu machen, hat Familie Thiermann vor vier Jahren in eine neue Lagertechnik investiert. Ähnlich wie die Lagertechnik von Äpfeln werden die Heidelbeeren in einem Raum mit kontrollierter Atmosphäre gelagert. Der Sauerstoffanteil der Luft wird dort angesenkt und der Stoffwechsel der Beeren fährt runter – sie machen quasi Winterschlaf. Bis zu acht Wochen können die Beeren so eingelagert werden.
Corona-bedingte Lücken
Nicht nur in der Heidelbeer-Ernte ist der Betrieb Thiermann auf Saisonarbeitskräfte angewiesen. Zu den 150 Festangestellten kommen in der Erntespitze zusätzliche 1500 Saisonarbeitskräfte – normalerweise. Corona-bedingt ist in diesem Jahr alles anders. „Wir haben eine umfassende Adresskartei und konnten auf einen großen Pool an Saisonarbeitskräften zurückgreifen“, berichtet Insa Thiermann. „Durch die Hygieneregeln konnten wir allerdings nur etwa die Hälfte der Leute unterbringen.“ In diesem Jahr wurde daher auch nur etwas mehr als die Hälfte des Spargels geerntet, bei den Heidelbeeren erwartet Insa Thiermann ein ähnliches Bild.
Die zunehmende Kritik an der Beschäftigung von Erntehelfern nimmt auch die Familie Thiermann wahr. Insa Thiermann stellt aber klar: „Ich finde es falsch, Landwirte mit der Fleischindustrie in einen Topf zu werfen. Bei uns ist es tatsächlich Saisongeschäft. Wir haben nicht die Möglichkeit, Leute ganzjährig als Erntehelfer zu beschäftigen – die Fleischindustrie schon.“
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